Propaganda 4.0. Johannes Hillje
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Название: Propaganda 4.0

Автор: Johannes Hillje

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежная публицистика

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isbn: 9783801270391

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СКАЧАТЬ Journalisten ist er ein guter Populist, weil er verständlich und identifikationsstiftend daherrede. Beiden Einlassungen ist gemein, dass sie Populismus anhand von Stilmitteln, also Formen der politischen Kommunikation, diagnostizieren. Ob diese Stilmittel legitim (Verständlichkeit) oder illegitim (Lügen) sind, ist dabei unerheblich: Populismus wird nach diesem Verständnis über die Form und nicht über den Inhalt definiert. Das Problem jedoch ist, dass dabei der Wesenskern des Populismus ignoriert wird. Halbwahrheiten sind nicht das Alleinstellungsmerkmal von Populisten, auch nicht die Vereinfachung, das manichäische Denken in »Gut« und »Böse« oder die Emotionalisierung. Genauso wenig der Appell an Gefühle, Angst genauso wie Mut oder die Schaffung kollektiver Identitäten, also das Stiften eines »Wir«-Gefühls: Das sind zunächst einmal Stilmittel der politischen Kommunikation – ungeachtet dessen, ob sie vertretbar oder verwerflich sind –, derer sich die allermeisten Parteien und Bewegungen bedienen, um überhaupt gemeinsam agieren zu können (kollektive Identität), nach innen und außen verstanden zu werden (Vereinfachung) und Unterstützung zu mobilisieren (Emotionalität). Eine brauchbare Unterscheidung zwischen Populisten und Nicht-Populisten muss darauf abstellen, was gesagt wird, nicht allein wie es gesagt wird. Nicht der Stil ist das entscheidene Disktionsmittel, sondern der Inhalt. Indem man Martin Schulz, Horst Seehofer, Sahra Wagenknecht oder Joschka Fischer als Sozial-, Rechts-, Links- oder Ökopopulisten bezeichnet, stellt man die tatsächlichen Rechtspopulisten in eine Reihe mit Demokraten. Die Definition über Stilmittel gliedert demokratiegefährdende Rechtspopulisten in das demokratische Spektrum ein. Bemisst man Populismus jedoch an seinen Inhalten, tritt sein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu anderen Kräften gut ersichtlich hervor. Inhalte leiten sich bei politischen Bewegungen nicht selten aus einer Ideologie ab. Ideologien sind der Humus, aus denen eine politische Strömung ihre »Wahrheiten« zieht. Um es mit dem britischen Kulturtheoretiker Raymond Williams zu verdeutlichen: Ideologie ist »ein System von Überzeugen, Werten und Ideen, das charakteristisch für eine bestimmte Gruppe, Partei oder Bewegung ist«.12 Die Ideologie wird zur Erklärungsgrundlage dafür, warum die Welt ist, wie sie ist und zu einem Filter, durch den die eigenen Erfahrungen interpretiert und verstanden werden. Die Ideologie einer Gruppe ist somit auch die in Anspruch genommene Wahrheit dieser Gruppe. Diese ideologische Wahrheit gründet häufig auf Glaubensgrundsätzen (zum Beispiel »Der Markt regelt das.«), die nicht immer mit einfachen Fakten zu widerlegen sind. Warum dieser Exkurs zum Ideologie-Begriff? Weil er hilft, den Kern von Populismus zu verstehen. Der Politologe Cas Mudde definiert Populismus, unabhängig davon ob er von rechts oder links kommt, als »eine dünne Ideologie, welche die Gesellschaft in zwei homogene und antagonistische Gruppen einteilt – das ›wahre Volk‹ und die ›korrupte Elite‹ – und argumentiert, dass Politik der Ausdruck des ›volonté générale‹ des Volkes sein sollte.«13

      Der ideologische Nukleus des Populismus beruht also zunächst auf einer romantischen Verklärung des Volkes, einem Mythos, der eine Fiktion zum Fakt erklärt. Dieser kontrafaktische Kern des Populismus lautet: Das Volk ist homogen und handelt moralisch, arbeitet hart, verhält sich stets ehrlich, rational und anständig und wird deshalb immer die richtigen Entscheidungen treffen. Wer sich dem Volk zugehörig fühlt, darf sich an dieser Stelle vom Populismus geschmeichelt fühlen. Doch die Gemütslage des Volkes ist im Populismus wenig beschwingt. Das Volk ist wütend, denn es muss sich mit einem Problem herumschlagen, ohne dass der Populismus nicht lebensfähig wäre: Das moralische Volk wird von einer unmoralischen Elite unterdrückt. Politik, Lobbyismus, Konzerne, Medien, Bürokratie in gläsernen Brüsseler Bürotürmen – die »Elite« ist das Sammelbecken, in das der Populismus all seine Feinde wirft. Ihr verbindendes Merkmal ist, dass sie das Volk betrügen, mehr sogar, es aussaugen wie ein Vampir, etwa durch zu hohe Steuern oder Freiheitseinschränkungen. Oder sie wollen das Volk komplett abschaffen, durch das Anwerben von Millionen Migranten. In dieser Unterjochung durch die Elite gärt eine Wut, die sich bis in die Ablehnung des gesamten Systems steigern kann, in jedem Fall aber zur Voraussetzung für eine Revolte gegen die bestehenden Verhältnisse taugt.

