Sherlock Holmes und die ägyptische Mumie. Tibor Zenker
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СКАЧАТЬ Vielmehr dürfte es sich um ein professionelles Team mit wohlüberlegter Vorgehensweise handeln.«

      Seelenfried sah mich verständnislos an und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Professionell worin?«, fragte er. »In akkurater Verblödung vielleicht! Es ist ein menschlicher Kadaver – freilich meinerseits sehr hübsch drapiert –, aber doch nur ein Kadaver, den sie erbeutet haben. Und ich bin ruiniert! Stellen Sie sich nur vor, das spricht sich herum! Leichenschwund bei Seelenfried – das ist keine geschäftsförderliche Werbung. Eine Katastrophe ist das!«

      Mir schien, auch Holmes hätte sich nun ein kurzes Lächeln nicht verkneifen können. Doch gleich darauf bemühte er sich, den armen Mann zu beruhigen.

      »Keine Sorge«, sagte er in sachlichem Ton. »Ihr Auftraggeber, Herr Engels, hat kein Interesse daran, dass die Sache an die Öffentlichkeit gelangt. Deshalb wurde auch nicht die Polizei verständigt, sondern Dr. Watson und ich mit der Ermittlung betraut. Und die Presse wird natürlich auch nichts erfahren. Aber Sie müssen uns helfen.«

      Seelenfried seufzte laut. »Wie soll ich Ihnen denn helfen?«, fragte er. »Die Tür wurde gewaltsam geöffnet, die Kundschaft ist weg. Das war’s. Punkt.«

      Holmes überlegte einige Sekunden, dann bat er den Bestatter: »Würden Sie uns vielleicht den leeren Sarg zeigen, aus dem der Körper von Herrn Marx entwendet wurde?«

      Wir vernahmen ein zustimmendes Murren, dann ging Seelenfried voran in die hinteren Räumlichkeiten, wo auf mehreren Tischen Särge standen. Mit einer Winkbewegung bedeutete er uns, dass wir ihm folgen mögen, doch dann hielt er inne.

      »Wieso leer?«, fragte er plötzlich. »Hat Ihnen Herr Engels das nicht gesagt? Der Sarg ist keineswegs leer zurückgeblieben.«

      Holmes legte seine Denkerstirn in Falten: »Wie meinen Sie das?«

      Seelenfried schüttelte den Kopf und meinte nur: »Kommen Sie, sehen Sie selbst!« Er ging zu einem der Särge – offenbar derjenige von Marx –, öffnete den Deckel und sah uns missmutig an: »Wie ich schon sagte: Das waren Idioten!«

      Wir traten näher an den Sarg heran. Was wir sahen, war doch einigermaßen verblüffend: Der Sarg war bis beinahe oben hin gefüllt – mit Büchern.

      Holmes nahm eines der Bücher in die Hand und las vom Einband: »Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Von Karl Marx.« Er öffnete den Band, blätterte eine Seite vor und setzte fort: »2. Auflage, Hamburg 1872.«

      Auch ich nahm nun ein Buch zur Hand – und es war dieselbe deutschsprachige Ausgabe des Hauptwerks von Marx. Insgesamt befanden sich in dem Sarg gewiss an die 50 identische Exemplare.

      Seelenfried hob verzweifelt die Arme: »Was soll denn das?«, jammerte er. »Können Sie mir sagen, was das soll?«

      Holmes schüttelte langsam den Kopf. »Tut mir leid, das kann ich nicht«, antwortete er.

      »Vielleicht ist das nur ein Scherz?«, vermutete ich, war jedoch selbst nicht so recht davon überzeugt.

      Folgerichtig entgegnete Holmes: »Wohl kaum. Für einen Scherz erscheint mir dies doch ein wenig zu aufwendig.« Dann wandte er sich an Seelenfried: »Das wäre alles. Sie gestatten es gewiss, wenn ich mir ein Exemplar mitnehme, nicht wahr?«

      »Nur eines?«, fragte der Bestatter empört. »Nehmen Sie alle! Was soll ich damit?«

      Holmes lächelte. »Danke, aber ein Buch wird mir genügen. Ich ersuche Sie, die restlichen einstweilen im Sarg zu lassen.«

      »Darauf können Sie Gift nehmen!«, rief Seelenfried. »Es fiele mir im Traum nicht ein, diesen Unfug aufzuräumen. Und der Sarg ist ohnedies schon bezahlt.«

      Während Holmes sich mit einem einfachen Kopfnicken bereits verabschiedete und Richtung Ausgang marschierte, legte ich mein Exemplar des »Kapitals« zurück in den Sarg und verschloss ihn gemeinsam mit Herrn Seelenfried. Dabei wurde dieser schlagartig geschäftstüchtig.

