Hiob. Roman eines einfachen Mannes. Йозеф Рот
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Название: Hiob. Roman eines einfachen Mannes

Автор: Йозеф Рот

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Reclam Taschenbuch

isbn: 9783159618951

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СКАЧАТЬ anredete, das hatten sie im Blut. Seit tausend Jahren ging es niemals gut aus, wenn ein Bauer fragte und ein Jude antwortete.

      »He!«, sagte der Bauer und erhob sich.

      Jonas und Schemarjah standen gleichzeitig auf.

      »Ja, zu euch, Juden, hab’ ich gesprochen«, sagte der Bauer. »Habt ihr noch nichts getrunken?«

      »Haben schon getrunken«, sagte Schemarjah.

      »Ich nicht«, sagte Jonas.

      Der Bauer holte eine Flasche hervor, die er unter der Joppe, an der Brust, getragen hatte. Sie war warm und schlüpfrig und roch nach dem Bauern stärker als nach ihrem Inhalt. Jonas setzte sie an den Mund. Er entblößte die blutroten vollen Lippen, man sah zu beiden Seiten der braunen Flasche die weißen starken Zähne. Jonas trank und trank. Er spürte nicht die leichte Hand des Bruders, die ihn mahnend am Ärmel berührte. Mit beiden Händen, einem riesigen Säugling ähnlich, hielt er die Flasche. An seinen emporgereckten Ellenbogen schimmerte weißlich das Hemd durch den zerriebenen dünnen Stoff. Regelmäßig, wie ein Kolben an einer Maschine, stieg und sank sein Adamsapfel unter der Haut des Halses. Ein leises ersticktes Gurgeln grollte aus seiner Kehle. Alle sahen zu, wie der Jude trank.

      Jonas war fertig. Die leere Flasche fiel ihm aus den Händen und seinem Bruder Schemarjah in den Schoß. Er selbst sank ihr nach, als müsste er den gleichen Weg nehmen wie sie. Der Bauer streckte die Hand aus und erbat sich stumm die Flasche von Schemarjah wieder. Dann liebkoste er mit dem Stiefel ein wenig die breiten Schultern des schlafenden Jonas.

      Sie erreichten Podworsk, hier mussten sie aussteigen. Bis nach Jurki waren es sieben Werst, zu Fuß sollten die Brüder wandern, wer weiß, ob sie unterwegs jemand auf den Wagen nehmen würde. Alle Reisenden halfen den schweren Jonas aufrichten. Als er draußen stand, wurde er wieder nüchtern.

      Sie wanderten. Es war Nacht. Den Mond ahnten sie hinter milchigem Gewölk. Auf den Schneefeldern dunkelten einzelne unregelmäßig konturierte Erdflecken wie Kratermünder. Der Frühling schien aus dem Wald einherzuwehn. Jonas und Schemarjah gingen schnell auf einem schmalen Weg. Sie hörten das zarte Knistern der dünnen spröden Eishülle unter ihren Stiefeln. Ihre weißen rundlichen Bündel trugen sie geschultert an Stöcken. Einige Male versuchte Schemarjah, ein Gespräch mit seinem Bruder anzufangen. Jonas antwortete nicht. Er schämte sich, weil er getrunken hatte und hingefallen war wie ein Bauer. An den Stellen, an denen der Pfad so schmal war, dass beide Brüder nicht nebeneinander gehen konnten, ließ Jonas dem Jüngern den Vortritt. Am liebsten hätte er Schemarjah vor sich hergehen lassen. Wo der Weg wieder breiter wurde, verlangsamte er den Schritt, in der Hoffnung, Schemarjah würde weitergehen, ohne auf den Bruder zu warten. Aber es war, als fürchtete der Jüngere, den Ältern zu verlieren. Seitdem er gesehen hatte, dass Jonas betrunken sein konnte, traute er ihm nicht mehr, zweifelte er an des Ältern Vernunft, fühlte er sich für den Ältern verantwortlich. Jonas erriet, was sein Bruder empfand. Ein großer törichter Zorn kochte in seinem Herzen. »Lächerlich ist Schemarjah«, dachte Jonas. »Wie ein Gespenst ist er dünn, den Stock kann er nicht einmal halten, jedesmal schultert er ihn wieder, das Bündel wird noch in den Dreck fallen.« Bei der Vorstellung, dass Schemarjahs weißes Bündel vom glatten Stock in den schwarzen Dreck der Straße fallen könnte, lachte Jonas laut auf. »Was lachst du?«, fragte Schemarjah. »Über dich!«, antwortete Jonas. »Ich hätte mehr Recht, über dich zu lachen«, sagte Schemarjah. Wieder schwiegen sie. Schwarz wuchs ihnen der Tannenwald entgegen. Aus ihm, nicht aus ihnen selbst, schien die Schweigsamkeit zu kommen. Von Zeit zu Zeit erhob sich ein Wind aus willkürlicher Himmelsrichtung, ein heimatloser Windstoß. Ein Weidenbusch regte sich im Schlaf, Zweige knackten dürr, die Wolken liefen hell über den Himmel. »Jetzt sind wir doch Soldaten!«, sagte auf einmal Schemarjah. »Ganz richtig«, sagte Jonas, »was waren wir denn sonst? Wir haben keinen Beruf. Sollen wir Lehrer werden wie unser Vater?« – »Besser als Soldat sein!«, sagte Schemarjah. »Ich könnte ein Kaufmann werden und in die Welt gehen!« – »Die Soldaten sind auch Welt und ich kann kein Kaufmann sein«, meinte Jonas. – »Du bist betrunken!« – »Ich bin nüchtern, wie du. Ich kann trinken und nüchtern sein. Ich kann ein Soldat sein und die Welt sehn. Ich möchte ein Bauer sein. Das sag’ ich dir – und ich bin nicht betrunken …«

