Meister Floh. Ein Märchen in sieben Abenteuern zweier Freunde. Textausgabe mit Anmerkungen/Worterklärungen, Literaturhinweisen und Nachwort. E. T. A. Hoffmann
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СКАЧАТЬ beiwohne. Diese Nichte sei aber solch ein schönes, anmutiges Mädchen und dabei so allerliebst geputzt, dass es gar nicht zu sagen. Die bewegliche Welt der jungen modernen [54]Herren, welche als tüchtige Konzertmeister in der Sozietät Ton und Takt anzugeben pflegen, strömte hin, und weil in dieser Welt nur die Extreme gelten, so weckte des Flohbändigers Nichte ein nie gesehenes Wunder. – Bald war es Ton, den Flohbändiger zu besuchen, wer seine Nichte nicht gesehen, durfte nicht mitsprechen, und so war dem Manne geholfen. Kein Mensch konnte sich übrigens in den Vornamen »Dörtje« finden, und da gerade zu der Zeit die herrliche Bethmann in der Rolle der Königin von Golkonda alle hohe Liebenswürdigkeit, alle hinreißende Anmut, alle weibliche Zartheit entwickelte, die dem Geschlecht nur eigen, und ein Ideal des unnennbaren Zaubers schien, mit dem ein weibliches Wesen alles zu entzücken vermag, so nannte man die Holländerin »Aline«.

      Zu der Zeit kam George Pepusch nach Berlin, Leuwenhöcks schöne Nichte war das Gespräch des Tages, und so wurde auch an der Wirtstafel des Hotels, in dem Pepusch sich einlogiert, beinahe von nichts anderm gesprochen als von dem kleinen reizenden Wunder, das alle Männer, jung und alt, ja selbst die Weiber entzücke. Man drang in Pepusch, sich nur gleich auf die höchste Spitze alles jetzigen Treibens in Berlin zu stellen und die schöne Holländerin zu sehen. – Pepusch hatte ein reizbares melancholisches Temperament; in jedem Genuss spürte er zu sehr den bittern Beigeschmack, der freilich aus dem schwarzen stygischen Bächlein kommt, das durch unser ganzes Leben rinnt, und das machte ihn finster, in sich gekehrt, ja oft ungerecht gegen alles, was ihn umgab. Man kann denken, dass auf diese Weise Pepusch wenig aufgelegt war, hübschen Mädchen nachzulaufen, er ging aber dennoch zu dem Flohbändiger, mehr um seine vorgefasste Meinung, dass auch hier, wie so [55]oft im Leben, nur ein seltsamer Wahn spuke, bewährt zu sehen, als des gefährlichen Wunders halber. Er fand die Holländerin gar hübsch, anmutig, angenehm, indem er sie aber betrachtete, musste er selbstgefällig seine Sagazität belächeln, vermöge der er schon erraten, dass die Köpfe, welche die Kleine vollends verdreht hatte, schon von Haus aus ziemlich wackeligt gewesen sein mussten.

      Die Schöne hatte den leichten, ungezwungenen Ton, der von der feinsten sozialen Bildung zeugt, ganz in ihrer Gewalt; mit jener liebenswürdigen Koketterie, die dem, dem sie vertraulich die Fingerspitze hinreicht, zugleich den Mut benimmt, sie zu erfassen, wusste das kleine holde Ding die sie von allen Seiten Bestürmenden ebenso anzuziehen als in den Grenzen des zartesten Anstandes zu erhalten.

      Niemand kümmerte sich um den fremden Pepusch, der Muße genug fand, die Schöne in ihrem ganzen Tun und Wesen zu beobachten. Indem er aber länger und länger ihr in das holde Gesichtchen kuckte, regte sich in dem tiefsten Hintergrunde des innern Sinnes eine dumpfe Erinnerung, als habe er die Holländerin irgendwo einmal gesehen, wiewohl in ganz andern Umgebungen und anders gekleidet, so wie es ihm war, als sei auch er damals ganz anders gestaltet gewesen. Vergebens quälte er sich ab, diese Erinnerungen zu irgendeiner Deutlichkeit zu bringen; wiewohl der Gedanke, dass er die Kleine wirklich schon gesehen, immer mehr an Festigkeit gewann. Das Blut stieg ihm ins Gesicht, als ihn endlich jemand leise anstieß und ihm ins Ohr lispelte: »Nicht wahr, Herr Philosoph, auch Sie hat der Blitzstrahl getroffen?« Es war sein Nachbar von der Wirtstafel her, dem er geäußert hatte, dass er die Ekstase, in die alles versetzt sei, für einen seltsamen Wahnsinn halte, der ebenso [56]schnell dahinschwinde als er entstehe. – Pepusch bemerkte, dass, während er die Kleine unverwandten Auges angestarrt, der Saal leer geworden, so dass eben die letzten Personen davonschritten. Erst jetzt schien die Holländerin ihn zu gewahren; sie grüßte ihn mit anmutiger Freundlichkeit. –

      Pepusch wurde die Holländerin nicht los; er marterte sich ab in der schlaflosen Nacht, um nur auf die Spur jener Erinnerung zu kommen, indessen vergebens. Der Anblick der Schönen konnte allein ihn auf jene Spur bringen, so dachte er ganz richtig und unterließ nicht, gleich andern Tages und dann alle folgende Tage zum Flohbändiger zu wandern und zwei – drei Stunden die hübsche Dörtje Elverdink anzustarren. –

      Kann der Mann den Gedanken an ein liebenswürdiges Frauenzimmer, das seine Aufmerksamkeit erregte auf diese, jene Weise, nicht loswerden, so ist das für ihn der erste Schritt zur Liebe, und so kam es denn auch, dass Pepusch in dem Augenblick, als er bloß jener dunklen Erinnerung nachzugrübeln glaubte, in die schöne Holländerin schon ganz verliebt war.

