"Rosen für den Mörder". Johannes Sachslehner
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Название: "Rosen für den Mörder"

Автор: Johannes Sachslehner

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783990404669

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СКАЧАТЬ dann den Auftrag, „mit den Herren der litauischen Stadtverwaltung Wilna abzufahren, mit dem Zweck festzustellen, welche Plätze oder Stadtviertel sich für die Bildung eines Ghettos eignen würden. Wir kamen auch zu einem Stadtviertel, wo sich eine Straße noch Ghettostraße nannte. Dort war einst unter der Herrschaft der Russen ein Ghetto.“ Hingst, so Murer, sei dafür gewesen, das Ghetto in der Innenstadt zu errichten, so erreiche man, dass die Gestapo „nicht machen könne, was sie wolle“, und setzt sich damit auch durch. Eine weitere Sitzung wird angesetzt, dieses Mal eine „große Runde“ mit Gestapo, Polizei und der litauischen Stadtverwaltung, an der Murer, wie er später behauptet, nicht teilnimmt – sehr unwahrscheinlich, wenn man bedenkt, dass er das betreffende Stadtviertel in der Altstadt Wilnas bereits inspiziert hat und damit rechnen muss, dass Hingst ihn auch weiterhin für die Betreuung des Ghettos heranziehen wird. Vor dem sowjetischen Untersuchungsrichter wird er denn 1948 auch behaupten: „In Ausführung des Befehls habe ich zusammen mit dem Wilnaer Bürgermeister Dabulevičius den Platz für das Ghetto ausgewählt.“ (Documents Accuse, Dokument Nr. 94 – Übersetzung J. S.)

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      Sie organisieren die Ghettoisierung der jüdischen Bevölkerung Wilnas: Gebietskommissar Hans Christian Hingst und sein Adjutant Franz Murer.

      Die für die beiden Ghettos vorgesehenen Straßenzüge beiderseits der Deutschen Straße stehen fest, doch nun gibt es ein Problem: Es gilt Platz zu schaffen für die 45.000 Menschen, die hierher umziehen sollen. Hingst und Murer „arbeiten“ an der Lösung: Polen und Litauern muss man neue Wohnungen zuweisen, was die jüdischen Bewohner des Viertels betrifft, so käme eine Art Großrazzia gerade recht, doch wie rechtfertigt man diese? Da es keinen Vorwand gibt, muss einer nach bewährtem Nazi-Muster geschaffen werden: Am Sonntag, dem 31. August 1941, um zwei Uhr nachmittags, betreten zwei in Zivil gekleidete litauische „Partisanen“ eine Wohnung im Haus an der Ecke Stekljannajastraße/Bolschajastraße. Vom Fenster dieser Wohnung, die keinem Juden, sondern einem Christen (!) gehört, hat man beste Sicht auf den Eingang des Pan-Kinos, vor dem zahlreiche deutsche Soldaten auf die nächste Filmvorführung warten. Die beiden litauischen Kollaborateure feuern aus dem Fenster zwei Schüsse ab, die niemanden verletzen, dann stürzen sie auf die Straße und rufen, dass gerade zwei im Haus lebende Juden auf die Deutschen geschossen hätten – das Signal zur Lynchjustiz: Gemeinsam mit einigen deutschen Soldaten dringen die beiden Litauer in eine jüdische Wohnung des Hauses ein, zerren zwei Juden, die nicht wissen, wie ihnen geschieht, auf die Straße, prügeln sie halbtot und erschießen sie dann.

      Alles läuft nach Plan: Der „Volkszorn“ der litauischen „Aktivisten“ – Angehörigen der im März 1941 in Berlin gegründeten rechtsradikalen „Litauischen Aktivisten-Front“ (LAF) – und „Partisanen“ ist nun geweckt, es beginnt ein Pogrom, das im Bereich des vorgesehenen Ghettogeländes die Nacht über bis Montagmittag andauert. Mit Kolbenschlägen prügeln die Litauer die Juden erbarmungslos aus ihren Wohnungen hinaus auf die Straße, Tausende müssen überstürzt ihr Heim verlassen, haben kaum Zeit, etwas einzupacken. Die 20-jährige Jüdin Rachel Margolis, die bei einer christlichen Familie lebt und sich später der jüdischen Widerstandsbewegung F. P. O. anschließen wird, beobachtet das Geschehen: „Aus dem Fenster einer Wohnung in der Trockastraße sah ich in der Nacht eine endlose Kolonne von Menschen – Kinder, Greise, Frauen mit Babys auf dem Arm, mit Bündeln, Töpfen, Eimern, Kissen – eine schreckliche graue Masse, die kein Ende nahm. Niemand wusste zunächst, wohin man die Menschen trieb und was mit ihnen geschehen sollte.“ (Zitiert nach Rachel Margolis und Jim Tobias, Die geheimen Notizen des K. Sakowicz.)

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      Tausende müssen überstürzt ihr Heim verlassen, niemand weiß, wohin es geht …

      Unter den Beobachtern dieser „Aktion“ ist auch der jüdische Journalist Grigorij Schur, geboren 1888 in Wilna: „Alle wurden hinausgetrieben – die Alten und die Kranken, die Kinder und die Frauen mit Säuglingen auf den Armen. Vielen wurde es nicht gestattet, sich anzuziehen; nur in ihrer Unterwäsche standen sie auf der Straße. Die Wohnungen blieben offen für alle, die sie zu plündern wünschten.“ (Zitiert nach Grigorij Schur, Die Juden von Wilna.)

