Arabidopsis – ein Leben ist nicht genug. Gottfried Zurbrügg
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Название: Arabidopsis – ein Leben ist nicht genug

Автор: Gottfried Zurbrügg

Издательство: Автор

Жанр: Контркультура

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isbn: 9783960085577

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СКАЧАТЬ Restaurant, nachdem er dem Kellner rasch seine Karte gegeben hatte. Alles war so leicht, so schwebend.

      „Professor, ich möchte Sie auf der Stelle küssen“, gestand Sybille. „Ich habe mich gleich in Sie verliebt, als ich Sie das erste Mal sah!“ Mit diesen Worten fiel sie ihm einfach um den Hals.

      „Bitte rufen Sie uns ein Taxi“, forderte Scherrer den Kellner auf, der ihnen gefolgt war.

      Als es da war, führte er Sybille zum Wagen und stieg mit ein. Sybille war wach genug, ihre Adresse zu nennen und auch noch die Haustür aufzuschließen. Aber dann fiel sie in seine Arme und schlief fast. Scherrer brachte sie in das Schlafzimmer ihrer kleinen Wohnung.

      Der Mond schien ins Zimmer, als Scherrer sie verließ. An der Tür blieb er stehen und sah zurück auf die schlanke Frau im Bett. „Ich danke dir, Sybille“, flüsterte er. Sybille drehte sich, als habe sie etwas gehört, und schob die Decke zur Seite. Aber dann lag sie still auf dem Rücken und der Mond streute sein fahles Licht über sie. Ihr weißer Körper verschwamm mit dem Weiß des Bettlakens, nur ihr schwarzes Dreieck hob sich deutlich im Dunkel ab. Scherrer stutze einen Augenblick. „So ist das gemeint“, sagte er leise. „Ihr Ägypter habt gut beobachtet. Der Schoß der Isis! Die Gestalt der Göttin verschwimmt mit dem dunklen Blau des Himmels, aber ihr Schoß ist deutlich zu sehen.“

      Ein plötzlicher Hustenanfall nahm ihm den Atem. Er versuchte ihn zu unterdrücken. Alles begann sich um ihn zu drehen, auch die weiße Frau auf dem Bett. Die Farben verkehrten sich ins Gegenteil: Das Laken und die Frau wurden schwarz, und weiß leuchtete ihr Dreieck im wilden Wirbel, bis nur noch ein leuchtender Punkt zu sehen war. Das ist das Ende, dachte Scherrer merkwürdig unberührt und hielt sich an der Tür fest. Werde ich die Götter sehen oder wird sich gleich ein schwarzer Wirbel auftun und mich herabziehen? Aber dann bekam er wieder Luft. Der Krampf in seinem Hals löste sich und er richtete sich auf.

      Leise ging er zu Sybille und deckte sie zu. Dann hauchte er einen Kuss auf ihre Stirn und ging zur Tür. Geräuschlos öffnete er, sah sich noch einmal um und verschwand. Sirius! Wie nah war ich den Sternen, wie nah dem Paradies, dachte Scherrer, als er zur Haltestelle ging.

      Der Morgen wurde dunkelblau, als Scherrer in die erste Bahn stieg. Er sah noch einmal zurück zu den Fenstern. Nein, dachte er, Leben will ich. Das Leben suche ich und nicht den Tod. Er unterdrückte den Husten, der wieder aufkommen wollte. „Deine Medikamente, Robert, haben genau so lange gehalten, wie ich es brauchte“, stellte er fest, als die Bahn anfuhr.

      An der Haltestelle Durlacher Tor zögerte er. Sollte er aussteigen und gleich ins Labor gehen? Aber es zog ihn nach Hause, in sein Arbeitszimmer, zurück in die Höhle, ausgestattet mit Büchern und Wissen. Ja, meine Höhle, dachte Scherrer. Dort kann ich verwundbar sein, denn mein Wissen schützt mich.

      Erst in Durlach stieg er aus und bog in die Straße zu seinem Haus ein. Danke, Robert, für das Spiel des Lebens, dachte er, es war so einfach, Sybille zu verführen. Unwillkürlich musste er lachen. Wer weiß, was sie sich vorgestellt hat. Sie war eine Puppe in meinen Armen. Oder war ich der Vampir in den ihren?, fragte er sich. Habe ich Lebenskraft in mich aufgenommen, als ich neben ihr lag und ihre jugendliche Wärme spürte? War es das, was ich gesucht habe? Die Lust eines alternden David, der nicht mehr warm wurde und dem man Abigail als Gefährtin gab? So berichtet es die Bibel. Die Menschen wussten sehr viel um das Geheimnis des Lebens. War sie meine Abigail?