      Wer wollte sich jetzt noch um die Flöhe kümmern, über die die Holländerin, alles an sich ziehend, den glänzendsten Sieg davongetragen hatte. Der Flohbändiger fühlte selbst, dass er mit seinen Flöhen eine etwas alberne Rolle spiele, er sperrte daher seine Mannschaft bis auf andere Zeiten ein und gab mit vielem Geschick seinem Schauspiel eine andere Gestalt, der schönen Nichte aber die Hauptrolle.

      Der Flohbändiger hatte nämlich den glücklichen Gedanken gefasst, Abendunterhaltungen anzuordnen, auf die man sich mit einer ziemlich hohen Summe abonnierte und [57]in denen, nachdem er einige artige optische Kunststücke gezeigt, die fernere Unterhaltung der Gesellschaft seiner Nichte oblag. – In vollem Maß ließ die Schöne ihr soziales Talent glänzen, dann nützte sie aber die kleinste Stockung, um durch Gesang, den sie selbst auf der Gitarre begleitete, der Gesellschaft einen neuen Schwung zu geben. Ihre Stimme war nicht stark, ihre Methode nicht grandios, oft wider die Regel, aber der süße Ton, die Klarheit, Nettigkeit ihres Gesanges entsprach ganz ihrem holden Wesen, und vollends, wenn sie unter den schwarzen seidnen Wimpern den schmachtenden Blick wie feuchten Mondesstrahl hineinleuchten ließ unter die Zuhörer, da wurde jedem die Brust enge, und selbst der Tadel des eigensinnigsten Pedanten musste verstummen. –

      Pepusch setzte in diesen Abendunterhaltungen sein Studium eifrig fort, das heißt, er starrte zwei Stunden lang die Holländerin an, und verließ dann mit den Übrigen den Saal.

      Einmal stand er der Holländerin näher als gewöhnlich und hörte deutlich, wie sie zu einem jungen Manne sprach: »Sagen Sie mir, wer ist dieses leblose Gespenst, das mich jeden Abend stundenlang anstarrt und dann lautlos verschwindet?«

      Pepusch fühlte sich tief verletzt, tobte und lärmte auf seinem Zimmer, stellte sich so ungebärdig, dass kein Freund ihn in diesem tollen Wesen wiedererkannt haben würde. Er schwur hoch und teuer, die boshafte Holländerin niemals wiederzusehen, unterließ aber nicht, gleich am andern Abend sich zur gewöhnlichen Stunde bei Leuwenhöck einzufinden und womöglich die schöne Dörtje mit noch erstarrterem Blick anzugaffen. Schon auf der Treppe [58]war er freilich darüber sehr erschrocken, dass er eben die Treppe hinaufstieg, und hatte in aller Schnelligkeit den weisen Vorsatz gefasst, sich wenigstens von dem verführerischen Wesen ganz entfernt zu halten. Diesen Vorsatz führte er auch wirklich aus, indem er sich in einen Winkel des Saals verkroch; der Versuch, die Augen niederzuschlagen, missglückte aber durchaus, und wie gesagt, noch starrer als sonst schaute er der Holländerin in die Augen.

      Selbst wusste er nicht, wie es geschah, dass Dörtje Elverdink plötzlich in seinem Winkel dicht neben ihm stand.

      Mit einem Stimmlein, das süßlispelnde Melodie war, sprach die Holde: »Ich erinnere mich nicht, mein Herr, Sie schon anderwärts gesehen zu haben als hier in Berlin, und doch finde ich in den Zügen Ihres Antlitzes, in Ihrem ganzen Wesen so viel Bekanntes. Ja es ist mir, als wären wir vor gar langer Zeit einander ganz befreundet gewesen, jedoch in einem sehr fernen Lande und unter ganz andern seltsamen Umständen. Ich bitte Sie, mein Herr, reißen Sie mich aus der Ungewissheit, und täuscht mich nicht vielleicht eine Ähnlichkeit, so lassen Sie uns das freundschaftliche Verhältnis erneuern, das in dunkler Erinnerung ruht wie ein schöner Traum.«

      Dem Herrn George Pepusch wurde bei diesen anmutigen Worten der schönen Holländerin gar sonderbar zumute. Die Brust war enge, und indem ihm die Stirn brannte, fröstelte es ihm durch alle Glieder, als läg’ er im stärksten Fieber. Wollte das nun auch nichts anders bedeuten, als dass Herr Pepusch in die Holländerin bis über den Kopf verliebt war, so gab es doch noch eine andere Ursache des durchaus verwirrten Zustandes, der ihm alle Sprache, ja beinahe alle Besinnung raubte. Sowie nämlich Dörtje [59]Elverdink davon sprach, dass sie glaube, vor langer Zeit ihn schon gekannt zu haben, war es ihm, als würde in seinem Innern wie in einer Laterna СКАЧАТЬ