Gegenwindschiff. Jaan Kross
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Читать онлайн книгу Gegenwindschiff - Jaan Kross страница 8

Название: Gegenwindschiff

Автор: Jaan Kross

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783955102630

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СКАЧАТЬ betrachtet, die reinste Postkartenidylle: Eine alte Kirchenbaracke, katholisch natürlich, im Herzen des Fleckens, Herrenhäuser der Plantagen, das heißt ein paar weiße Bungalows und dergleichen unter Kokospalmen, drum herum gräuliche und bräunliche Hütten mit hohen gelben Strohdächern für das einfache Volk inmitten des vieltönigen Grüns der Mais- und Tabakfelder, zur Rechten das blaue Meer, zur Linken die hügeligen Felder des Binnenlandes, die sich weiter hinten zu Bergen ausweiteten. Aus der Nähe betrachtet war der Flecken ein ziemlich schmuddeliger und verfallener Ort, unglaublich voll mit halbnackten Visayakindern und den Büffeln der Dorfbewohner, Kleinvieh und Hühnern. Einstweilen konnte man sich nur ausmalen, in was für ein Schlammfeld der tropische Regen die lila schimmernde, von Hufspuren übersäte Erde dieser Straßen verwandeln würde.

      Ich weiß nicht, ob die örtliche Schule speziell für uns geräumt worden war oder ob bei ihnen bereits die Sommerferien begonnen hatten, jedenfalls wurde uns das Schulhaus zur Verfügung gestellt. Das war ein einfacher Bretterschuppen mit zwei Klassenzimmern und Nebenräumen. In dem einen Raum richteten wir mein Arbeitszimmer ein, in dem zweiten meinen Wohnraum, der Rest war Lagerraum. Unser Beobachtungsplatz war der Schulhof, genaue Lage 10°45’ nördliche Breite und 124°0’ östliche Länge.

      Und weiter nichts. Wir mussten für unsere Geräte drei Betonsockel gießen und legten ordentlich Hand an. Die vier von Herrn Moll geschickten Visayajungen waren tüchtiger als erwartet. Am achten April fingen wir mit dem Aufbau der Instrumente an. Am zweiundzwanzigsten war unsere Beobachtungsstation fertig. Abgesehen von der letzten Justierung der Geräte. Übrigens hatten wir vor der Sonnenfinsternis für eine Woche umfangreiche Aufnahmen der südlichen Milchstraße geplant, aber daraus wurde nichts. Denn wie verhext zog sich der Himmel jeden Tag gegen sechs, sieben Uhr zu und klarte erst wieder nach den allmorgendlichen heftigen Gewittergüssen auf. So blieb uns nichts anderes übrig, als den neunten Mai abzuwarten und hinsichtlich des Wetters am Tag der Sonnenfinsternis voller Hoffnung und Sorge zu sein. Ach ja, dann bekamen wir noch Besuch von den Amerikanern.

      Ihre Expedition, nicht zwei, sondern an die zwanzig Mann, wollte die Sonnenfinsternis bei Iloilo auf der Insel Panay fotografieren, von uns aus hundertfünfzig Kilometer Luftlinie nach Westen. Wenn ich sage zwanzig Mann, dann ist das noch vorsichtig ausgedrückt. Genauso gut könnte man sagen, zweihundert. Denn zu uns auf die Reede von Sogod reisten die Amerikaner mit einem Kreuzfahrtschiff an, das sicher seine zweihundert Mann an Bord hatte. Matrosen in blauweißen Zebrashirts ruderten den wissenschaftlichen Stab an Land, und zwei Stunden lang hallten und schallten unsere Schulbaracke und unser Beobachtungshof von den raumgreifenden Stimmen der Yankees. Übrigens konnte man sie so schwer verstehen, dass ich nicht begreife, wie ich mit meinem Englisch Band für Band ihre wissenschaftlichen Bücher gelesen und meiner Meinung nach großartig verstanden habe, worum es ging.

      Dann nahmen die Amerikaner unsere Apparatur in Augenschein. Im Zusammenhang damit blieb mir einer von ihnen besonders in Erinnerung. Obwohl ich nicht mal seinen Namen richtig in Erfahrung gebracht habe. Ein gewisser Link oder Flink oder Hink. Ich fragte ihn nicht: ›How do you spell it?‹ Ein Mann mittleren Alters mit einem Stiernacken, hellem Bürstenhaarschnitt und blonden Wimpern. Er betrachtete unseren Horizontalspiegel mit der 55-Zentimeter-Öffnung und insbesondere dessen Regulierungsvorrichtung, die ich für unsere Lapplandexpedition konstruiert hatte, und fragte:

      »Aber warum haben Sie denn dieses Spielzeug aus Ihrem Hamburg bis hierher geschleppt? Kann man damit etwas Vernünftiges unternehmen?«

      Ich sagte: »Spielen bestimmt …«

      Aber Baade fragte grausam sachlich, ob die Herren amerikanischen Kollegen zufällig unsere Sonnenaufnahmen gesehen hätten, die wir vor zwei Jahren in Jokkmokk gemacht haben. Natürlich hatten sie sie gesehen. Sie hatten sie sogar detailliert studiert. Der gleiche Drink oder Prink sagte:

      »To be sure! These are the best ever made!«

      Und Baade zog seine etwas kurz geratene Oberlippe hoch, sodass seine breiten Zähne blitzten, und verkündete, sodass ich gleichzeitig peinlich berührt war und triumphierte:

      »Eben. Sie alle sind das Werk von Herrn Schmidt und von ebendiesem seinem Apparat.«

      Daraufhin rief derselbe Herr Flink »Incredible!« und bot mir eine Zigarre an, die ich ausschlug.

