Deutschenkind. Herbjørg Wassmo
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Название: Deutschenkind

Автор: Herbjørg Wassmo

Издательство: Автор

Жанр: Современная зарубежная литература

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isbn: 9783867548663

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СКАЧАТЬ die rechte Hand aus dem Hosenlatz und versteckte sie hinter dem Rücken. Er wagte nicht einmal, sie in die Tasche zu stecken, so verdutzt war er über diese enorme Kuckucksuhr von Haus, wo gleichzeitig drei Köpfe mit weit aufgerissenen Schnäbeln draußen waren und schrien. Einar schluckte noch einmal, bevor ihn der Zorn wie ein stechender Frostschmerz überfiel und er schwer atmend und mit rauer Stimme rief: »Was zum Teufel krähste da oben? Darf man hier nicht mal mehr scheißen?«

      »Du warst aufm Frauenklo! Ich hab dich gesehn!« Elisif kannte keine Gnade. Eine strafende Donnerstimme in hoher Tonlage.

      Aber Einar hatte sein Selbstvertrauen wiedergewonnen. »Ist da ein Unterschied zwischen Männer- und Frauenklo? So fein wie hier in Stranda war’s nicht mal beim Pastor, wo ich herkomm. Dem Pastor seine hatte keinen so piekfeinen Arsch, dass sie ein Klo für sich haben musste wie die Weiber hier im Tausendheim.« Und ohne sich weiter um Elisifs Gekeife zu kümmern, schritt er über den Hof und betrat den mittleren Eingang. Er schloss die Verandatür mit einem Knall und stapfte wütend die alte Holztreppe hinauf, so dass die Messingbeschläge ganz außen an jeder Stufe leicht zitterten.

      Kurz darauf saß Einar auf seinem Sofa und blinzelte unfreundlich die Wand an. Der Teufel sollte die Weiber holen. Er wollte sich selbst nicht eingestehen, dass er immer noch Herzklopfen hatte.

      Er benutzt das Frauenklo nie mehr. Trotzdem guckt er jedes Mal böse auf Elisifs Fenster, wenn er über den Hof geht, um seine Notdurft zu verrichten. Und wenn er irgendwo im Haus ihre hohe, dünne Stimme hört, bekommt er ab und zu ein ganz unangebrachtes Herzklopfen, dessen er nicht Herr wird. Das macht ihn rasend. Denn Einar ist ein Mensch, der in jeder Beziehung allein im Leben zurechtkommt. Er fürchtet weder Pastor noch Weiber.

      4

      Das Tausendheim! Der große Holzbau aus der Zeit der Jahrhundertwende zeigte Reste aus stolzer Vorzeit und Spuren menschlicher Dummheit.

      Man konnte beides deutlich an den alten, verwitterten Dachvorsprüngen sehen. Von dem mit Steinen beschwerten Dach mit Moos und Möwendreck bis zu den dicken Grundmauern aus handbehauenen Steinen und bis zu einem Meter tief in die Erde hinein roch es nach einem Fischereibesitzer alten Stils und nach Großkapital. Das Haus hatte drei Etagen und einen Keller und eine Menge hohe, zugige Fenster.

      Das Gartenhaus war eine vermooste Fallgrube geworden, in die Elisifs Fünfter eines Sommers hineinfiel und sich den Fuß brach. Aber an klaren, kalten Tagen lag der Rauch noch wie in alten Zeiten über dem geflickten Dach und kam aus drei Schornsteinen gleichzeitig. So flößte das Haus noch immer Respekt ein.

      Aber Großverdiener gab es keine mehr. Sie waren bereits in den schwierigen dreißiger Jahren verschwunden. Und danach wurde das Haus dem Verfall und den Wunden überlassen, die das gemeine Volk ihm zufügte.

      Denn in das Tausendheim kamen die Armen. Die, welche schwer zu tragen hatten und arm waren an irdischen Gütern. Und einige waren auch arm an Geist.

      Sie drängten sich um die drei Treppenaufgänge zusammen, und manchmal brauchte man sie noch, wenn im Ort eine Lücke entstanden war. Ob das nun an den Kais war, bei den Hausbesitzern oder unter den verschmutzten Zimmerdecken bei anständigen Leuten zum Hausputz.

      Die Leute im Tausendheim dachten nicht daran, dass sie das Erdenreich wegen ihrer Sanftmütigkeit besitzen sollten. Daran dachten sie am allerwenigsten.

      Aber wenn im Spätherbst der Mond über Veten und Hesthammeren stand und die Mütter ihre Ältesten beauftragt hatten, die kärglichen Kartoffeln vom Gemeinschaftsacker zu ernten, mit dem jährlichen Streit, wo Elisifs Grenzen aufhörten und Arnas und Peders Grenzen begannen, beruhigten sie sich auf ihre Weise unter den Lampen. Wenn sie jung waren, lungerten sie in Været herum, und wenn sie noch jünger waren, spielten sie in dem dunklen Keller Verstecken.

