Mit anderen Augen. Peter Brandt L.
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Mit anderen Augen - Peter Brandt L. страница 9

Название: Mit anderen Augen

Автор: Peter Brandt L.

Издательство: Автор

Жанр: Биографии и Мемуары

Серия:

isbn: 9783801270001

isbn:

СКАЧАТЬ an die Schule (»einmaliges Bildungserlebnis«), durfte ich als dritter Mann mitfahren.

      Die tunesische Regierung stellte unaufgefordert einen Chauffeur und zwei Sicherheitsleute für uns ab, die wir, in der Annahme, damit auch ihren Rang zu erfassen, Nummer eins, Nummer zwei und Nummer drei nannten. Tatsächlich war Nummer zwei der Chef der kleinen Crew. Einmal zeigte er uns die Narben an seinem Bein, die von Folterungen durch die französische Kolonialmacht herrührten. Wir verbrachten zwei Wochen in einem wunderbar orientalischen Hotel auf Djerba und reisten dann mehrere Tage durchs Land. Es war nicht nur für mich außerordentlich faszinierend. Am Ende der Reise traf mein Vater in Tunis Präsident Habib Bourguiba, der sich schon durch seinen Palast als ein orientalischer Potentat zu erkennen gab, wie er leider auch aus antikolonialen Bewegungen hervorgehen konnte. Der Westberliner Bürgermeister war Anfang 1962 nicht wählerisch, wenn es galt, Unterstützung zu finden.

      Meine »objektive Funktion« auf dieser Reise bestand nicht zuletzt darin, bei den gelegentlichen Einladungen durch starkes Essen die Wertschätzung der Gäste für das ihnen Kredenzte glaubwürdig auszudrücken. Ob in einem Beduinenzelt, wo undefinierbare scharfe Gerichte serviert wurden, oder beim Gouverneur von Djerba, der von Soldaten oder Polizisten eine Unzahl von Gerichten in unglaublichen Quantitäten bringen ließ – ich war von Natur aus sehr dünn und konnte folgenlos riesige Mengen verdrücken. Willy und Egon gaben sich ebenfalls Mühe, lagen aber am Folgetag prompt krank darnieder. Nur ich war putzmunter!

      Egon Bahr fungierte seit 1960 als Senatspressechef, nachdem er Redakteur beim RIAS gewesen war. Als wir zusammen nach Tunesien fuhren, waren die beiden schon per Du, aber so ganz sicher schien sich mein Vater nicht zu sein, wie vertraulich er mit seinem befreundeten Mitarbeiter und Berater umgehen konnte. Als Egon beim Hochseeangeln besonders viele Fische fing, ernannten mein Vater und ich ihn zu »Dr. Barsch« (natürlich waren es keine Barsche, die er gefangen hatte). Egon wurde des Herum­alberns wohl irgendwie überdrüssig, sodass Vater mich, der ich kein Ende finden konnte, unauffällig stoppte. Er war ein sorgsamer Mensch, stets bestrebt, andere weder absichtlich noch unabsichtlich zu beleidigen oder zu verunsichern. Wieder in Berlin, kam Egon Bahr immer häufiger zu uns nach Hause, manchmal auch mit seiner damaligen Frau Dorothea (die sich dauerhaft mit Rut anfreundete), Sohn Wolfgang und Tochter Marion. Ich werde nie vergessen, wie mich Egons Äußerung elektrisierte, nach Adolf Hitler hätte »der Separatist« Adenauer (nebst Ulbricht) am meisten zur Verhinderung der Wiedergeburt Deutschlands als eines einheitlichen souveränen Staates beigetragen. Vater, der dabei war, kommentierte diese Äußerung nicht, obwohl er meine Verwirrung bemerkt haben muss.

      Zum Freundeskreis der Familie Brandt gehörten auch nordeuropäische Diplomaten und Journalisten, Iris und Frank Holte, Hjørdis und Oddvar Ås, »Poppi« und Per Monsen aus Norwegen, Christina und Dieter Winter sowie Astrid und Bo Jærborg aus Schweden. Mit den nordischen Freunden sang mein Vater deutsche Volks- und Fahrtenlieder, darunter sein Lieblingslied aus der Jugendbewegung, das auch mein Lieblingslied werden sollte: »Wilde Gesellen«. Dazu spielte er damals noch auf seiner Mandoline.

       Wilde Gesellen vom Sturmwind durchweht, Fürsten in Lumpen und Loden, ziehn wir dahin, bis das Herze uns steht, ehrlos bis unter den Boden. Fidel Gewand in farbiger Pracht trefft keinen Zeisig ihr bunter, ob uns auch Speier und Spötter verlacht, uns geht die Sonne nicht unter.

       Ziehn wir dahin durch Braus und durch Brand, klopfen bei Veit und Velten. Huldiges Herze und helfende Hand sind ja so selten, so selten. Weiter uns wirbelnd auf staubiger Straß immer nur hurtig und munter. Ob uns der eigene Bruder vergaß, uns geht die Sonne nicht unter.

