Erstellung von Fragebogen. K. Wolfgang Kallus
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Название: Erstellung von Fragebogen

Автор: K. Wolfgang Kallus

Издательство: Bookwire

Жанр: Социология

Серия:

isbn: 9783846344651

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      Zentral für die Testentwicklung ist zudem, dass Items als Frage-Antwort-Einheiten auch in Bezug auf ihre sprachlich-grammatikalische Struktur, das Rating-Format und die Wortwahl als Stichprobe aus einem Pool möglicher ähnlicher Items gedacht werden. Items mit ähnlichem Inhalt, aber geändertem Antwortformat oder geänderter grammatikalischer Struktur gehören nicht zwingend in dieselbe Gruppe.

      Ein wichtiges Beispiel betrifft die mit Negationen formulierten Items. Sprachliche Negationen stellen keine „einfache“ logische Umkehrung dar und sind daher nicht geeignet, Antworttendenzen wie die Tendenz zur Zustimmung abzufangen. Bei einfachen Aussagen wie „Ich mag Skifahren“ („gar nicht“ … „sehr stark“) und „Ich mag Skifahren nicht“ („gar nicht“ … „sehr stark“) wird die Problematik der Negation bereits deutlich. Der Satz „Ich mag Skifahren nicht“ mit der Antwort „gar nicht“ stellt keine angemessene Reformulierung zu „Ich mag Skifahren sehr“ dar. Die Diskussionen über Arbeitszufriedenheit und -unzufriedenheit als zwei relativ unabhängige Dimensionen (Herzberg, 1966) zeigen auf, dass Zufriedenheit und die sprachliche Negation Unzufriedenheit psychologisch kein bipolares Konstrukt darstellen. Interessanterweise zeigen Analysen von Fragebogen in linearen Strukturmodellen immer wieder, dass positiv und negativ formulierte Items dazu tendieren, eigene Faktoren zu bilden (Eid & Schmidt, 2014). Ein empirisches Beispiel dazu liefert die aktuelle Diskussion zur Frage „Engagement als Gegenpol von Burnout“ (Maslach & Leiter, 2008). Mit den methodischen Problemen bei der Messung von bipolaren Merkmalen haben sich z. B. Marsh (1996) und Dunbar, Ford, Hunt und Der (2000) auseinandergesetzt. Auch hier ergibt sich für die negativ formulierten Items ein eigener Faktor. Insbesondere Häufigkeitsskalen tendieren dazu, „scheinbare“ Bipolaritäten aufzulösen. Beanspruchung und Erholung können innerhalb eines Tages „gemeinsam“ variieren. Bestimmte Sportaktivitäten können sogar gleichzeitig (körperlich) hoch beanspruchend und psychisch-emotional extrem erholsam sein.

      2.3 Interviews zur Präzisierung des Merkmalsbereiches

      Als klassische Ansätze zur Präzisierung von Merkmalsbereichen haben sich neben der Operationalisierung, die auf theoretischen Modellen basiert, eine ExpertInnenbefragung mittels Interview oder die Strukturierung des Problemfeldes durch Interviewstudien etabliert.

      Ein vorbildlich nach diesem Modell entwickeltes Fragebogenverfahren ist das FIMEST (Fragebogeninventar zur Messung der Angst vor Sterben und Tod) von Wittkowski (1996). Aufgrund des schwierigen und komplexen Gegenstandsbereichs war hier eine intensive Vorarbeit mit Tiefeninterviews sinnvoll (Wittkowski, 1994).

      Wissenschaftliche Interviewstudien haben den ersten Schritt zur theoretischen Aufarbeitung des Merkmalsbereiches bereits vollzogen, wenn die Interviewthemenbereiche und der Interviewleitfaden festgelegt sind. Aus den Interviews lassen sich dann weitere Facetten und Ergänzungen oder Einschränkungen des Themenbereichs ableiten. Einen wesentlichen Vorteil der Interviewmethodik für die Fragebogenentwicklung stellt der aus den Interviews ableitbare Pool der „prägnanten Aussagen“ dar, der für die Formulierung von Items eine hilfreiche Ressource darstellt. Eine inhaltsanalytische Auswertung trägt zudem wesentlich zur Präzisierung des Merkmalsbereiches bei und bringt automatisch die Perspektive der Befragten in die Testentwicklung ein. Wittkowski hat sowohl die Interviewtechnik in der Arbeit „Das Interview in der Psychologie“ (1994) sehr gut dokumentiert als auch die auf Basis von Interviewdaten erfolgte Fragebogenentwicklung beispielhaft im Manual zum „Fragebogeninventar zur Messung der Angst vor Sterben und Tod“ (FIMEST; Wittkowski, 1996) dargestellt.

      Insbesondere die Frage zum Einsatz von Interview und/oder Fragebogen ist in vielen Fällen nach den initialen Interviews deutlich leichter entscheidbar. Viele Problemfelder haben sehr weitgehende privat-persönliche Facetten, die in Interviews aufscheinen und nicht in Fragebogen gehören. Sie sollten dort ausgeklammert werden oder lediglich in ihren indirekten Äußerungsformen erfragt werden. Dies begründet sich in der anonymen Befragungssituation der Fragebogenbeantwortung.

