Название: Politisch motivierte Kriminalität und Radikalisierung
Автор: Stefan Goertz
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Grundlagen der Kriminalistik
isbn: 9783783213515
isbn:
Anmerkungen
Ebd. S. 14.
Goertz 2017d, S. 15.
III Islamismus, Salafismus und islamistischer Terrorismus › 1. Der Phänomenbereich Islamismus › 1.2 Der Phänomenbereich Salafismus
1.2 Der Phänomenbereich Salafismus
Das Bundesamt für Verfassungsschutz definiert Salafismus wie folgt:
Salafismus ist eine fundamentalistische islamistische Ideologie und zugleich eine extremistische moderne Gegenkultur mit markanten Alleinstellungsmerkmalen (Kleidung und Sprache)[1].
Einleitend muss festgestellt werden, dass der Salafismus keine strukturierte Organisation oder Denkschule, sondern viel mehr „ein Trend, eine Geisteshaltung, eine dogmatische Verbindung zu den Grundlagen der Religion“ ist.[2] Während sich manche Anhänger und Mitglieder des islamistischen Spektrums des Salafismus selbst als „Salafi“ bezeichnen, nutzen die meisten europäischen und deutschen salafistischen Organisationen, Netzwerke, Gruppen und Einzelpersonen nicht offen den Begriff „Salafi“, sondern sprechen vom „wahren Islam“ bzw. der „wahren Religion“ und von sich selbst als den „wahren Muslimen“, womit sie sich von angeblich „unwahren“ islamischen Ausprägungen und von jeder anderen Religion abgrenzen.[3] Aus dem Arabischen werden die „Salaf“ in der Regel als die „frommen Altvorderen“ übersetzt und als „die Gefährten Mohammeds“ verstanden.[4] Historisch berufen sich die zeitgenössischen Salafisten auf „die frommen Altvorderen der ersten drei Generationen der Muslime nach Mohammed“[5], wobei es allerdings keinen Konsens über die genaue Zeitspanne gibt.[6]
Grundsätzlich muss die gegenwärtige salafistische Szene in Europa und Deutschland als organisatorisch äußerst heterogen und eher regional vernetzt beschrieben werden. Religiös-theologisch allerdings orientieren sich quasi alle Salafisten an den Lehren des Wahhabismus[7] und der Salafiya.[8] Entsprechend bezeichnet der salafistische Phänomenbereich Allah als einzig legitimen Gesetzgeber, mit dem Koran, der Sunna und der Sharia als allein rechtmäßigem Ordnungs- und Regelsystem. Sowohl die Salafiya als auch der Wahhabismus orientieren sich am „Ideal“ der muslimischen Ur-Gemeinde in Medina und kritisieren beide die Aufspaltung der sunnitischen Muslime in verschiedene Rechtsschulen. Sowohl die Salafiya als auch der Wahhabismus ziehen die „reine Glaubenslehre“ (aqida) der Rechtswissenschaft (fiqh) vor. Der Monotheismus (tauhid) steht im Mittelpunkt der Salafiya. Ebenso wird die Unterscheidung zwischen den historisch unterschiedlich gewachsenen islamischen Rechtsschulen kritisiert und so folgt sie keiner dieser Rechtsschulen, sondern exklusiv einer eigenständigen Rechtsfindung unter Beachtung des Koran, der Sunna und der geschichtlichen Überlieferungen der „rechtschaffenen Altvorderen“.[9]
Die augenblicklich in Europa agierenden Salafisten glorifizieren einen stilisierten, idealisierten Ur-Islam des siebten und achten Jahrhunderts und streben diesen als Blaupause für eine Umgestaltung von Staat und Gesellschaft auf der Grundlage ihrer Interpretation islamischer Werte und Normen an.[10] Die salafistischen Interpretationen des Islam streben eine „Reinigung“ des Islam und die Wiederherstellung eines Islam in seiner als „ursprünglich“ und Mohammed gerecht werdenden Form an. Daher orientieren sich die salafistischen Islaminterpretationen an der religiösen Praxis und Lebensführung des Propheten Mohammed sowie der sog. rechtschaffenen Altvorderen (al-salaf al-salih), da diese drei Generationen auf Grund ihrer zeitlichen Nähe zum Leben Mohammeds im 8. und 9. Jahrhundert n. Chr. noch einen „reinen Islam“ praktiziert hätten. Dieser Rückbezug auf Mohammed und seine Gefährten – die Altvorderen – bedeutet, dass lediglich der Koran und die Sunna als islamische religiöse Quellen anerkannt werden.
Zusammenfassend: Salafisten erschaffen eine simplifizierende Dichotomie von „gut“ oder „böse“. Dadurch erkennen sie nur noch ein „richtig oder falsch“, was ein ausgeprägtes Freund-Feind-Denken entstehen lässt. Aus diesem dichotomen Weltbild von „gut“ und „böse“ heraus entwickeln sie ein (elitäres) Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen Muslimen und vor allem gegenüber Nichtmuslimen. Diese Dichotomie ist zugleich auch ein taktisches Mittel innerhalb des salafistischen Milieus, um komplexe Fragestellungen unzulässig zu simplifzieren und propagandistisch, radikalisierend im Sinne der salafistischen Ideologie beantworten. Die salafistischen Simplifizierungen und Dichotomien fördern dabei auch sehr stark eine Rekrutierung und Radikalisierung von neuen, gewaltbereiten Salafisten und potenziellen Terroristen.[11]
Anmerkungen
BfV 2016a, S. 170.
Roy 2006, S. 231; Farschid 2014, S. 160-192; Goertz 2017d, S. 16.
Ebd.
Ebd.
„Die besten in meiner Ummah sind diejenigen in meiner Epoche, dann diejenigen, die nach ihnen folgen, dann diejenigen, die nach ihnen folgen.“ Sahih Al-Bukhari Hadith Nr. 3728.
Der Tod von Ahmad Ibn Hanbal, dem Begründer der hanbalitischen Rechtsschule – verstorben 855 n. Chr. – wird nach dem gängigen Verständnis der Salafiya als das Ende der letzten Generation der Altvorderen betrachtet. Goertz 2017d, S. 16.
Wagemakers 2012, S. 6.
Roy 2006, S. 231. Zu den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Salafiya und der Wahhabiya als religiös-ideologischem Hintergrund des politischen Salafismus siehe u.a. Wagemakers 2012, S. СКАЧАТЬ