Название: Propaganda 4.0
Автор: Johannes Hillje
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежная публицистика
isbn: 9783801270391
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Während der erste Teil des Buches den Einfluss der AfD auf Öffentlichkeit und Politik beschreibt, widmet sich der zweite Teil der Medienstrategie der Partei, die diesem Einfluss zugrunde liegt. Die Kernthese lautet hierbei, dass die AfD und andere Rechtspopulisten eine neuartige Form der Propaganda etabliert haben. Diese Propaganda 4.0 ist einerseits durch ein doppeldeutiges, aber nicht widersprüchliches Verhältnis zu journalistischen Medien gekennzeichnet und andererseits durch den intensiv betriebenen Aufbau eigener Kommunikationskanäle, und damit einer alternativen Öffentlichkeit, einem alternativen Wahrheitssystem im digitalen Raum.
Im dritten und letzten Teil möchte ich eine Reihe von Denkanstößen zur Beschränkung des rechtspopulistischen Einflusses in unserer Gesellschaft anbieten. Dazu plädiere ich zunächst für ein Verständnis von Populismus als Ideologie, nicht als Stilmittel, um demokratiegefährdende Rechtspopulisten von nicht populistischen Kräften im politischen Diskurs isolieren zu können. Eine demokratisch gewählte Partei wie die AfD kann man nicht ausgrenzen, man muss sich von ihr abgrenzen. Und weil die repräsentative Demokratie eine kommunikative Demokratie sein muss, wie der Politologe Heinrich Oberreuter einst formulierte, beziehen sich meine Vorschläge vor allem darauf, wie eine Sprachlosigkeit zwischen Politik und Bevölkerung überwunden werden kann, die der Rechtspopulismus in eine Feindschaft überführen will. Statt Begriffe von Rechtspopulisten zu übernehmen, sollten demokratische Akteure sich viel stärker darauf konzentrieren, eine eigene positive Sprache für ihre Agenda zu entwickeln und verlorengegangene Deutungsfelder zurückzugewinnen (Framing und Reframing). Manche Reaktion auf den Einzug der AfD in den Bundestag deutet aber genau in die entgegengesetzte Richtung: Sigmar Gabriel übernahm im Dezember 2017 in einem Essay mit dem Titel »Sehnsucht nach Heimat« in vielen Teilen die Erzählung der Neuen Rechten über die Nicht-Schließung der deutschen Grenzen im Jahr 2015. Der ehemalige SPD-Vorsitzende sprach vom »Verlust jeglicher Ordnung« und »Extremform von Multikulti«. Gerade mit der Diskussion des Migrationsthemas auf einer kulturellen Ebene begeben sich Gabriel und andere Politiker auf das Diskursfeld, das von der AfD zugleich angelegt und bestellt wird – wo es folglich für die anderen Parteien kaum etwas zu ernten gibt und außerdem die Wurzeln der Migrationsherausforderung nicht einmal angesiedelt sind. Gabriel analysierte ferner, dass die SPD die Ehe für alle »emphatischer« gefeiert habe als die Durchsetzung des Mindestlohns. Hier tobt sich Gabriel in einer Interpretation aus, die der US-Politologe Mark Lilla als »linke Identitätspolitik« bezeichnet (»Gender-Toiletten«, »Black Lives Matter«, etc.) und als Ursache für Trumps Wahlerfolg populär gemacht hat.4 Statt die Gleichstellung von Minderheiten als Solidarität mit Marginalisierten und Unterpriveligierten zu verstehen, wird sie als Schlechterstellung von Mehrheiten gesehen. Auch wenn Gabriel in erster Linie seine eigene Wahlklientel im Blick haben mag, gibt er den Rechtspopulisten zumindestens indirekt recht und stützt ihre Einteilung der Gesellschaft in relevantere und irrelevantere Mitglieder. Die Aufwertung der einen Gruppe wird also gleichzeitig als Abwertung einer anderen gedacht. Die Gesellschaft als Paternoster. Nein, anders wird für die Sozialdemokraten ein Schuh draus: Sie hat Minderheiten nicht zu viel Aufmerksamkeit geschenkt, sondern Geringverdienern, Alten und Alleinerziehenden zu wenig. Politik, gerade die einer »Volkspartei«, muss beides leisten können. Gleichstellung von Minderheiten im singulären Sinne und Besserstellung von Schlechtergestellten im allgemeinen Sinne. Ein Gegeneinanderausspielen von gesellschaftlichen Gruppen sollte eine Volkspartei in ihrer Rhetorik vermeiden. Im Zentrum muss die Gleichheit aller stehen.
