Название: ... und hinter uns die Heimat
Автор: Klaus-Peter Enghardt
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783957448422
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Trotzdem vergaß Elfriede Knieschitz nicht, ihrer Tochter noch das Proviantpäckchen in die Hand zu drücken, das Katharina in ihrer Umhängetasche verstaute.
Auf dem Kölner Hauptbahnhof herrschte Hochbetrieb und Katharina war froh, mit ihrem Gepäck endlich am richtigen Bahnsteig angekommen zu sein. Unter die vielen Soldaten mischten sich immer noch zahlreiche Zivilpersonen.
Aus den Lautsprechern ertönten unablässig wichtige Durchsagen und hallten laut über die Bahnsteige.
Menschen hasteten von einem Bahnsteig auf den anderen, weil ein militärischer Sonderzug plötzlich von dort abfahren sollte.
In einer dieser Durchsagen wurde den Reisenden mitgeteilt, dass der Zug nach Berlin planmäßig um sechs Uhr dreißig abfahren wird, jedoch ebenfalls von einem Nachbarbahnsteig. Katharina musste also eilig den Bahnsteig wechseln.
Vater Paul suchte zum Abschied nach passenden Worten, ohne noch einmal die guten Ratschläge zu wiederholen, die seine Tochter zur Genüge kannte. Die Verlegenheit ihres Vaters rührte sie zutiefst, und plötzlich ergriff sie ein wenig Angst und auch Mitleid. Angst, um ihre geliebten Eltern, die nun im leidgeprüften Köln zurückblieben. Wie würden sie wohl künftige Bombenangriffe überstehen, mit denen sicher zu rechnen war? Und Mitleid, weil sie ahnte, wie schwer es ihren Eltern fallen musste, ihre einzige Tochter in die unbekannte Fremde ziehen zu lassen, ihr Mädchen, das sie noch immer behütet hatten, wie man eben ein geliebtes Kind behütet. Schließlich war sie der Lebensmittelpunkt ihrer Eltern, der nun aus ihrem Gesichtskreis verschwand.
Katharina schaute auf die Bahnhofsuhr. In wenigen Minuten musste sie ihr Zugabteil besteigen. Vorsorglich hatte sie sich beim Kauf der Fahrkarte in der vergangenen Woche zugleich auch einen Sitzplatz reservieren lassen, deshalb konnte sie bis unmittelbar vor der Abfahrt bei ihrem Vater sein.
Als der Schaffner mit lauter Stimme die Reisenden aufforderte, ihre Abteile aufzusuchen, nahm Paul Knieschitz seine Tochter in die Arme und sagte liebevoll:
»Auf Wiedersehen, Kind. Pass’ auf dich auf und komme uns recht oft besuchen. Schreibe so oft es geht, das wird Mutter helfen und ich würde mich auch sehr freuen. Wir haben dich lieb, Kind.« Es war das erste Mal, dass der Vater diesen Satz zu ihr sagte. Er war kein Mann, der seine Gefühle so offen zeigte, und es bewies Katharina, dass auch der Vater schwer an diesem Abschied zu tragen hatte.
Er half ihr die hohen Stufen in den Waggon hinauf, schloss nach dem Abfahrtsignal die schwere Tür und lief ein Stück neben dem Zug her, als der langsam fahrend den Bahnhof verließ und allmählich Fahrt aufnahm. Schon hatte er die Hohenzollernbrücke erreicht, die die Altstadt Kölns mit dem Stadtteil Deutz verband.
Paul Knieschitz winkte noch, als der Zug bereits kaum noch zu sehen war. Er wusste zwar, dass seine Tochter ihn nicht mehr sehen konnte, doch er war sich sicher, dass sie es zumindest ahnen würde, dass er ihr hinterher winkte. Dann verließ er mit schweren Schritten und gebeugtem Rücken den Bahnhof und wischte sich mit seinem Jackenärmel die Tränen aus den Augen.
Katharina hatte es sich in ihrem Abteil, das sie sich mit einem älteren Ehepaar teilte, bequem gemacht. Die Eheleute musterten das Mädchen verstohlen und fragten sich sicher, wohin so eine junge Frau in diesen unruhigen Zeiten wohl fahren mochte, doch Katharina wollte von sich aus kein Gespräch beginnen. Stattdessen holte sie ein Buch hervor und schlug es auf, doch ihr Blick war getrübt. Sie musste sich große Mühe geben, nicht doch noch zu weinen, denn nun erst, nachdem der Zug seine volle Fahrt aufgenommen hatte, war ihr mit einem Mal bewusst, dass sie ihre Eltern für Monate nicht sehen würde. Außerdem hatte sie ein wenig Angst vor dem, was sie in der Fremde erwartete.