      »Dr. Watson«, begann er, »es ist die Tätigkeit des Detektivs gewiss ein überaus gefährlicher Beruf. Sie haben mit allerlei ruchlosen und brutalen Kriminellen zu tun. Haben Sie schon daran gedacht, Vorkehrungen zu treffen, sollten Sie – Gott behüte – in Ausübung ihres Dienstes ums Leben kommen? Ich kann Ihnen ein gutes Angebot machen: Volles Programm, Waschen, Rasieren, Kämmen, Einbalsamierung, Bekleidung, Sarg, Begräbnis mit Blumen und Kränzen. Zum besten Preis in ganz Nordlondon!«

      Mochte Seelenfried auch nicht gänzlich Unrecht haben, so sträubte sich in mir doch alles dagegen, mein vorzeitiges Ableben zu organisieren.

      »Danke für das Angebot«, antwortete ich höflich, »doch ich habe aktuell nicht vor, aus dem Leben zu scheiden. Vielleicht ein andermal. Guten Tag!«

      Ich machte mich auf den Weg, um Holmes zu folgen. Als ich fast bei der Tür war, rief mir der Bestatter noch nach: »Denken Sie darüber nach! Wenn Sie tot sind, ist es zu spät!«

      ***

      Die lange Rückfahrt in die Regent’s Park Road zu Herrn Engels verlief einsilbig. Holmes blätterte geistesabwesend und mitunter etwas hektisch in den über 600 Seiten des »Kapitals«. Hin und wieder sprach er ein deutsches Wort laut aus, das sich wohl im Text befand, mehrmals musste er heftig nicken, seltener den Kopf schütteln, zweimal lachen. Dann schlug er unvermittelt das Buch zu, blickte auf und verkündete: »Verstehe.«

      Ich versuchte gar nicht, meine Verwunderung zu verbergen. »Was verstehen Sie, Holmes?«, fragte ich pflichtbewusst.

      »Die Relevanz, mein lieber Watson«, erklärte er. »Es handelt sich um eine äußerst scharfsinnige Analyse. Wenn das stimmt, was da drinnen steht, dann verfügt unser gegenwärtiges Wirtschafts- und Gesellschaftssystem in der Tat über keinerlei weitere Legitimation. Kein Wunder, wenn die Gegner von Marx dieses Buch gleich mit seinem Verfasser begraben wollen.«

      Ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte, zumal sich gleich mehrere Fragen aufdrängten, wobei ich zunächst nur eine stellen wollte: »Holmes! Sie haben doch nicht jetzt während der Fahrt das ganze Buch gelesen?«

      »Weitgehend«, antwortete Holmes. »Sie sind offenbar nicht mit der Technik des Diagonallesens vertraut. Ich habe mir einen Überblick verschafft über die ökonomischen Vorstellungen von Herrn Marx. Und eines dürfte feststehen: Dieser Kapitalismus, von dem er schreibt, stellt wohl den intelligentesten und bestorganisierten Raubzug der Menschheitsgeschichte dar – und das im Rahmen der Gesetze. Äußerst bemerkenswert!«

      Kurz musste ich lachen. »Um Himmels Willen, Holmes«, rief ich, »sind Sie jetzt etwa Sozialist?«

      Ich erntete nur ein nüchternes Kopfschütteln. »Über den Sozialismus steht da nichts drinnen«, erklärte Holmes und legte das Buch beiseite. »Und überhaupt: Wenn dieses allzu komplexe, überlange und für den gemeinen Leser schwer nachvollziehbare Traktat das zentrale Propagandamittel der Herren Marx und Engels ist, dann sehe ich schwarz für diese so genannte proletarische Revolution. Kein Arbeiter wird das jemals verstehen.«

      »Da kann ich Sie beruhigen«, versicherte ich Holmes. »Sozialistische Literatur, auch in trivialer, allgemeinverständlicher Form, gibt es heute wie Sand am Meer. Herr Engels ist sicherlich bereit, Ihnen ein etwas griffigeres Pamphlet zu überlassen.«

      Holmes schüttelte den Kopf. »Ich persönlich habe dafür keinen Bedarf, denn ich habe Herrn Marx schon verstanden. Seine Betrachtungen sind wissenschaftlich korrekt. Ich frage mich nur, ob СКАЧАТЬ