Die geteilte Seele. Iris Zachenhofer
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Название: Die geteilte Seele

Автор: Iris Zachenhofer

Издательство: Bookwire

Жанр: Зарубежная психология

Серия:

isbn: 9783990013588

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СКАЧАТЬ einem schwachen Christopher leben wir häufig einfach in den Tag hinein, machen uns wenig Gedanken über Verpflichtungen gegenüber uns und anderen Menschen. Dies kann eine Zeit lang durchaus ein entspannter Zugang zum Leben sein, bis sich unsere Verpflichtungen so weit aufgetürmt haben, dass sie auf uns herabstürzen und uns zu erdrücken erscheinen.

      Während vor mir die Bettenstation in Sichtweite kam, suchte ich Namen für die drei anderen Persönlichkeiten, die wir in uns vereinten. Sie sollten inspiriert von Menschen sein, die ich kannte, und bei denen die jeweilige Persönlichkeit klar dominant war.

      Diese mit Christopher dann insgesamt vier Namen würden es mir leichter machen, mich mit den hinter ihnen stehenden Persönlichkeiten zu beschäftigen. Von einer quasi medizinischen, psychiatrischen Auseinandersetzung mit mir selbst, den Menschen in meiner Umgebung und meinen künftigen Patientinnen und Patienten würde das Ganze zu einem kleinen Spiel mit großer Wirkung werden.

      Wie sollte ich die von der Wissenschaft so trocken und abfällig als »schizoid«, »depressiv« und »hysteriform« eingestuften Persönlichkeiten nennen?

      SOPHIE

      Der Dienst verlief zum Glück ruhig, weshalb ich mich schon am späten Nachmittag mit einer Gymnastikmatte aus dem Physiotherapieraum auf dem Flachdach unseres Pavillons in die Sonne legen konnte. Aus Sicherheitsgründen war es streng verboten, das Dach zu betreten, und ich musste dafür durch das Fenster unseres Dienstzimmers klettern, aber UV-Strahlung erhöht bekanntlich den Spiegel des Glückshormons Serotonin im Gehirn, was wiederum gut für meine Leistung im Job war. Ich fand das relevanter als pingelige Vorschriften.

      Während ich überlegte, meine Sonnencreme und die mit Wasser gefüllte Sprühflasche aus dem Dienstzimmer zu holen, läutete mein Telefon. Eine ehemalige Kollegin von der Neurochirurgie, Sophie, war dran. Sie beschwerte sich, dass sie gerade Nachtdienst gehabt hätte und trotzdem den ganzen Tag in der Klinik bleiben musste, weil eine Patientin bei einer nächtlichen Operation verstorben war. »Konnte die nicht warten, bis sie in der Intensivstation liegt?«, schimpfte sie.

      Auch wenn Sophie schrecklich empathielos war, hatte sie recht. Ich hatte es selbst oft genug erlebt. Tote am OP-Tisch machen Probleme. Für Neurochirurgen in unserem System war es besser, wenn sie erst nach einer Operation starben. Starben sie während der Operation, bedeutete das jede Menge Erhebungen und Bürokratie.

      »Sie hatte wegen der Verletzungen von ihrem Autounfall sowieso keine Chance mehr«, sagte Sophie, »aber wir konnten sie natürlich nicht einfach liegen lassen. Du weißt ja, wie es ist. Jetzt habe ich sie alle am Hals, den Chef, den Anästhesie-Chef, den Gerichtsmediziner, und ich muss sinnlose Protokolle schreiben.«

      Dass sie sich so gar keine Gedanken über diesen traurigen Fall und das Schicksal dieser armen Frau und ihrer Familie machte, wunderte mich nicht, denn so kannte ich Sophie. Sie war immer distanziert, immer unabhängig, und mir wurde klar, dass ihr Anruf ausgerechnet jetzt kein Zufall sein konnte. Ich schien ihn bei meiner Suche nach lupenreinen Vertretern der übrigen drei Persönlichkeiten, die es in uns zu vereinen gilt, magisch angezogen zu haben.

      Als ich an der Neurochirurgie angefangen hatte, war Sophie bereits seit mehreren Jahren dort gewesen. Sie unterschied sich auf den ersten Blick wohltuend von den anderen Neurochirurgen. Die prügelten sich geradezu um interessante Gehirnoperationen, weil jede einzelne davon ihren Lebenslauf attraktiver machte. Doch Sophie konzentrierte sich vor allem auf Wirbelsäulenoperationen, einen unter Neurochirurgen eher unbeliebten, weniger prestigeträchtigen Bereich. »Brain is fine, but money is spine«, sagte sie gerne – »Gehirn ist nett, aber Geld bringt der Rücken.« Für sie war der Arztberuf auch keine großartige Berufung, sondern nur eine gute Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Was genau sie dabei machte, war ihr weniger wichtig, und je geringer ihr Aufwand war, desto besser.