      Schemarjah zuckte mit den Schultern. Sie gingen weiter. Gegen Morgen hörten sie die Hähne krähn aus entfernten Gehöften. »Das wird Jurki sein«, sagte Schemarjah. »Nein, es ist Bytók!« sagte Jonas. »Meinetwegen Bytók«, sagte Schemarjah.

      Eine Fuhre klapperte und rasselte hinter der nächsten Biegung des Weges. Der Morgen war fahl, wie die Nacht gewesen war. Kein Unterschied zwischen Mond und Sonne. Schnee fing an zu fallen, weicher warmer Schnee. Raben flogen auf und krächzten.

      »Sieh, die Vögel«, sagte Schemarjah; nur als Vorwand, um den Bruder zu versöhnen.

      »Raben sind das!«, sagte Jonas. »Vögel!« ahmte er höhnisch nach.

      »Meinetwegen!« sagte Schemarjah: »Raben!«

      Es war wirklich Bytók. Noch eine Stunde, sie kamen nach Jurki. Noch drei Stunden, und sie waren zu Haus.

      Es schneite dichter und weicher, je weiter der Tag fortschritt, als käme der Schnee von der ansteigenden Sonne. Nach einigen Minuten war das ganze Land weiß. Auch die einzelnen Weiden am Weg und die verstreuten Birkengruppen zwischen den Feldern weiß, weiß, weiß. Nur die zwei jungen schreitenden Juden waren schwarz. Auch sie überschüttete der Schnee, aber auf ihren Rücken schien er schneller zu schmelzen. Ihre langen schwarzen Röcke flatterten. Die Schöße pochten mit hartem regelmäßigem Schlag gegen die Schäfte der hohen Lederstiefel. Je dichter es schneite, desto schneller gingen sie. Bauern, die ihnen entgegenkamen, gingen ganz langsam, mit eingeknickten Knien, sie wurden weiß, auf ihren breiten Schultern lag der Schnee, wie auf dicken Ästen, schwer und leicht zugleich, vertraut mit dem Schnee, gingen sie in ihm einher, wie in einer Heimat. Manchmal blieben sie stehn und sahen sich nach den zwei schwarzen Männern um, wie nach ungewohnten Erscheinungen, obwohl ihnen der Anblick von Juden nicht fremd war.

      Atemlos langten die Brüder zu Hause an, schon fing es an zu dämmern. Sie hörten von weitem den Singsang der lernenden Kinder. Er kam ihnen entgegen, ein Mutterlaut, ein Vaterwort, ihre ganze Kindheit trug er ihnen entgegen, alles bedeutete und enthielt er, was sie seit der Stunde der Geburt geschaut, vernommen, gerochen und gefühlt hatten: der Singsang der lernenden Kinder. Er enthielt den Geruch der heißen und würzigen Speisen, den schwarzweißen Schimmer, der von Bart und Angesicht des Vaters ausging, den Widerhall der mütterlichen Seufzer und der Wimmertöne Menuchims, des betenden Geflüsters Mendel Singers am Abend, Millionen unnennbarer regelmäßiger und besonderer Ereignisse. Beide Brüder nahmen also mit den gleichen Regungen die Melodie auf, die ihnen durch den Schnee entgegenwehte, während sie sich dem väterlichen Hause näherten. In gleichem Rhythmus schlugen ihre Herzen. Die Tür flog vor ihnen auf, durchs Fenster hatte sie ihre Mutter Deborah schon lange kommen sehn.

      »Wir sind genommen!«, sagte Jonas ohne Gruß.

      Auf einmal stürzte ein furchtbares Schweigen über die Stube, in der eben noch die Stimmen der Kinder geklungen hatten, ein Schweigen ohne Grenzen, um vieles gewaltiger als der Raum, der seine Beute geworden war, und dennoch geboren aus dem kleinen Wort »genommen«, das Jonas eben ausgesprochen hatte. Mitten im halben Wort, das sie memoriert hatten, brachen die Kinder das Lernen ab. Mendel, der auf und ab durch die Stube gewandert war, blieb stehn, sah in die Luft, erhob die Arme und ließ sie wieder sinken. Die Mutter Deborah setzte sich auf einen der zwei Schemel, die immer in der Nähe des Ofens standen, als hätten sie schon seit langem auf die Gelegenheit gewartet, eine trauernde Mutter aufzunehmen. Mirjam, die Tochter, hatte sich rückwärts tastend in die Ecke geschoben, laut pochte ihr Herz, sie glaubte, alle müssten es hören. Die Kinder saßen festgenagelt auf ihren Plätzen. Ihre Beine in wollenen buntbereiften Strümpfen, die unaufhörlich während des Lernens СКАЧАТЬ