      Der Mond streute sein prächtiges Silber über den alten Drachenkopf am Südfirst (am Nordfirst war er bereits vor dem Krieg heruntergefallen), und die Gemüter im Tausendheim erhoben sich über ihre eigene graue Sanftmut.

      Wenn die Sonne endlich wiederkehrte und auf das schneebedeckte alte Dach schien, kamen die Männer mit Kabeljau und Rogen heim. Die Mandelkartoffeln wurden aus dem Keller geholt, und der schwere, friedliche Dunst von gekochter Leber durchzog das Haus.

      Da riefen sie sich durch die offenen Fenster zu, dass die dunkle Zeit vorbei sei, und die Frauen halfen einander mit den Schubkarren bis zur Flussmündung, wo sie die wintergelben Laken zum Bleichen auf den Felsen und den alten Schneewehen ausbreiteten.

      Die Poesie lag in den Details. In den segensreichen Tropfen aus der abgebrochenen Dachrinne zum Beispiel. Aber sie war scheu, und sie wurde kaum beachtet, wie ein armes Kind, das keine stillen und dem niemand Liebe geben will.

      Das Magische daran, überhaupt am Leben zu sein, ging einem armen Teufel selten auf. Das begriff er höchstens bei Sturm und Schiffbruch.

      Es konnte passieren.

      In der Dachstube über der Veranda im Tausendheim wohnte viele Jahre eine alte Witwe. Sie strickte für die Kinder im Haus und verprügelte sie der Reihe nach, wenn sie Unfug trieben. Sie warf Steine auf streunende Hunde und putzte die Treppen, ob sie dran war oder nicht. Da hatten die im mittleren Treppenhaus Glück. Aber dann fing sie an, die Küchentücher im Nachttopf zu waschen, und vergaß sich selbst und die Treppe. Schließlich musste sie ins Altersheim nach Breiland gebracht werden. Da war sie genau einen Tag und eine Nacht. Dann war es aus mit ihr.

      So wurde die Dachstube frei für Einar, der von dem neuen Pastor vom Pfarrhof gejagt wurde, weil er die Eier unter den Hühnern und den Speck aus dem Vorratsspeicher stahl. Die Dachkammer befand sich oberhalb der alten Glasveranda. Da war übrigens nicht mehr viel Glas. Der Südwestwind hatte gewütet und die kleinen Glasscheiben eine nach der anderen zerbrochen. Die Männer hatten an der Südwestseite Holzteile und Platten davorgenagelt, um Wind und Wetter abzuhalten.

      Wenn die Außenlampe eingeschaltet war und in dem schaumgekrönten, jähzornigen Meer glitzerte, sah die ganze Glasveranda wie ein blindes Auge aus. Nur zwei kleine Scheiben hatten überlebt. Sie schielten trotzig und verwundert in den Himmel.

      Die Dachstube war ziemlich fußkalt.

      Dagegen zog es kaum durch das Fenster. Das kleine Dachfenster ließ nämlich nicht den Wind durch, sondern weinte. Es tropfte und rann, wenn Schnee und Regen das Fenster blind machten.

      Einar hatte schnell denselben Trick entdeckt, den auch die Kalla-Witwe angewandt hatte. Er stellte eine Waschschüssel darunter. Auf dem Boden unter dem Fenster war ein verschwommener, rostiger Kreis von der Witwenschüssel. Einar begriff den Sinn dieses Kreises sofort und setzte beim ersten Unwetter seine Schüssel dorthin. Durch das segensreiche Guckloch im Dach schaute Gottes uralter und launischer Himmel herein – falls das Wetter es zuließ. Man brauchte keine Vorhänge gegen neugierige Blicke, und es gab kein Fensterbrett für Topfpflanzen. Das war Einar nur recht.

      Tobias A. Brinch und Waldemar E. Brinch hatten einstmals jedes Lebewesen und jede Bewegung auf Øya besessen. Sie steuerten aus der Ferne jedes Fischerboot südlich von Vagen und steuerten den Überschuss in die eigene Tasche.

      Von zwei Herrschaftshäusern mit Dienstboten, Gesellschaften und Festlichkeiten aller Art gingen die Befehle über Leben oder Verhungern in fernen Zeiten aus. Der Pfarrhof war der dritte Machtfaktor, und der konnte wohl mithalten, auch wenn hier nicht von Kronen und Öre die Rede war.

      Gegen Ende der dreißiger Jahre geschah das Unbegreifliche: Die Dorfbesitzer Brinch gingen in Konkurs. Die Kais, der Laden, der Grund und Boden, alles war beliehen und gepfändet. Schlechte Zeiten und Spekulation, sagten СКАЧАТЬ