Название: Tranceperlen
Автор: Ghita Benaguid
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Hypnose und Hypnotherapie
isbn: 9783849781798
isbn:
Sie dürfen pflücken, was immer Sie wollen …, Lilien, Rosen, aber passen Sie auf die Stacheln auf! Sie können Gänseblümchen, scheue kleine Veilchen pflücken– nehmen Sie auch eine oder zwei Orchideen – sie sind selten und wunderhübsch. Und pflücken Sie auch Butterblumen! Sie sind leuchtende, fröhliche kleine Blumen. Nehmen Sie auch eine Brennnessel und ein paar Disteln mit, denn auch die wachsen in Ihrem Garten. Die Blumen sind wichtiger, aber Sie dürfen Sie auch nicht übersehen, also pflücken Sie ein paar hinzu.«
Hier stoppte ich und wartete. Kurz darauf beendeten beide Frauen ihre Trance. Als ich sie wieder reorientierte, fragte ich sie, was sie mir und dem Publikum sagen wollten. Die Frau, deren Vater ins Gefängnis gekommen war, sprach zuerst. Sie hatte ihren Blumenstrauß gepflückt, mit allen Blumen, die sie gerne hatte, wusste genau, wie sie sich nun fühlte, und bedankte sich mit einem großen freudestrahlenden Lächeln. Die Worte der anderen Frau waren viel allgemeiner und mehr Kognition als Emotion.
Als die Zuhörer eine Diskussion starten wollten, entgegnete ich ihnen, dass sie das, was sie gesehen und gehört hatten, reflektieren und zu ihrer eigenen Schlussfolgerung kommen sollten. Diese beiden jungen Frauen hatten gezeigt, wie man mit einer beiläufig induzierten Trance arbeitet, und alles war gut. Ich zerlege keine Lösungen anderer Menschen – erst recht nicht vor anderen. Wie Erickson oft zu sagen pflegte: »Manche Dinge lässt man am besten im Unbewussten – denn da können sie Ihnen wirklich helfen!«
Für mich war es sonnenklar, was die Frau mit dem inhaftierten Vater getan hatte. Sie hatte akzeptiert, dass sie machtlos war, außer bei der Entscheidung, wie sie reagieren wollte, und sie stellte fest, dass sie viel mehr Möglichkeiten hatte, als sie ursprünglich gedacht hatte. Es wäre falsch gewesen, den Gedanken zu verleugnen, »dass er ins Gefängnis gehört«, und tatsächlich konnte sie das auch nicht von der Hand weisen – aber dies konnte ein vorübergehender Schmerz sein oder auch nur ein unangenehmes Gefühl wie der Stich eines Rosendornes oder einer Distel. Jetzt hatte sie Möglichkeiten für sich gefunden, anstatt sich in »angemessenen« oder »richtigen« Gefühlen eingesperrt zu fühlen. Von der Fakultät erfuhr ich später, dass sie fröhlicher geworden war und wieder mehr am Unterricht teilnahm, also glaube ich, dass sie es geschafft hatte, Lösungen für sich zu finden. Die andere hatte ein vergleichsweise kleineres Problem – viele Hochschulstudenten fragen sich, ob sich der ganze Aufwand lohnt. Sie gab an, sie hätte sich entschieden, das Beste daraus zu machen, egal ob es das wert sei oder nicht. Beide hatten ihr Verhaltensrepertoire erweitert.
Hätte es sich um einen Mann gehandelt, hätte ich Bäume hinzugefügt oder Felsen – beide geben etwas her und sind im Kontext nicht so »weiblich«. Ein stattlicher Walnussbaum spendet Schutz und Nahrung für viele …, Felsen sind stark und nützlich, bauen und stützen …
Diese Art von Trance hat bestimmte Vorteile. Dazu gehört, dass sie den Klienten durch Metaphern und eine Geschichte, mit der sie sich identifizieren können – und sei es nur ansatzweise –, Optionen eröffnet, an die sie vorher nie gedacht hätte. Natürlich kann es auch sein, dass sie ihre eigene Lösung »erfindet«, das wäre der Idealfall.
Das Ziel einer Trance, einer Therapie, ist genau dies: Klienten Optionen zu eröffnen, auf die sie vorher nie gekommen wären, und darauf zu vertrauen, dass sie genau das tun werden, was das Beste für sie ist. Fast immer ist das auch der Fall. Außerdem fühlen sich Klienten bereichert und gestärkt, wenn sie sich selbst etwas Gutes getan haben und dafür die Lorbeeren einheimsen können … Und das ist der größte Gewinn, den man sich vorstellen kann.