      Das Volk, das wie Jan-Werner Müller treffend anmerkte ein »Fake Volk« ist, da es auf der Annahme falscher Tatsachen beruht (homogen, ein Wille, rational), steht also einer parasitären Elite gegenüber. Dieses Fundament jeder Form des Populismus ist kein sonderlich komplexes Glaubenskonstrukt. Cas Mudde spezifiziert Populismus daher als eine »dünne Ideologie«, ein Begriff des Ideologietheoretikers Michael Freeden.14 Eben diese Eingängigkeit macht Populismus so einladend für Strömungen ganz unterschiedlicher Art. So lässt sich die simple Idee des Antagonismus von »Volk« und »Elite« bei Bewegungen und Parteien erkennen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Zum Beispiel bei der von Bauern angeführten »People’s Party« in den USA im 19. Jahrhundert, eine Art Agrarpopulismus. Oder den »Narodniki« (Volkstümler, Volksfreunde), eine Gruppe junger Intellektueller, die sich in den 1890er-Jahren in Russland zusammenschloss. Ebenso bei den französischen »Poujadisten«, eine Anti-Steuer-Bewegung von Händlern und Handwerkern in den 1950er-Jahren.

      Über den zentralen Bezug auf das »einfache Volk« hinaus hatten diese drei Bewegungen wenig gemeinsam. Das heißt auch, dass der kleine ideologische Kern des Populismus mit weiteren Überzeugungen angedickt wird. Mit anderen Worten: Der Populismus braucht einen »Wirt«, der etwa in Form von Sozialismus, Nationalismus oder rechtem Extremismus in Erscheinung tritt, woraus dann ein links- beziehungsweise rechtsgerichteter Populismus entsteht. Die Wirte des Populismus geben Auskunft darüber, wer eigentlich genau das Volk sein soll. Weil der Populismus das offen lässt, ist er paarungsfähig mit Ideologien, die eine präzise Vorstellung vom Volk haben. Die Bestimmung dessen, was eine Gemeinschaft ist, läuft dabei zuverlässig über die Eingrenzung derjenigen, die dazugehören, und die Ausgrenzung jener, die nicht dazuzählen. Ingroup und Outgroup, »wir« gegen »die«. Der Linkspopulist macht diese Unterscheidung klassischerweise von der sozialen Schicht abhängig. Das Volk im Linkspopulismus ist arm und wird ausgebeutet vom Finanzkapitalismus oder den Reichen, die große Konzerne und große Yachten besitzen. Im Rechtspopulismus wird das Volk ethnisch vermessen. Ob ein Mensch zum Volk gehört, wird durch das Blut bestimmt, das durch seine Venen fließt, durch seine Ethnizität. Diese Ideologie nennt Cas Mudde Nativismus, kurz gesagt, eine Kombination aus Xenophobie und Nationalismus. Laut Cas Mudde mischen radikale rechtspopulistische Parteien zur populistischen Basisideologie nicht nur Nativismus, sondern auch Zutaten des Autoritarismus. Rechtspopulismus ist allerdings in seiner Reinform nicht gleich antidemokratisch, seine Strategie besteht vielmehr darin die Trennlinie von gerade noch und eindeutig nicht demokratischen Positionen zu verwischen. Aus der Mauer, die Demokraten vom Rechtsextremismus trennt, will der Rechtspopulismus einen fließenden Übergang, einen grenzfreien Verkehr machen. Er formuliert seine offizielle Programmatik bewusst moderater, verharmlost sich selbst als »konserativ« oder »bürgerlich« und baut dabei im Hintergrund dem Rechtsradikalismus eine Brücke in die Mitte der Gesellschaft. Rechtspopulismus schafft ein »Kontinuum« von demokratischen bis extremistischen Positionen.15 Diese Strategie ist dann erfolgreich, wenn rechtspopulistische Parteien ein Wahlpotenzial vom rechten Rand bis tief in die Mitte der Gesellschaft (und mitunter sogar darüberhinaus) ausschöpfen können. Auch die AfD baut diese Brücke über das demokratische Spektrum hinaus: Der Verfassungschutz hat eindeutige rechtsextremistische Bestrebungen in Teilen der Partei identifiziert. Bei radikalen wie auch weniger radikalen Personen der Partei, beispielsweise Björn Höcke und Beatrix von Storch, findet gleichermaßen das Konzept des »Ethnopluralismus« aus dem Kreis der Neuen Rechten16 Unterstützung. Ethnopluralismus ist ein freundlich verpackter Rassismus. Statt von »Rasse« spricht er von »Kultur«. Er akzeptiert die Vielfalt von Völkern und ihrer Kulturen, hält sie aber für grundsätzlich inkompatibel, weshalb sie fein säuberlich getrennt voneinander existieren müssten. Deutschland den Deutschen, Frankreich den Franzosen, Tunesien den Tunesiern. Das ist der Idealzustand des Ethnopluralismus. Nach der konsequenten Trennung der Ethnien gilt: Wir können Freunde bleiben.

      Bei der AfD lässt sich die ethnische Bestimmung des Volkes an ihrer Position zur deutschen Staatsbürgerschaft ablesen. Sie fordert in ihrer Programmatik die Abkehr vom »Geburtsortprinzip« – also deutsch ist, wer in Deutschland geboren wird – und die Rückkehr zum »Abstammungsprinzip« – deutsch ist, wer deutsche Eltern hat. Dieser Logik folgend, referierte Björn Höcke am 7. Oktober 2015 СКАЧАТЬ