Maximen und Reflexionen. Johann Wolfgang Goethe
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Название: Maximen und Reflexionen

Автор: Johann Wolfgang Goethe

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Reclams Universal-Bibliothek

isbn: 9783159618852

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СКАЧАТЬ Kunst und Alterthum.

      Vierten Bandes zweites Heft.

      1823.

      (Eigenes und Angeeignetes.)

      166. Der Irrthum ist viel leichter zu erkennen, als die Wahrheit zu finden; jener liegt auf der Oberfläche, damit läßt sich wohl fertig werden; diese ruht in der Tiefe, danach zu forschen ist nicht jedermanns Sache.

      167. Wir alle leben vom Vergangnen und gehen am Vergangenen zu Grunde.

      168. Wie wir was Großes lernen sollen, flüchten wir uns gleich in unsre angeborne Armseligkeit und haben doch immer etwas gelernt.

      169. Den Deutschen ist nichts daran gelegen, zusammen zu bleiben, aber doch, für sich zu bleiben. Jeder, sei er auch, welcher er wolle, hat so ein eignes Fürsich, das er sich nicht gern möchte nehmen lassen.

      170. Die empirisch-sittliche Welt besteht größtentheils nur aus bösem Willen und Neid.

      171. Der Aberglaube ist die Poesie des Lebens; deßwegen schadet’s dem Dichter nicht, abergläubisch zu sein.

      172. Mit dem Vertrauen ist es eine wunderliche Sache. Hört man nur Einen: der kann sich irren oder sich betrügen; hört man viele: die sind in demselbigen Falle, und gewöhnlich findet man da die Wahrheit gar nicht heraus.

      173. Unreine Lebensverhältnisse soll man niemand wünschen; sie sind aber für den, der zufällig hineingeräth, [28]Prüfsteine des Charakters und des Entschiedensten, was der Mensch vermag.

      174. Ein beschränkter, ehrlicher Mensch sieht oft die Schelmerei der feinsten Mächler (faiseurs) durch und durch.

      175. Wer keine Liebe fühlt, muß schmeicheln lernen, sonst kommt er nicht aus.

      176. Gegen die Kritik kann man sich weder schützen noch wehren; man muß ihr zum Trutz handeln, und das läßt sie sich nach und nach gefallen.

      177. Die Menge kann tüchtige Menschen nicht entbehren, und die Tüchtigen sind ihnen jederzeit zur Last.

      178. Wer meine Fehler überträgt, ist mein Herr, und wenn’s mein Diener wäre.

      179. Memoiren von oben herunter oder von unten hinauf: sie müssen sich immer begegnen.

      180. Wenn man von den Leuten Pflichten fordert und ihnen keine Rechte zugestehen will, muß man sie gut bezahlen.

      181. Das sogenannte Romantische einer Gegend ist ein stilles Gefühl des Erhabenen unter der Form der Vergangenheit oder, was gleich lautet, der Einsamkeit, Abwesenheit, Abgeschiedenheit.

      182. Der herrliche Kirchengesang: Veni Creator Spiritus ist ganz eigentlich ein Appell an’s Genie; deßwegen er auch geist- und kraftreiche Menschen gewaltig anspricht.

      183. Das Schöne ist eine Manifestation geheimer Naturgesetze, die uns ohne dessen Erscheinung ewig wären verborgen geblieben.

      184. Aufrichtig zu sein, kann ich versprechen, unparteiisch zu sein, aber nicht.

      185. Der Undank ist immer eine Art Schwäche. Ich habe [29]nie gesehen, daß tüchtige Menschen wären undankbar gewesen.

      186. Wir alle sind so bornirt, daß wir immer glauben, Recht zu haben; und so läßt sich ein außerordentlicher Geist denken, der nicht allein irrt, sondern sogar Lust am Irrthum hat.

      187. Reine mittlere Wirkung zur Vollendung des Guten und Rechten ist sehr selten; gewöhnlich sehen wir Pedanterie, welche zu retardiren, Frechheit, die zu übereilen strebt.

