Название: Spinner. Schelme. Scharlatane
Автор: Gerhard Dienes
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783990404386
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Aus menschlichen Spermien, die man in Pferdemist verfaulen ließ, glaubte man Homunculi züchten zu können. Buchillustration, 1721.
Um 1780 scheint sich der Graf von Kueffstein von seinen Homunculi getrennt zu haben, angeblich auf Zureden seiner Gemahlin und seines Beichtvaters, die ihn beschworen, sein Seelenheil nicht weiter durch diesen „gotteslästerlichen Unfug“ zu gefährden.
Gustav Brabbée, geboren 1822 in Wien, selbst Freimaurer und von Beruf Beamter in einer Wiener Sparkasse, der die Aufzeichnungen Kammerers 1873 auszugsweise im freimaurerischen Taschenbuch Die Sphinx veröffentlichte, behauptete, dass sich diese im Besitz eines „ehrwürdigen, nunmehr 84-jährigen Freundes“ befunden hätten, der wiederum hätte sie im Nachlass seines Vaters gefunden, der einst Besitzer der Nürnberger Warenhandlung „Beim Todtenkopf“ in der Bognergasse war. Brabbée, dessen Todesdatum unbekannt ist, wollte jedenfalls an der Echtheit des „Verrechnungsbuches“, bestehend aus siebzig lose gehefteten Blättern, nicht zweifeln. Stellt sich die Frage: Was ist mit dem Original passiert? Oder saß Brabbée doch einer Mystifikation auf?
DIE GABLIDONE-AFFÄRE
Der gemeinsam mit dem Grafen Kueffstein veranstaltete alchimistische Zeugungsversuch bleibt nicht der einzige Kontakt Thuns mit der Welt der Geister. Als Mitglied der Freimaurerloge „Zur wahren Eintracht“ – im Brüderverzeichnis des Jahres 5785 wird er als Inhaber des dritten Grades geführt – sollte er dem nüchternen Geist der Wissenschaft verpflichtet sein, doch der leichtgläubige k. k. Kammerherr kann sich der Faszination „magischer, theosophischer, alchymistischer und sonstiger krankhafter Aftergebilde“ (Gustav Brabbée) nicht entziehen. So lernt er um 1766 einen zwielichtigen Taschenspieler und Zauberkünstler kennen, der sich als „Rechner Magnanephton“ ausgibt und behauptet, mit einem spiritus familiaris, einem Geist namens „Gablidone“, in Verbindung zu stehen. Thun ist Feuer und Flamme, eine „Gablidone-Brüderschaft“ wird gebildet, der u. a. auch ein gewisser Reiter und andere Freunde des „Rechners“ angehören. Die besondere Leistung des „Rechners“ liegt darin, die angeblich von Gablidone diktierten Botschaften in Zahlenreihen zu übersetzen und diese dem Publikum mitzuteilen. Jedem Buchstaben ist ein Zahlenwert zugeordnet, die Dechiffrierung daher einfach.
Lavater stellt in seinem „Protokoll“ dem Geisterseher Thun ein ausgewogenes Zeugnis aus.
