Das Gemeindekind. Marie von Ebner-Eschenbach
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Название: Das Gemeindekind

Автор: Marie von Ebner-Eschenbach

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Reclams Universal-Bibliothek

isbn: 9783159618883

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СКАЧАТЬ sie sich beeilten auszuführen. Eine Deputation begab sich ins Schloss und stellte an die Frau Baronin das untertänigste Ansuchen: weil sie schon so dobrotiva (allergütigst) gewesen, sich der Tochter des unglücklichen Holub anzunehmen, möge sie sich nun auch des Sohnes desselben annehmen.

      Der Bescheid, den die Väter des Dorfes erhielten, lautete hoffnungslos verneinend, und die Beratungen wurden wiederaufgenommen.

      Was tun?

      »Das in solchen Fällen Gewöhnliche«, meinte der Bürgermeister; »der Bub geht von Haus zu Haus und findet jeden Tag bei einem andern Bauern Verköstigung und Unterstand.«

      [15]Alle Bauern lehnten ab. Keiner wünschte, den Sprössling der Raubmörder zum Hausgenossen der eigenen Sprösslinge zu machen, wenn auch nur einen Tag lang in vier oder fünf Wochen.

      Zuletzt wurde man darüber einig: Der Junge bleibt, wo er ist – wo ja sein eigener Vater ihn hingegeben hat: bei dem Spitzbuben, dem Gemeindehirten.

      Freilich, wenn die Gemeinde sich den Luxus eines Gewissens gestatten dürfte, würde es gegen dieses Auskunftsmittel protestieren. Der Hirt (er führte den klassischen Namen Virgil) und sein Weib gehörten samt den Häuslern, bei denen sie wohnten, zu den Verrufensten des Ortes. Er war ein Trunkenbold, sie, katzenfalsch und bösartig, hatte wiederholt wegen Kurpfuscherei vor Gericht gestanden, ohne sich dadurch in der Ausübung ihres dunkeln Gewerbes beirren zu lassen.

      Ein anderes Kind diesen Leuten zu überliefern wäre auch niemandem eingefallen; aber der Pavel, der sieht bei ihnen nichts Schlechtes, das er nicht schon zu Hause hundertmal gesehen hat.

      So biss man denn in den sauren Apfel und bewilligte jährlich vier Metzen Korn zur Erhaltung Pavels. Der Hirt erhielt das Recht, ihn beim Austreiben und Hüten des Viehes zu verwenden, und versprach, darauf zu sehen, dass der Junge am Sonntag in die Kirche und im Winter sooft als möglich in die Schule komme.

      Virgil bewohnte mit den Seinen ein Stübchen in der vorletzten Schaluppe am Ende des Dorfes. Es war eine Klafter lang und breit und hatte ein Fenster mit vier Scheiben, jede so groß wie ein halber Ziegelstein, das nie aufgemacht wurde, weil der morsche Rahmen dabei in Stücke gegangen [16]wäre. Unter dem Fenster stand eine Bank, auf welcher der Hirt schlief, der Bank gegenüber eine mit Stroh gefüllte Bettlade, in der Frau und Tochter schliefen. Den Zugang zur Stube bildete ein schmaler Flur, in dessen Tiefe sich der Herd befand. Er hätte zugleich als Ofen dienen sollen, erfüllte aber nur selten eine von beiden Bestimmungen, weil die Gelegenheiten, Holz zu stehlen, sich immer mehr verminderten. So diente er denn als Aufbewahrungsort für die mageren Vorräte an Getreide und Brot, für Virgils nie gereinigte Stiefel, seine Peitsche, seinen Knüttel, für ein schmutzfarbenes Durcheinander von alten Flaschen, henkellosen Körben, Töpfen und Scherben, würdig des Pinsels eines Realisten.

      Zwischen dem Gerümpel hatte Pavel eine Lagerstätte für Milada zurechtgemacht, auf der sie ruhte, zusammengerollt wie ein Kätzlein. Er streckte sich auf dem Boden dicht neben dem Herde aus, und wenn die Kleine im Laufe der Nacht erwachte, griff sie gleich mit den Händen nach ihm, zupfte ihn an den Haaren und fragte: »Bist da, Pavlicek?«

      Er brummte sie an: »Bin da, schlaf du nur«, biss sie wohl auch zum Spaß in den Finger, und sie stieß zum Spaß einen Schrei aus, und Virgil wetterte aus der Stube herüber: »Still, ihr Raubgesindel, ihr Galgenvögel!«

      Bebend schwieg Milada, und Pavel erhob sich unhörbar auf seine Knie, streichelte das Kind und flüsterte ihm leise zu, bis es wieder einschlief.

