Fremdsprachendidaktik als Wissenschaft und Ausbildungsdisziplin. Группа авторов
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СКАЧАТЬ einseitige vertretung seines faches nicht zu vermeiden ist. (Walter, 1912, VII)

      In seiner ausführlichen Besprechung von Walters (1912) Schrift in der Erstauflage, in der er sich Walters Plädoyer für stärker diskursive Lehrformate mit Nachdruck anschließt, schildert Klinghardt eine uns aus heutiger Sicht übertrieben scheinende Charakterisierung üblicher akademischer Lehre:

      Der professor sitzt auf dem katheder und liest mehr oder weniger frei aus seinem hefte vor. Der student sitzt unten vor ihm und schreibt – um nicht zu sagen „schmiert“ – mehr oder weniger sklavisch und mechanisch in sein heft ein; alle worte des professors, die er hier nicht schwarz auf weiss zu fixieren vermag, sind für ihn verloren. (Klinghardt, 1901/02, S. 32)

      Wenn der Student dann später anhand seiner Notizen den Stoff wiederholen wolle, könne er mit der wenig leserlichen Mitschrift nicht viel anfangen, und die Vorlesung habe letztendlich für ihn keinen Nutzen (ebd.). Walters Vorschläge blieben jedoch nicht unwidersprochen. In einer weiteren Rezension derselben Schrift beklagt der Verfasser, dass Walters Vorschläge, zu denen u. a. die Einrichtung einer universitätseigenen Druckerei zur Herstellung von Vorlesungsskripten für die Studierenden (vgl. Walter, 1912, S. 13) und die Gewährung von Auslandsstipendien zählen (vgl. ebd., S. 14), nichts weniger bedeuten „als eine vollständige umänderung des gesamten auf jahrhundertelanger überlieferung beruhenden unterrichtsbetriebes der deutschen universitäten“ (Stimmig, 1901/02, S. 36). Man mag sich fragen, was Stimmig von der Forderung Waetzoldts gehalten hätte, der bereits 1892 überlegte, ob Vorlesungen auch in französischer und englischer Sprache gehalten werden sollten (vgl. Waetzoldt, 1892, S. 33).

      Im Reformdiskurs gab es eigentlich nur ein Thema, bei dem die unterschiedlichen Positionen weniger hart aufeinanderprallten, nämlich das der Notwendigkeit eines Auslandsaufenthaltes für angehende oder bereits im Schuldienst befindliche Fremdsprachenlehrer. Auch wenn die Reformgegner mehr Wert auf die gründliche philologische Vorbildung der Französisch- und Englischlehrer legten als auf deren Sprachkönnen und Realienkenntnis, so erkannten doch auch sie den Wert der realen Begegnung mit Zielsprache und Zielkultur an. Schon 1887 forderte Schröer, der nicht zum Kern der Neusprachenreform zu zählen ist, dass jeder Schulamtskandidat der englischen Philologie nach England gehen solle und nicht nur besonders Auserwählte (vgl. Schröer, 1887, S. 36f.), wie Herrig und Viehoff schon 1848 angemahnt hatten (vgl. Herrig & Viehoff, 1848, S. 229; 231). Schröer schlägt vor, dass deutsche Lehrer an englischen Schulen unterrichten könnten, um ihren Auslandsaufenthalt zu finanzieren; damit bringt er eine Idee ein, die heute im Pädagogischen Austauschdienst (PAD) realisiert ist.

      Neben den offenkundigen Zielen, vor Ort die fremde Sprache vor allem in der mündlichen Kommunikation zu üben sowie Sitten und Gebräuche im anderen Land kennen zu lernen, sahen einige auch Aspekte der Völkerverständigung und Friedenssicherung gegeben: „Wir hoffen von ihnen [= den Neuphilologen] einen großen Einfluß auf die Stellung der Völker unter einander: Wir sehen in ihnen die mächtigste Friedensarmee“ (Schmeding, 1889, S. 94). Der Erste Weltkrieg hat diese Hoffnung 25 Jahre später zerbrechen lassen.

      Betrachtet man die Einrichtung von Ferienkursen für Lehrer im In- und Ausland, die in den Fachzeitschriften regelmäßig enthaltenen detaillierten Informationen über Beherbergungs- und Kontaktmöglichkeiten in Zielländern, die Gewährung von Reisestipendien in den Jahrzehnten zwischen 1880 und 1914 und die breite Palette an Berichten über Fremdsprachenunterricht und Fremdsprachenlehrerbildung in anderen Ländern, dann wird offenbar, dass in der Zeit der neusprachlichen Reform zum ersten Mal ein über die Ländergrenzen hinweg stattfindender Austausch zu diesen Fragen, ein Lernen vom Nachbarn und ein internationaler Diskurs zu Bildungs- und Ausbildungsfragen stattfand (dazu Klippel, 2020).