Neben dem Umgang anderer Parteien und Medien mit Rechtspopulismus wird das Thema der politischen Meinungsbildung im digitalen Raum einen prominenten Platz im letzten Kapitel einnehmen. Es scheint, als haben dort in den letzten Jahren antidemokratische Kräfte die Oberhand gewonnen. Teilweise mit dem Einsatz unlauterer Mittel wie Meinungsrobotern (Social Bots) oder der systematischen Verbreitung von Desinformation. Ich plädiere in diesem letzten Kapitel deshalb für die konsequente Durchsetzung demokratischer Prinzipien auf digitalen Plattformen, zum Beispiel sollten für digitale Wahlwerbung ähnliche Regeln wie für Wahlwerbung in traditionellen Medien und öffentlichem Raum greifen. Gleichzeitig muss das Böckenförde-Diktum genauso im Netz gelten: Ein demokratisches Ethos ist auch im digitalen Raum gefragt. Grundvoraussetzung für die Ausübung einer »digitalen Bürgerpflicht« ist die flächendeckende Ausbildung einer Informationskompetenz in unserer Gesellschaft, die mindestens drei Dinge umfassen sollte: digitale Zivilcourage und digitales Rechtsbewusstsein, etwa im Umgang mit »Hatespeech« und Desinformation, Basiskenntnisse über Algorithmen und die Mechanismen digitaler Informationsauswahl sowie eine kritische und aufgeklärte Haltung gegenüber Geschäftsmodelle, die auf der Monetarisierung privater Daten beruhen. Die Ansätze für eine bessere kommunikative Demokratie nenne ich im dritten Teil dieses Buches Demokratie 4.0.
Eine letzte Vorbemerkung: Als hauptberuflicher Kommunikationsberater verstehe ich unter politischer Kommunikation nicht allein die Vermittlung von Politik, sondern Politik an sich. Der demokratische Wettbewerb ist im Kern ein kommunikativer Wettbewerb, kein physischer oder militärischer. Ein Wettbewerb um Themen, Argumente, Deutungen, Aufmerksamkeit, Identitäten, Vertrauen, Allianzen und ganz wichtig: Werte. Sprache in der Politik bedeutet sprachliches Handeln. Und wer Politik für das Gemeinwohl machen möchte, muss diese Politik ansprechend ausbuchstabieren. Nach dem Prinzip: Worte wirken und Werte entscheiden. Schlussendlich gilt es ein kommunikatives Gegengift zum Rechtspopulismus zu entwickeln.
TEIL 1
DAS RENNEN NACH RECHTS
Der 15. März und der 7. Mai 2017 dürfen als Tage der kollektiven Trauma-Bewältigung in der europäischen Politik dokumentiert werden. Die Parlamentswahlen in den Niederlanden und die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen in Frankreich waren seltene Momente europäischer Innenpolitik. Ganz Europa hielt an diesen Abenden den Atem an. Denn anders als bei der im Herbst folgenden Bundestagswahl, drohte in diesem europäischen Frühling alles von innen zusammenzubrechen. Insbesondere die französischen Wählerinnen und Wähler stimmten nicht nur über das Schicksal ihres Landes, sondern über nicht weniger als die Zukunft des Kontinents ab: Gewinnt Le Pen, stirbt Europa. Im Jahr zuvor war Europa zweimal mit einem Schock aufgewacht – mit der Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA und der Abstimmung für den Brexit in Großbritannien. Nun endlich sollten die Wunden geheilt werden. Vermeintlich kam es so auch: Im März gewann Mark Rutte die holländischen Parlamentswahlen, sieben Wochen später wurde Emmanuel Macron zum neuen Präsidenten der französischen Republik gewählt. Europa atmete auf. Doch die Erleichterung lösten eigentlich nicht die Kandidaten aus, die gewonnen hatten, sondern diejenigen, die nicht gewonnen hatten: Geert Wilders und Marine Le Pen.
Würde man eine Psychologin fragen, wie man ein Trauma am besten bewältigt, würde diese vermutlich so etwas sagen wie: »Finden Sie zur Ruhe, bewegen Sie sich in gewohnten Bahnen und ganz wichtig: Denken Sie an Erfolge!« Es schien als hätten viele Kommentatoren vor diesen beiden Wahlen mit einem Psychologen gesprochen. Oder einem Motivationscaoch. СКАЧАТЬ