Nachtrag
Mein Sohn behauptet, noch nie in einer hypnotischen Trance gewesen zu sein, obwohl er von der bereits verstorbenen Zahnärztin Kay Thompson, einer von Ericksons frühesten und talentiertesten Studentinnen, Schmerztherapie erlernt hat. Kay verbrachte mit ihm einige Stunden bei uns zu Hause und sollte mittels einer beiläufig induzierten Trance sein Leben im wahrsten Sinne des Wortes für immer verändern. Der damals fünf Jahre alte David war auf seinen ersten Zahnarztbesuch gut vorbereitet worden und wollte dem Zahnarzt stolz seine guten, gesunden Zähne zeigen. Der Zahnarzt wies ihn an, sich auf den Stuhl zu setzen, fixierte seine Arme und Beine und befahl ihm, kein Wort mehr zu sagen. Mein Sohn war sehr verängstigt und rief nach mir. Ich ging zu ihm, befreite ihn und rief dann meinen Vater an, erzählte ihm, was passiert war und fragte, was wir tun sollten. Er sagte: »Ruf Kay Thompson an!« Das tat ich. Erfreulicherweise war sie gerade auf dem Weg in die Stadt, in der wir lebten, um auf einer Konferenz zu referieren. Sie sagte, sie wolle sich darum kümmern. Sie bat mich, sie und einige andere zum Abendessen einzuladen. Ich sollte nichts sagen, und ich tat genau, was sie sagte.
Kay kam, begrüßte die anderen Gäste, und setzte sich dann mit David auf den Fußboden. Sie bauten etwas aus seinen Bauklötzen und bewunderten gegenseitig ihre Bauwerke. Kay saß auch beim Abendessen neben David und sprach die meiste Zeit mit ihm. Ein sehr merkwürdiges Abendessen – der »Ehrengast« ignorierte alle außer meinem fünfjährigen Sohn.
Bevor sie sich verabschiedete, nahm sie David auf ihren Schoß. Sie sah ihm in die Augen und sagte in diesem ganz speziellen, nachdrücklichen Ton: »David, weißt du, was ich bin?« Wieder einmal war die Wortwahl ausgesprochen bedeutsam. »Was« klingt seltsam – er weiß, wer: Mamas Freundin; aber »was«? David starrte sie an – offen und bereit für weitere Informationen. Kay fuhr fort: »Ich bin Zahnärztin.« David war verblüfft! Kay sprach weiter mit ihrer eigentlichen Botschaft: »Es gibt männliche und weibliche Zahnärzte. Es gibt gute und schlechte Zahnärzte!« Dann küsste sie ihn auf die Wange, nahm ihn vom Schoß und ging. Ich war genauso verblüfft und sagte kein Wort. Es wurde nie wieder darüber gesprochen.
Fünf Jahre später hatte David heftige Zahnschmerzen und es musste zahnärztlich einiges unternommen werden. Er wollte nie eine Betäubung, er wollte eigentlich immer nur seine Comics lesen. Und das tat er auch. Die Zahnärzte waren sehr zufrieden – ein pflegeleichter Patient, wenn man so will. Einmal sagte ich ihm, dass ich ihn sehr mutig fände, und ich bewunderte ihn dafür, dass er so viele zahnärztliche Eingriffe aushalten konnte, ohne auch nur einen Mucks von sich zu geben. Er schaute mich bloß an und sagte: »Ich habe Glück gehabt, Mama. Ich hatte immer nur gute Zahnärzte.«
Zwanzig Jahre später, nach Kays Tod, schrieb ich diese kleine Geschichte für ein Buch auf, das ihr zu Ehren herausgegeben wurde. Ich beschloss, sie David zu zeigen, er war zu der Zeit um die dreißig Jahre alt. Er las die Geschichte. Dann setzte er sich und las sie noch einmal. Ich beobachtete, wie seine Augen jedes einzelne Wort erfassten. Dann drehte er das Blatt um und legte es auf den Tisch. Er sagte: »Mutter, das ist niemals so passiert.« Er stand auf und verließ den Raum. Ich habe es ihm gegenüber nie wieder angesprochen. Es gibt, wenn man mich fragt, keinen Zweifel an der Wirkung einer Trance, die von einem Meister (bzw. einer Meisterin) auf beiläufige Weise induziert wurde!
Goldrichtig
Ghita Benaguid