      2.4 Forschung

      Weder Reformgegner noch Reformer plädierten für eine Rückkehr zum alten Konzept des Sprachmeisters aus früheren Jahrhunderten, der allein kraft seiner eigenen muttersprachlichen oder erworbenen Sprachkompetenz lehrt. Vielmehr ist man sich darin einig, dass Französisch- und Englischlehrer an den höheren Schulen wissenschaftlich gebildet sein müssen. “Zum Lehrer eines Gymnasiums oder Realgymnasiums taugt nur, wer wissenschaftlich geschult ist und wissenschaftliches Verständnis der Materien besitzt, welche er lehren soll“ (Körting, 1887, S. 40). Dieses wissenschaftliche Verständnis des Faches setzt den Neusprachler dem Altsprachler gleich. Es führt aber auch dazu, dass zahlreiche Lehrer der damaligen Zeit forscherisch tätig wurden. Das zeigt sich zum ersten an dem großen Anteil promovierter Fremdsprachenlehrer, wie dies aus den Mitgliederlisten des Allgemeinen Deutschen Neuphilologenverbandes ersichtlich wird: Von den 2182 Mitgliedern des Verbandes, die der Konferenzbericht zur 14. Versammlung 1910 in Zürich auflistet, tragen weitaus mehr als die Hälfte einen Doktortitel (vgl. Vorstand des Allgemeinen Deutschen Neuphilologenverbands, 1911, S. 137-173). Zum zweiten ist die Publikationstätigkeit der Lehrer jener Zeit erheblich: Allein zum Thema der Neusprachenreform verzeichnet die Bibliographie von Breymann (1895 und 1900) für den Zeitraum von 1875 bis 1899 über 1200 theoretische Veröffentlichungen in Fachzeitschriften, Schulprogrammen und Einzelpublikationen. Ein Großteil dieser Schriften wurde von Lehrern verfasst. Körting sieht denn auch in der wissenschaftlichen Tätigkeit einen Weg zur Erfüllung im Beruf:

      Der Gymnasiallehrer, welcher nicht wissenschaftlich arbeitet, wird nothwendigerweise zum Routinier, zum Handwerker und noch dazu meist zu einem Handwerker, der sein Handwerk ohne Liebe, vielleicht sogar mit innerem Widerwillen eben nur des Brotverdienstes willen betreibt. Nur durch wissenschaftliche Arbeit wahrt der Gymnasiallehrer sich die Berufsthätigkeit und die Berufsfreudigkeit. Nicht freilich, als ob ein jeder schriftstellerisch thätig sein müsste. Das kann unmöglich gefordert werden, denn das ist nur dem möglich, der besondere Neigung und Begabung dazu besitzt. Aber ein Jeder soll irgend etwas arbeiten, soll das Fortschreiten seiner Fachwissenschaft verfolgen, soll darnach streben, auch in irgend ein Einzelgebiet derselben, und wäre es ein noch so eng begrenztes, so tief einzudringen und es so vollständig zu beherrschen, wie er es nur irgend vermag. (Körting, 1887, S. 40f.)

      In die Reformzeit fallen auch die Anfänge der Lehrerforschung, im Rahmen derer Fremdsprachenlehrer ihren eigenen Unterricht über einen langen Zeitraum hin beobachten, dokumentieren, analysieren und ggf. verändern (dazu Klippel, 2013). Am bekanntesten ist wohl das mehrjährige Unterrichtsprojekt von Hermann Klinghardt (1888), der aber nur einer der vielen experimentierfreudigen Lehrer der Zeit war.

      Von Forschung zur Lehrerbildung kann man bei den meisten Veröffentlichungen zum Thema aus der Zeit vor 1914 nach heutigem Verständnis wohl kaum sprechen, wenngleich sich in einigen der Grundsatzüberlegungen, so etwa bei Körting (1887) oder Schröer (1887) durchaus Ansätze für eine theoretisch-konzeptuelle Darstellung erkennen lassen. Insofern lag der Schwerpunkt vor gut 120 Jahren auf ganz anderen Gebieten als heute. Vergleicht man die wissenschaftliche Diskussion zum Fremdsprachenlehrer-Werden und Fremdsprachenlehrer-Sein damals und heute, wie sie Caspari (2016) prägnant in zehn Thesen zusammengefasst hat, so fällt vor allem auf, dass die Innensicht auf den Lehrerberuf heute wesentlich stärker berücksichtigt wird. Dass es im Hinblick auf die Forschungsansätze große Unterschiede gibt, ist nicht verwunderlich; schließlich steckte die empirische Forschung in den Geisteswissenschaften damals noch in den Kinderschuhen. Historische Forschung zu Fremdsprachenlehrern war damals wie heute rar. Die Geschichte der Fremdsprachenlehrerbildung verdient jedoch mehr Aufmerksamkeit, denn in ihr zeigen sich Grundmuster, die uns bis heute begleiten.

      Literatur

      Brandl, Alois (1907). Neuere Sprachen. In Versammlung Deutscher Philologen und Schulmänner (Hrsg.) Universität und Schule. Vorträge auf der Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner am 25. September 1907 zu Basel (S. 23-31). Leipzig und Berlin: Teubner.

      Bratuschek, Ernst (Hrsg.) (1877). Böckh, August: Encyklopädie und Methodologie der philologischen Wissenschaften. Leipzig: Teubner.

      Breymann, СКАЧАТЬ