      Das Gebietskommissariat zeigt sich – wenig überraschend – gut vorbereitet: Noch am 31. August wird eine Ausgangssperre von 15 Uhr nachmittags bis 10 Uhr vormittags gegen „alle Juden beiderlei Geschlechts“ verhängt, nur jene Juden dürfen ihre Wohnung verlassen, die ausdrücklich zu einem Arbeitseinsatz befohlen sind. Und ein Plakat wird in Druck gegeben, eine „Bekanntmachung“, in der es mit zynischer Verlogenheit heißt: „Am gestrigen Sonntag nachmittag wurde in der Stadt Wilna aus dem Hinterhalt auf deutsche Soldaten geschossen. Zwei der feigen Banditen konnten festgestellt werden. Es waren Juden. Die Täter haben ihr Leben verwirkt. Sie wurden sofort erschossen. Zur Verhütung derartiger feindseliger Akte sind bereits weitere schärfste Gegenmaßnahmen getroffen. Die Vergeltung trifft die Gesamtheit der Juden.“

      Die „Vergeltung“ heißt Mord: Die zusammengetriebenen Juden werden zum Teil ins berüchtigte Lukiškes-Gefängnis gebracht, zum Teil müssen sie in langer Kolonne direkt den Weg nach Ponary antreten. Noch weiß niemand, was sie hier erwartet. Viele glauben, dass sie „umgesiedelt“ und in ein Arbeitslager gebracht werden … Opfer der „Großen Provokation“ werden auch zehn Mitglieder des ersten Judenrates, unter ihnen auch Shaul Pietuchowski, mit dem Murer noch vor wenigen Wochen über die „Kontribution“ verhandelt hat. Am 2. September erhält der Judenrat vom litauischen Mordkommando Ypatingas Burys noch Befehl, in der Straszunstraße Fuhrwerke bereitzustellen, wenig später werden die zehn Männer von EK-3-Verbindungsmann Horst Schweinberger festgenommen, nach Ponary gebracht und erschossen. Die Büros des Judenrats werden geschlossen und versiegelt, in der jüdischen Einwohnerschaft Wilnas breiten sich Panik und eine „unerträgliche Hilflosigkeit“ (Christoph Dieckmann) aus. Man schickt eine Delegation zu Bürgermeister Dabulevičius, doch der schiebt alles auf die deutschen Besatzer, sie trügen die Verantwortung, er könne nichts tun. Ihrer gewohnten Führung beraubt, taumeln die Juden Wilnas der Ghettoisierung entgegen.

      Der Ort des Todes: Ponary

      Kazimierz Sakowicz, Jahrgang 1894, ist Journalist und Herausgeber der Wilnaer Wochenzeitung Przegląd Gospodarczy („Wirtschaftsrundschau“). Zusammen mit seiner Frau Maria bewohnt er ein kleines Haus in der Gemeinde Ponary, etwa zehn Kilometer von Wilna entfernt. Neben dem Schreiben widmet er sich der Arbeit auf den Feldern, die zum Haus gehören. Das Dorf Ponary ist umgeben von dichten Wäldern, für die Bewohner von Wilna ist die Gegend vor dem Krieg ein beliebtes Ausflugsziel gewesen.

      Als Kazimierz Sakowicz am 11. Juli 1941 Schüsse hört, die vom Wald herkommen, glaubt er zunächst an militärische Übungen. Es ist vier Uhr nachmittags, die Schüsse dauern eine, dann sogar zwei Stunden an. Auf der Grodzienka, der Landstraße, die an Ponary vorbei Richtung Grodno führt, erfährt er dann von Bauern aus der Umgebung die Wahrheit: Man hat Juden in den Wald getrieben, etwa 200 hat man gesehen und nun werden sie erschossen.

      Von einem Versteck auf dem Dachboden seines Hauses aus verfolgt er am nächsten Tag die Hinrichtungen – wieder wird eine große Gruppe Juden, etwa 300 Menschen, in den Wald geführt, jeweils 10 Personen werden auf einmal erschossen. Sakowicz notiert seine Beobachtungen auf herausgerissenen Seiten von Schulheften und Kalenderblättern, Tag für Tag dokumentiert er von nun an die Massenmorde im Wald von Ponary. Da niemand von diesen Aufzeichnungen erfahren darf, steckt er die beschriebenen Zettel in leere Limonadenflaschen, stöpselt diese zu und vergräbt sie in seinem Garten. Der letzte Eintrag, den Sakowicz in seinem „Tagebuch“ macht, stammt vom 6. November 1943; der Journalist befürchtet zu diesem Zeitpunkt schon, dass ihn die Szaulisi, die litauischen Kollaborateure der Nazis, im Visier haben würden. Sakowicz, der sich der polnischen Untergrundarmee AK – Armia Krajowa – anschließt, wird am 5. Juli 1944 auf einem Waldweg von unbekannten litauischen Tätern angeschossen und erliegt am 15. Juli 1944 СКАЧАТЬ