       Aber da draußen am Wegesrand, dort bei dem König der Dornen. Klingen die Fiedeln ins weite Land, klagen dem Herrn unser Carmen. Und der Gekrönte sendet im Tau tröstende Tränen herunter. Fort geht die Fahrt durch den wilden Verhau, uns geht die Sonne nicht unter.

       Bleibt auch dereinst das Herz uns stehn, niemand wird Tränen uns weinen. Leis wird der Sturmwind sein Klagelied wehn, trüber die Sonne wird scheinen. Aus ist ein Leben voll farbiger Pracht, zügellos drüber und drunter. Speier und Spötter, ihr habt uns verlacht, uns geht die Sonne nicht unter.

      Emotional und intellektuell wichtiger waren für Willy Brandt jedoch die Verbindungen zu politischen Freunden, früheren Genossen der linkssozialistischen SAP, der er ja von 1931 bis 1944 angehört hatte. Stefan und Erszi Szende, beide aus wohlhabenden ungarisch-jüdischen Familien stammend, die fast vollständig in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern ermordet wurden, gehörten dazu. Wie alle linksgerichteten Juden, die ich im Umfeld meines Vaters kennenlernte, so auch Valtr und Luci Taub, waren oder schienen sie areligiös zu sein und im Übrigen völlig frei von antideutschen Affekten. Das Leid, das ihnen vom »Dritten Reich« zugefügt worden war, führten sie – und das war ihnen äußerst wichtig – nicht auf »rassische«, sondern auf politische Verfolgung zurück.

      Der undogmatische Denker und Zeitdiagnostiker Fritz Sternberg, der 1963 verstarb, war ein sehr geschätzter politischer Gesprächspartner Willy Brandts, ebenso Irmgard und August Enderle, die mit Vater im Stockholmer Exil gewesen waren und mit ihm zusammen den Weg in die SPD fanden. Der schwäbische Facharbeiter und Gewerkschafter August Enderle gehörte gewissermaßen zum Adel der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung: Von der SPD und USPD ging er zum Spartakusbund und zur KPD, von der KPD zur KPD-Opposition, von dort zur SAP und zur SPD. Das war ein Lebensweg, für den Vater hohen Respekt hatte: seine Grundüberzeugungen nicht aufgeben, auch nicht einer pervertierten Parteidisziplin unterordnen, sondern einen glaubhaften Weg suchen, der sich an den Realitäten orientiert und neue Einsichten zulässt. Ein ganz anderer Typ war Boris Goldenberg. Sein Exilland hieß Kuba, wo er als Lehrer auch den Sohn des Diktators Batista unterrichtete. Er erlebte den Umsturz durch Fidel Castro und erzählte bei Besuchen zum Teil haarsträubende Begebenheiten aus der Zeit des alten Regimes und der Kubanischen Revolution. Der relativ reiche Inselstaat hätte völlig unter Kontrolle der USA und des Batista-Clans gestanden und sei eine Art Bordell für US-amerikanische Gangster gewesen. Castro hatte, so Goldenberg, mindestens 95 Prozent der Kubaner hinter sich, als er die Macht übernahm. »Ich wünsche Fidel alles Gute – es wird aber nicht funktionieren.« Den hingerissenen Brandt-Söhnen, die sich Fidel Castro als eine Mischung von Robin Hood und Florian Geyer vorstellten, beantwortete Goldenberg geduldig jede Frage.

      Horst Lison war ein jüngerer Freund meiner Eltern und gewissermaßen mein »großer Bruder«. Er hatte mal einem Schul- und Spielfreund von mir Privatunterricht gegeben. Ich durfte einige dieser Nachhilfestunden mitmachen, sie bereiteten mir einen Riesenspaß. Doch mit dem Erlernen des Lateinischen als erster Fremdsprache wehte irgendwann auch bei mir der Wind schulischen Lernens schärfer. Die meisten Mitschüler erhielten von ihren Eltern Unterstützung. Bei mir ging das nicht, wegen beruflicher Überbeanspruchung einerseits und Fehlens höherer Schulbildung andererseits. Da wurde Horst Lison zu einem Helfer in der mehr oder weniger großen Not. Nicht nur für mich, sondern auch für Lars. Aus Gründen, die mir heute nicht mehr erklärlich sind, ging ich ab der Sexta nicht gern zur Schule. Meine Leistungen waren in der Summe so etwas wie guter Durchschnitt. Allerdings wurde damals strenger benotet als heute, und eine gar nicht so kleine Zahl von Jugendlichen wiederholte am Gymnasium mindestens eine Klasse. Meinem väterlich-brüderlichen Freund sei Dank, geriet ich nie in diese Gefahrenzone. Doch die wichtigste Spätfolge seines Einsatzes war, dass er mir das konzentrierte geistige Arbeiten beibrachte.

      Horst, der sein Diplom in Psychologie um ein Medizinstudium ergänzte, wurde von meinen Eltern häufig gebeten, nach dem Unterricht noch zu bleiben. Daraus ergaben sich, СКАЧАТЬ