      Zum Schluss tranken die Amerikaner auf dem Balkon des Schulhauses einen Whiskey auf unseren Erfolg und boten uns davon an (die Matrosen oder Küchenjungen des Kreuzfahrtschiffs in den Zebrashirts hatten Eiskisten mit Sodawasser dabei). Dann fuhren sie weg, und Baade schickte sich an, die Eindrücke ihres Besuches zu erörtern. Da er keine anderen Partner hatte, musste er dies mit mir tun, obwohl ich seine Kommentare nicht kommentierte. Letztendlich doch bedeutungsloses Gewäsch. Ein Mensch kann in Gedanken alles Mögliche erörtern. Die irrsinnigsten Dinge, wenn es ihm Spaß macht. Aber warum soll man für alle hörbar etwas erörtern? Also hörte ich ihm stumm zu. Bis auf einen Moment. Da sagte ich:

      »Doktor, es war nicht nötig, ihnen unter die Nase zu reiben, dass die Jokkmokk-Fotos mit diesem Apparat gemacht worden sind. Man hätte sie in dem Glauben belassen sollen, dass wir hier mit Spielzeug spielen.«

      Ich gebe zu, dass ich nicht ganz aufrichtig war, als ich das sagte. In Wirklichkeit war es eine Lüge. Eine Lüge aus übertriebener Zurückhaltung. Möglicherweise gar ein Versuch, von Baade noch einmal Lob für meinen Apparat und meine Arbeit zu erheischen. Offenbar hatte meine Seele das immer noch nötig. Weswegen es mir in Wahrheit trotz aller peinlichen Berührtheit überhaupt nicht gegen den Strich ging, dass Baade meine Arbeit den Amerikanern gegenüber gelobt hatte. Aber für diese Unaufrichtigkeit bekam ich augenblicklich die Quittung. Baade sagte (und er war natürlich überaus aufrichtig):

      »Nein, nein, werter Kollege. Das war notwendig. Begreifen Sie denn nicht? Das erforderte die Reputation der deutschen Wissenschaft!«

      Und ich fürchte, dass mir für einen Moment vor Überraschung der Unterkiefer runterklappte. Niemand hatte mir das jemals gesagt, selbst habe ich nie – ich glaube wirklich niemals – darüber nachgedacht: Ich war also, zumindest nach Baades Auffassung, ein deutscher Wissenschaftler? Und wahrscheinlich nicht nur nach seiner Auffassung. Ich spürte, wie etwas in mir aufzuckte und protestieren wollte. Aber gleichzeitig begriff ich, dass er von seinem Standpunkt aus betrachtet recht hatte. Denn welchen Landes Wissenschaftler war ich denn in erster Linie? Wenn ich beinahe dreißig Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet hatte? Zwar mit Unterbrechungen auf Naissaar und in Tallinn, aber überwiegend doch in Deutschland. Deutsche Auftraggeber und deutsche Instanzen haben mir meinen Brotverdienst gegeben. Deutsche Wissenschaftler waren es, die mit meinen Objektiven und Spiegeln den Himmel erforschten – Schwarzschild, Vogel, Schorr und wie sie alle hießen, nur Deutsche. Abgesehen von einigen Amateuren, einer in Pärnu, einer in Göteborg, ein paar in Frankreich. Eine andere Frage ist, welchen Landes Wissenschaftler ich gerne gewesen wäre. Überhaupt war die Sache nicht so einfach. Ich hatte beinahe achtzehn Jahre mit einem russischen Pass und zehn Jahre mit einem estnischen Pass in Deutschland gelebt. Für meinen estnischen Pass bin ich mitten in einer hektischen Arbeitsphase von Mittweida nach Berlin zu Eduard Wilde gefahren – der Herr Schriftsteller war damals für kurze Zeit estnischer Botschafter in Deutschland. Der Pass der neuen Republik wurde mir in der Hildebrandstraße ohne viel Palaver ausgestellt. Oder genauer gesagt: gerade mit gehörigem Palaver. Denn der alte Herr – er schien seine sechzig auf dem Buckel zu haben, aber ich weiß nicht genau, wann er geboren ist –, der alte Herr geruhte in seiner unzufriedenen Langeweile sich eine Stunde lang mit mir zu unterhalten. Was für ein Mann ich sei, und was ich hier in Deutschland täte und warum ich unverzüglich hier aufgetaucht sei, um einen Pass der Republik Estland zu beantragen. Also gab ich Erklärungen, nicht ohne mich meinerseits nach dem einen oder anderen zu erkundigen. Dass ich aus Naissaar gebürtig sei und dass Naissaar nun ein Teil der Republik Estland sei, wie mir Mutter ganz deutlich geschrieben hatte. Es sei also in jeder Hinsicht das Natürlichste von der Welt, wenn ich Bürger der Republik Estland würde. Wenn nun einmal überraschenderweise СКАЧАТЬ