      „Ich war der Handelnde“, sagte er laut. „Ich war der, der ihr Leben gab. Ich war der, der die Fäden in der Hand hielt. Sie hat es genossen. Sie wird nichts bereuen.“

      Er ging die Straße entlang. Ich fahre doch bald wieder los, dachte er, nach Remchingen zu Robert. Es war ihm, als hätte das jemand anders gesagt. „Ja“, sagte er laut. „Ich bin stark genug, auch den Weg zu gehen. Ich habe so viel geschafft. Ich kann noch leben.“

      „Noch“, klang es zurück, „noch blühen die Bäume, auch in diesem April, noch erwacht das Leben.“

      Scherrer sah zu seinem Haus hoch. Glühte da eine Zigarette in seinem Arbeitszimmer? Ein kleiner roter Punkt schien durch die große dunkle Scheibe. „Wartet Dagmar auf mich?“, fragte er sich. „Ich möchte ihr jetzt nicht begegnen.“

      Er blieb auf der Straße stehen. Der rote Punkt verschwand. Sie hat auf mich gewartet. Sie wartet immer noch darauf, dass ich nach Hause komme. Aber mein Weg führt mich weit fort. Ich kehre nicht zu ihr zurück, nur in mein Haus.

      Langsam ging er weiter. Der Morgen kam früh herauf. Die Schatten der Nacht wichen dem Licht eines neuen Tages. Neben der Haustür stand wie immer die Katzengöttin, die er einst aus Ägypten mitgebracht hatte. Scherrer legte seine Hand auf den Katzenkopf aus Granit. Das waren noch Abenteuer. Die Welt war so weit und alles schien erreichbar, dachte Scherrer. Wir hatten die Zukunft vor uns. Alle Wege waren offen. Wir glaubten, die Welt erobern zu können. Aber nun hat sie uns eingeholt.

      Wieder fühlte sich der Katzenkopf eigenartig warm an. Scherrer registrierte es unbewusst und ließ ihn los, um den Schlüssel aus der Hosentasche zu nehmen. Nachdenklich schloss er auf, hielt einen Augenblick inne und lauschte. Wie ein Dieb betrete ich mein eigenes Haus, dachte er. Was habe ich wem gestohlen? Ihr die Jugend? Und die Zeit? Mir ein Stück eigenes Leben? Er lachte leise vor sich hin. Ich wollte noch einmal leben. Habe ich das?

      Es war alles ganz ruhig im Haus. Niemand schien seine Ankunft zu bemerken. Lautlos ging Scherrer über die dicken Teppiche in sein Arbeitszimmer. Leichter Zigarettenrauch hing in der Luft. Dagmar hat auf mich gewartet, dachte Scherrer. Sie hat zwar darauf gewartet, dass ich wiederkomme, aber sie hat den Augenblick der Begegnung nicht gewollt. Es reicht ihr, dass ich im Hause bin. Schwer ließ er sich in die weichen Polster fallen. Eine unbekannte Müdigkeit überkam ihn. Man kann nur ein Stück Leben genießen, dachte er, immer nur ein ganz kleines Stück.

      Die Uhr an der Wand tickte gleichmäßig. Scherrer nahm es im Halbschlaf wahr. Die Zeit anhalten, dachte er, das will ich. Ich will ja nur die Zeit anhalten. Ich will kein ewiges Leben. Ich weiß, dass ewige Jugend nicht möglich ist. Ich will die Zeit anhalten, diese verdammte Zeit anhalten! Der Schlaf hielt ihn schon zu sehr gefangen, als dass er sich noch hätte erheben können.

      „Die Zeit ermöglicht uns Bewegung“, sagte jemand neben ihm. Er spürte die Nähe einer jungen Frau neben sich. Sie war schlank und sehr schön. Ihr Gesicht konnte er nicht erkennen. Es kommt nicht auf das Gesicht an, dachte er. Ein Freund aus Jugendtagen fiel ihm ein, der die Gesichter der jungen Frauen immer mit einem Tuch bedeckte, wenn er mit ihnen schlief. „Es kommt nicht auf die Gesichter an. Der Körper ist wichtig. Nur der Körper.“

      „Wir brauchen den Körper“, sagte die junge Frau neben ihm. „Nur, wenn es einen Körper gibt, der zu uns gehört, können wir Gestalt annehmen. Nur dann können wir uns frei bewegen. Der Körper muss ewig sein.“

      Der Gedanke der alten Ägypter, dachte Scherrer, die Seele kann sich frei bewegen, wenn sie eine Heimat hat, in die sie zurückkehren kann. Wenn sie ein Haus hat, ist das Ka frei. Hat sie es nicht, dann ist sie heimatlos und verweht im Winde.

      „Ist das so falsch?“, fragte die Gestalt neben ihm. „Empfindest du es nicht genauso? Hier ist dein Körper. Nicht du, dein Arbeitsraum, deine Bücher, deine Sammlungen. Sie gehören alle zu dir. Auch du kehrst zurück, um wieder dich selbst zu finden. Du brauchst dein Haus, um deinem Ka die Freiheit geben zu können.“

      Meine Bücher, meine Forschungen, meine Sehnsucht. Nicht dem ewigen Wandel unterworfen zu sein, dachte Scherrer. Träume ich? Verschwimmen Tag und Traum? Ich muss Anneliese anrufen. Sie muss den Brief an die Welt der Wissenschaften weiterschicken.

      „Du musst gar nichts“, sagte die Frau neben ihm. Wie Dagmar, СКАЧАТЬ