      Sophie mochte weder die narzisstischen Neurochirurgen, die sich über ihre Operationen definierten, noch die – nach ihren Worten – »aufopfernden Heuchler, die einzig für den Arztberuf leben«. »Am liebsten wäre es mir, ich könnte einfach nur vor mich hin operieren«, sagte sie einmal zu mir, »mich nur mit der Materie beschäftigen, ohne mit anderen Menschen zu tun zu haben und ohne mir das ständige Gequatsche von Kollegen, Krankenschwestern oder Patienten anhören zu müssen.«

      An einfühlsamen Gesprächen mit Angehörigen nach Dienstschluss hatte sie erst recht kein Interesse. »Gefühlsduselei ist nicht mein Job«, sagte sie. »Was für einen Chirurgen will ein Patient? Einen, der ihn rational und gut operiert oder einen, der am offenen Schädel oder am offenen Rücken wegen der schlechten Diagnose zu plärren beginnt?«

      Bei Patienten mit irreversiblen Hirnschädigungen, bei denen absehbar war, dass sie in der darauffolgenden Nacht sterben würden, schrieb sie bereits am Abend neben ihrer Pizza die Karten vor, die sie für die Pathologie an den Händen und den Zehen der Leiche befestigen würde. Nur den genauen Zeitpunkt des Todes ließ sie noch offen.

      »Ich kann ihm sowieso nicht mehr helfen«, meinte sie einmal lapidar über einen jungen Mann, der in einer Kurve mit seinem Motorrad gestürzt und gegen eine Leitplanke geprallt war. »Warum soll ich diese Arbeit auch noch um drei Uhr morgens machen, wenn ich sie schon jetzt nebenbei erledigen kann?«

      Sophie war dabei eine immer wieder überraschend gute Wissenschaftlerin, denn sie dachte analytisch und informierte sich laufend über neue Forschungsergebnisse. Sie hinterfragte und überprüfte alles und ließ sich nichts vormachen oder sich gar täuschen.

      Es gab für sie nie einen Grund, Dinge auch weiterhin auf eine bestimmte Art zu machen, nur weil sie bisher so gemacht wurden. »Sie können gerne um 17 Uhr Visite machen«, hatte sie gleich in ihrem ersten Ausbildungsjahr dem leitenden Oberarzt der Station erklärt, »aber ohne mich. Denn pünktlich um 15.30 Uhr, wenn meine Dienstzeit endet, fahre ich aus der Tiefgarage.« Die Usance, dass wir Neurochirurgen trotzdem bis zur Visite blieben, ohne unseren Mehraufwand gegenüber irgendjemandem auch nur zu erwähnen, war ihr egal.

      Sophie war ein Mensch, den fast alle wegen ihrer Stärke und Unabhängigkeit bewunderten, wobei viele auch Angst davor hatten, ihre unverblümte Meinung direkt ins Gesicht gesagt zu bekommen. Ihre Kommentare waren klar und kompromisslos. Besonders die Apparatschiks im System empfanden sie ob ihrer scharfen Beobachtungsgabe und ungefilterten Meinung als unangenehm.

      »Hast du wirklich Medizin studiert, oder bist du einer dieser Spinner, die einen Arztmantel klauen und dann auf wichtig machen?«, hatte sie einmal einen der Neurochirurgen in der Morgenbesprechung vor allen anderen gefragt, nachdem er einem nierenkranken Patienten von zehn gängigen antiepileptischen Medikamenten genau jenes gegeben hatte, das die Niere am stärksten belastete. »So etwas macht doch nur ein Laie, der keine wirkliche Ahnung von Medikamenten hat. Kein richtiger Arzt hätte dieses Medikament bei einem nierenkranken Patienten verordnet.« Das alles sagte sie sachlich und frei von jeglicher Emotion.

      Dass der betreffende Kollege sich später über sie beschwerte und beide schließlich zum Chef mussten, ließ sie kalt. Sich vor Schuldirektoren, Praktikumsleitern oder Vorgesetzten wegen Aussagen, die andere als frech empfanden, und wegen Betragens, das andere als ungehörig empfanden, verantworten zu müssen, war sie schließlich gewohnt.

      Sophie war es dabei herzlich egal, was andere von ihr dachten. Sie sah sich als unabhängigen Menschen, der von niemandem etwas brauchte und niemandem Rechenschaft schuldig war. »Wenn der Chef glaubt, dass ich mich bei diesem Pfuscher entschuldige, wird er sich wundern«, hatte sie vor dem betreffenden Gespräch zu mir gesagt. »Der soll froh sein, dass er etwas von mir lernen kann.«

      Sophie steht für Unabhängigkeit und Distanz.

      Menschen ihres Typs arbeiten gerne СКАЧАТЬ