      188. Wort und Bild sind Correlate, die sich immerfort suchen, wie wir an Tropen und Gleichnissen genugsam gewahr werden. So von je her, was dem Ohr nach innen gesagt oder gesungen war, sollte dem Auge gleichfalls entgegenkommen. Und so sehen wir in kindlicher Zeit in Gesetzbuch und Heilsordnung, in Bibel und Fibel sich Wort und Bild immerfort balanciren. Wenn man aussprach, was sich nicht bilden, bildete, was sich nicht aussprechen ließ, so war das ganz recht; aber man vergriff sich gar oft und sprach, statt zu bilden, und daraus entstanden die doppelt bösen symbolisch-mystischen Ungeheuer.

      189. »Wer sich mit Wissenschaften abgibt, leidet erst durch Retardationen und dann durch Präoccupationen. Die erste Zeit wollen die Menschen dem keinen Werth zugestehen, was wir ihnen überliefern, und dann gebärden sie sich, als wenn ihnen alles schon bekannt wäre, was wir ihnen überliefern könnten.«

      190. Eine Sammlung von Anekdoten und Maximen ist für den Weltmann der größte Schatz, wenn er die ersten an schicklichen Orten in’s Gespräch einzustreuen, der letzten im treffenden Falle sich zu erinnern weiß.

      191. Man sagt: »Studire, Künstler, die Natur!« Es ist aber [30]keine Kleinigkeit, aus dem Gemeinen das Edle, aus der Unform das Schöne zu entwickeln.

      192. Wo der Antheil sich verliert, verliert sich auch das Gedächtniß.

      193. Die Welt ist eine Glocke, die einen Riß hat: sie klappert, aber klingt nicht.

      194. Die Zudringlichkeiten junger Dilettanten muß man mit Wohlwollen ertragen: sie werden im Alter die wahrsten Verehrer der Kunst und des Meisters.

      195. Wenn die Menschen recht schlecht werden, haben sie keinen Antheil mehr als die Schadenfreude.

      196. Gescheute Leute sind immer das beste Conversationslexikon.

      197. Es gibt Menschen, die gar nicht irren, weil sie sich nichts Vernünftiges vorsetzen.

      198. Kenne ich mein Verhältniß zu mir selbst und zur Außenwelt, so heiß’ ich’s Wahrheit. Und so kann jeder seine eigene Wahrheit haben, und es ist doch immer dieselbige.

      199. Das Besondere unterliegt ewig dem Allgemeinen; das Allgemeine hat ewig sich dem Besondern zu fügen.

      200. Vom eigentlich Productiven ist niemand Herr, und sie müssen es alle nur so gewähren lassen.

      201. Wem die Natur ihr offenbares Geheimniß zu enthüllen anfängt, der empfindet eine unwiderstehliche Sehnsucht nach ihrer würdigsten Auslegerin, der Kunst.

      202. Die Zeit ist selbst ein Element.

      203. Der Mensch begreift niemals, wie anthropomorphisch er ist.

      204. Ein Unterschied, der dem Verstand nichts gibt, ist kein Unterschied.

      [31]205. In der Phanerogamie ist noch soviel Kryptogamisches, daß Jahrhunderte es nicht entziffern werden.

      206. Die Verwechselung eines Consonanten mit dem andern möchte wohl aus Unfähigkeit des Organs, die Verwandlung der Vocale in Diphthongen aus einem eingebildeten Pathos entstehen.

      207. Wenn man alle Gesetze studiren sollte, so hätte man gar keine Zeit, sie zu übertreten.

      208. Man kann nicht für jedermann leben, besonders für die nicht, mit denen man nicht leben möchte.

      209. Der Appell an die Nachwelt entspringt aus dem reinen lebendigen Gefühl, daß es ein Unvergängliches gebe und, wenn auch nicht gleich anerkannt, doch zuletzt aus der Minorität sich der Majorität werde zu erfreuen haben.

      210. Geheimnisse sind noch keine СКАЧАТЬ