Doch mit dem Optimismus ihrer zweiundzwanzig Jahre wollte sie all die Schwierigkeiten meistern.
Der Zug hatte zwar einen Speisewagen angekoppelt, aber Katharina würde ihn nicht aufsuchen, denn ihre Mutter hatte sie ja mit ein paar Broten, zwei hartgekochten Eiern und ein paar Äpfeln versorgt. Das sollte bis Berlin reichen.
In Berlin musste sie dann allerdings für eine Nacht eine Pension aufsuchen. Dort würde sie sich für die Weiterfahrt nach Königsberg sicher mit etwas Proviant versorgen können.
Sie schaute aus dem Fenster und sah Felder und Wälder vorüberhuschen. Bald schon erreichte der Zug das Ruhrgebiet und auch in jenen Städten waren die schweren Schäden der Bombenabwürfe erkennbar.
Schließlich wurde sie von dem älteren Ehepaar doch noch in ein Gespräch verwickelt und verriet ihnen dabei den Grund ihrer Reise. Es war ihr inzwischen gar nicht unrecht, dass die beiden Herrschaften so lebhaft mit ihr plauderten, vertrieb es doch für ein paar Stunden die bangen Gedanken.
Am Nachmittag, um sechzehn Uhr fünfundzwanzig, hatte sie Berlin-Spandau erreicht. Etwas hilflos stand sie auf dem Bahnsteig und hielt Ausschau nach einem Kofferwagen.
Ein Bahnmitarbeiter war auf das Mädchen aufmerksam geworden und fragte nach ihrem Reiseziel. Schließlich gab er der jungen Lehrerin den Rat, mit ihrem vielen Gepäck ein Taxi zu nehmen. Er half ihr mit dem Gepäck bis auf den Bahnhofsvorplatz, winkte einem Taxi und verabschiedete sich dann.
Der Taxifahrer chauffierte die junge Frau schließlich zu der besagten Unterkunft. Sie befand sich in einer Seitenstraße, die von Linden flankiert wurde.
In der Pension wurde Katharina von einer älteren Frau mit rundem Gesicht und ebensolchen Hüften empfangen.
Die Wirtin rief freundlich, mit Berliner Dialekt: »Aha, da kommt ja meen Pangsionsjast! Komm rin in die jute Stube, meene Kleene! Na, wie war die Reise? Siehst ja aus wie Braunbier mit Spucke. Ach wat, ick quatsche dir voll und du hast bestimmt Hunger und Durst. Stell die Koffa uff’n Boden, setz dir erstmal off die Bank und ruh dir aus. Ick bring dir jleich ma eene Erfrischung und dann traach ick dir die schweren Brocken von Koffa die Stieje ruff, die is nämlich janz schön steil. Die Tasche kannste alleene trajen.«
Katharina war erstaunt, so überschwänglich empfangen zu werden, obwohl sie nur eine Nacht bleiben würde. Sicher war die Witwe Kleinschmidt froh, etwas Abwechslung zu bekommen.
Sie brachte Katharina eine Zitronenlimonade und wartete, bis ihr Gast das Glas geleert hatte.
Daraufhin sagte sie im Berliner Kommandoton: »So, und nun legste ab, Mädel! Dein Zimmer is eene Treppe höher. Kannst schon nach oben jehen, ick bring dir jleich deine Koffa hinterher.«
Kurz nachdem Katharina ihr Zimmer betreten hatte, kam auch schon die Wirtin mit den schweren Koffern die Treppen herauf gestapft.
Dem Mädchen war es peinlich, dass eine Frau, die wohl dreißig Jahre älter als sie selbst war, ihr das Gepäck nachtrug, doch die Wirtin hatte ihren vorsichtigen Einwand mit einer resoluten Handbewegung weggewischt.
»Mach dir een wenig frisch Mädchen, ick brüh uns inzwischen eenen ordentlichen Kaffe, natürlich Bohne und keen Muckefuck. Ja, für jute Jäste hat die Witwe Kleinschmidt immer een bisschen wat Ordentlichet. Beim Kaffe erzählste mir een bischen wat von deine Reise. Ick quassel nämlich nich nur jerne, ick bin ooch schrecklich neujierig und ick habe in der schweren Zeit nich mehr so viele Jäste. Die Front schluckt die jungen Männer, die sonst bei mir jewohnt haben und Dauerjäste jibt et schon lange nich mehr.«
Nachdem sich Katharina erfrischt hatte, ging sie, wie gewünscht zur Wirtin in die gute Stube hinunter.
Kaffeeduft begleitete ihre Schritte auf der steilen Treppe abwärts und wies ihr den richtigen Weg.
Frau СКАЧАТЬ