      Als er zum ersten Male ohne die Schwester zur Ruhe gegangen war, hatte er gedacht: Heut wird’s gut, heut weckt er mich wenigstens nicht auf, der Balg. Am frühesten Morgen aber befand er sich schon auf der Dorfstraße und lief geraden Weges zum Schlosse. Das stand mitten im Garten, [17]der von einem Drahtgitter umgeben war; ein dichtes, immergrünes Fichtengebüsch verwehrte ringsum den Einblick in dieses Heiligtum. Pavel pflanzte sich am Tore auf, das dem des Hauses gegenüberlag, presste das Gesicht an die eisernen Stäbe und wartete. Sehr lange blieb alles still; plötzlich jedoch meinte Pavel, das Zuschlagen von Fenstern und Türen und verworrenes Geschrei zu hören, meinte auch die Stimme Miladas erkannt zu haben. Zugleich erbrauste ein heftiger Windstoß, schüttelte die toten Zweige von den Bäumen und trieb die dürren Blätter im rauschenden Tanze durch die Luft. Zwei Mägde kamen aus dem Dienertrakte zum Hause gelaufen; eine von ihnen wäre beinah über den alten Pfau gestolpert, der im Hofe auf und ab stelzte. Er sprang mit einem so komischen Satz zur Seite, dass Pavel laut auflachen musste. Im Schlosse und in seiner Umgebung wurde es nun lebendig; es kamen auch Leute zum Gartentor; wer aber durch dasselbe ein- und ausging, sperrte es langsam hinter sich ab. Es war das eine Einführung, die ihrer Neuheit wegen manchem Vorübergehenden auffiel. – Das Gartentor absperren bei helllichtem Tage; was soll denn das heißen? Wird sich schwerlich lange halten, die unbequeme Einrichtung.

      Aber sie hielt sich doch zum allgemeinen und missbilligenden Erstaunen der Dorfbewohner, und nach und nach erfuhr man auch ihren Grund.

      Dem Pavel wurde er durch Vinska, des hässlichen Hirten hübsche Tochter, in folgender Weise mitgeteilt: »Du Lump du, deine Schwester ist just so ein Lump wie du! Die Petruschka aus der herrschaftlichen Küche sagt, dass die gnädige Frau es mit deiner Schwester treibt wie mit einem eigenen Kind, und deine Schwester will immer nur auf und [18]davon. Darum wird das Schloss jetzt abgesperrt wie eine Geldtruhe. Wenn ich die gnädige Frau wäre, ich möcht solche Geschichten nicht machen; was ich tät, weiß ich … Deinen Vater hat man am Hals aufgehängt, deine Schwester würde ich an Händen und Füßen binden und an die Wand hängen.«

      Dieses Bild schwebte Pavel den ganzen Tag vor Augen, und nachts verschwamm es ihm mit einem andern, dessen er sich aus der Kindheit besann.

      Da hatte er gesehen, wie der Heger ein gefangenes blutjunges Reh aus dem Walde getragen hatte. Die Läufe waren ihm mit einem Strick zusammengeschnürt, und an denen hing es am Stock über des Hegers Rücken. Pavel erinnerte sich, wie es den schlanken Hals gebogen, die Ohren gespitzt und das Haupt emporzuheben gesucht; er erinnerte sich der Verzweiflung, die dem feinen Geschöpf aus den Augen geschaut hatte.

      Im Traume kamen ihm diese Augen nun vor – aber wie Miladas Augen.

      Einmal rief er laut: »Bist da?« richtete sich im Halbschlafe auf, wiederholte: »Bist da?« tastete suchend umher und erwachte darüber völlig. Mit der Schnelligkeit des Blitzes, mit der Gewalt des Sturmes kam das verwaisende Gefühl der Trennung über ihn und warf ihn nieder. Der harte Junge brach in Tränen, in ein leidenschaftliches Schluchzen aus, weckte die Leute in der Stube, weckte die Häusler, seine Wandnachbarn, mit seinem Geheul. Die ganze Gesellschaft kam herbei, bedrohte ihn, und da er taub blieb für jede, auch die nachdrücklichste Ermahnung, wurde er mit vereinten Kräften zur Tür hinausgeschleudert.

      Das war eine tüchtige Abkühlung, selbst für den [19]heißesten Schmerz. Pavel blieb eine Weile ganz ruhig und still auf der fest gefrornen Erde liegen. Die ihm völlig neue und grässliche Empfindung einer ungeheuren Sehnsucht verminderte sich allmählich, und eine alte Wohlbekannte trat an ihre Stelle: Trotz, kalter, wühlender Groll.

      Wartet, dachte er, wartet, ich werde euch! …

      Der Entschluss, ein Ende zu machen, war gleich da; der Plan zu dessen Ausführung reifte langsam in Pavels schwerfälligem Kopf. Nachdem aber die große Anstrengung, ihn auszudenken, überstanden war, erschien dem Burschen alles Übrige nur noch wie Spielerei. Er wollte ins Schloss eindringen, die Schwester entführen, mit ihr über die Berge in die Fremde gehen, sich als Arbeiter verdingen und nie wieder den Vorwurf hören, dass er der Sohn seiner Eltern sei.

      Mit dem Bewusstsein eines Siegers erhob Pavel sich vom Boden und ging in weitem Bogen hinter den Häusern des Dorfes dem Schlossgarten zu. Die Pfeife des Nachtwächters СКАЧАТЬ