      Der oben skizzierte Erholungs-Belastungs-Fragebogen erfasst beispielsweise neben Beanspruchung auch den Erholungszustand. Erholung und Regeneration finden zu erheblichen Anteilen in nichtöffentlichen Bereichen des individuellen, zum Teil intimen Privatlebens statt. Diese Facetten von Erholung sind im Fragebogen nicht erfassbar. Stattdessen sind (ggf. in strukturierter Form) persönliche Interviews die geeignetere Methode zur Untersuchung der eher „privaten“ Facetten von Erholung. Andere Methoden sind für den persönlichen Bereich berufsethisch aus Sicht der Psychologie kaum vertretbar (dies gilt auch für anonyme Interviewformen wie Telefon- oder Internetinterviews).

      Im Bereich der angewandten Forschung erlauben Interviews zudem eine Anpassung und Konkretisierung von theoretischen Konzepten an das jeweilige Arbeitsfeld. Zu diesem Zweck bietet sich an, im Anwendungsfeld mit Betroffenen, AusbilderInnen und Vorgesetzten gezielt Interviews durchzuführen. Dabei sind unstrukturierte Vorgehensweisen zu vermeiden, und es empfiehlt sich der Einsatz eines zweistufigen halbstrukturierten Interviews.

      In der ersten Stufe werden gezielt Fragen zu den zu erfassenden Konzepten gestellt, die den Charakter offener Fragen mit wenigen Entweder-oder-Antworten haben. Wichtig ist dabei, den Bereich gezielt einzugrenzen. Diese Eingrenzung ist wie beim arbeitsanalytischen (Rekonstruktions-)Interview mit dem Critical-Incident-Ansatz (vgl. Flanagan, 1954) in einfacher Weise umsetzbar.

      Die Critical-Incident-Technik erfragt von ExpertInnen, wie ein Ablauf unter optimalen Bedingungen aussieht und worin sich ungünstige, problematische oder falsche Abläufe davon abheben. Nach 4 bis 6 Interviews findet eine inhaltsanalytische Zwischenauswertung statt.

      Eine Methode zur Analyse der Interviewdaten stellen an die Grounded Theory (Strauss & Corbin, 1996) oder an verwandte Ansätze (Mayring, 2009) angelehnte „Auswertungen“ dar, die jedoch in diesem Stadium noch ergänzt und präzisiert werden können.

      Bei der Auswahl der ExpertInnen sollten die entscheidenden Zielgruppen mindestens durch eine qualifizierte/typische Person vertreten sein. Die Interviewfragen werden dann entsprechend der Perspektive (Leitung/Management/MitarbeiterInnen/ KundInnen/Administration/Qualitätsmanagement/Sicherheits- und Gesundheitsbeauftragte/LehrerInnen – Schulleitung/Administration – SchülerInnen – Eltern/BeraterInnen) formuliert. Die unterschiedlichen Perspektiven sind zur Eingrenzung des Merkmalsbereiches auch dann sinnvoll, wenn der Fragebogen nur für ausgewählte Personen (z. B. SchülerInnen) entwickelt werden soll. In einem frühen Stadium sollten die unterschiedlichen Merkmalsfacetten möglichst umfassend abgebildet werden. Dabei sind nicht nur Übereinstimmungen von Bedeutung, sondern auch unterschiedliche und widersprüchliche Sichtweisen. Arbeiten zum 360°-Feedback werden gerade deshalb vorgenommen, um die unterschiedlichen Sichtweisen zu erfassen. Die Aussagen von Vorgesetzten und MitarbeiterInnen zeigen in der Regel unterschiedliche Sichtweisen und damit verbunden auch unterschiedliche Validitäten.

      In der zweiten Stufe werden dann mehr Personen in die Interviews einbezogen, wobei hier der Leitfaden für die Interviews insgesamt stärker strukturiert ist und durch Hauptfragen mit optionalen Unterfragen sicherstellt, dass die relevanten Bereiche für die Auswertung im Interview auch angesprochen werden. Als Beispiel sei auf den Test zur Erfassung von Mobbingverhalten am Arbeitsplatz verwiesen (TEMA; Kolodej, Essler & Kallus, 2010).

      2.4 Workshop-Methoden

      In der Praxis steht oft nur eine kurze Zeit für die Entwicklungsarbeit eines Fragebogens zur Verfügung. Um in kurzer Zeit die relevanten Merkmalsfacetten zu erfassen, ist der Einsatz von Gruppeninterviews oder Workshops die Methode der Wahl. Über die Workshop-Methodik lässt sich ein Prozedere ableiten, das von ExpertInnen erfolgreich zur zeitgerechten Entwicklung von kundInnenorientierten Fragebogen eingesetzt werden kann. Die Ergebnisse aus den Workshops und daraus abgeleitete Items und Subtests erlauben eine systematische Entwicklung von Fragebogen für die Anwendung in Industrie und Organisationen.

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