Thun nimmt das „schnöde Gaukelspiel“ (Gustav Brabbée) jedenfalls für bare Münze, über zwölf Jahre lang lässt er sich von Gablidone „Lektionen“ geben, der Geist weiß „auf eine unzählige Menge von Fragen über geschehene und existirende Dinge“ die „richtigsten uund treffendsten Antworten zu geben“. Von Gablidone selbst erfährt Thun, dass er der Geist eines jüdischen Magiers aus der Zeit vor Christi Geburt sei, der seinen eigenen Vater getötet habe und nun dazu verurteilt sei, „8 Rechnern oder ähnlichen Magiern viele Jahrhunderte lang, jedem in besonderen Stunden, zu Gebote zu stehen“. „Rechner Magnanephton“, von dem erwartet wird, dass der Geist auf alle Fragen eine Antwort weiß, zeigt sich allen heiklen Situationen gewachsen, so weiß er sich auch Rat, als Thun und Reiter verlangen, dass Gablidone sein Porträt auf Papier zeichnen solle, sie würden gerne sein Gesicht sehen. Der „Rechner“ willigt ein und inszeniert eine Sitzung, bei der für den spiritus familiaris eine Staffelei und Malwerkzeug bereitgestellt werden. Gablidone lässt sich dann auch nicht lange bitten: „Alle drei beteten, stimmten um 7 Uhr des Abends beim Betglockengeläute den 51. Psalm an – Magnanephton that wie immer vorher seine leise Beschwörung oder Citation – sie knieten alle drei, jeder eine Schnur oder Quaste, die an dem Rahmen des Gemäldes angemacht war, der auf einer Art von Staffelei stand, in der Hand haltend“. Noch mitten im Psalmengebet hören die drei Adepten plötzlich „einen Schlag wie einen Pistolenschuss. Dieser Schlag schlug den Pappendeckel hinter dem leinenen Tuch, das mit Papier überkleistert war, weg an den Boden. Nun hörten sie ein mächtiges Gezische und Geräusche in den Farbenmuscheln, die schnellen Striche des Pinsels und bemerkten, da die Lichter nahe bei dem Rahmen standen, durch das leinene Tuch, wie den Schatten einer kleinen Hand, die sich auf dem Tuche bewegte.“ Nachdem das Zischen verstummt ist, wagen sich die drei aus ihrer Deckung und gehen zur Staffelei – Gablidone hat tatsächlich ein mit Wasserfarben „schnell und kühn“ gemaltes Bild hinterlassen, das Porträt entspricht der Erwartungshaltung der drei: „ein gerade vor sich hinsehendes Sehergesicht, ein klein, rund, schwärzlich Käppchen auf dem Scheitel, dünne, zart und flüchtig gerollte Haare, ziemlich grosse, offene, ungestarrte Augen, eine markichte, aber nicht erhaben stylisierte Nase, einen nicht gemeinen, wohlgeschweiften Mund. Im Ganzen ist bei aller Rohheit, die bei Wasserfarben auf einem stehenden Blatte wohl nicht zu vermeiden war, das Gesicht wacker, keck, sehr natürlich und ganz anders gezeichnet, als es ein gemeiner, menschlicher Maler zeichnen würde. Die Höhe des Gesichtes ist ungefähr zwei Zoll, die Figur hat einen weissen, liegenden Kragen bis an’s Ende der Achsel, und einen schwarzen Rock. Von den Händen sieht man nichts.“
Offen für den Geisterspuk: Johann Caspar Lavater. Gemälde von Alexander Speisegger, 1785.
Thun, der den Geisterspuk weiter ernst nimmt, nimmt die Zeichnung im Juli 1781 mit nach Zürich zu Johann Caspar Lavater, mit dem er befreundet ist und dessen Ansichten zur Physiognomik er teilt. Die Gablidone-Brüderschaft ist inzwischen zerfallen, nach dem Tod des „Rechners Magnanephton“ findet sich kein entsprechend geschickter Schwindler mehr. Lavater zeigt sich von den Berichten Thuns jedoch angetan und stellt tatsächlich das verlangte „Protokoll“ zusammen. Seinem adeligen Freund aus Wien stellt er darin ein sorgfältig abgewogenes Zeugnis aus: „(Thun) war im Juli 1781 zu mir gekommen, und hatte sich etwa vierzehn Tage bei mir aufgehalten. Ein Mann von 46 Jahren, der sich allen und jeden Menschen, die ihn kennen lernten, durch seine Grossmüthigkeit, Natürlichkeit, Dienstbegierde und kurz durch seinen kindlichen Geist sogleich und mit jedem Augenblick mehr empfohlen hatte. Er ist weder ein ausserordentliches Genie, noch viel weniger ein eigentlicher Gelehrter. Sein Haupttalent ist Mechanik. Er hat eine gewisse gutherzige, sich nicht verbergende Eitelkeit, die aber nichts Drückendes hat. Sein Herz ist immer auf seiner Zunge. Es ist schlechterdings unmöglich, ihm böse zu sein, oder in seine Aufrichtigkeit ein Misstrauen zu setzen. Er scheint mir einer der liebenswürdigsten Etourdis (= leichtsinnigen Menschen, J. S.) zu sein, die alle Augenblicke Prise über sich geben, davon aber niemand, als ein determinirter Schurke oder abscheulicher Schiefkopf Gebrauch oder Missgebrauch machen kann.“
Zurück in Wien, verteilt Thun Abschriften des Protokolls an seine Freunde, kann jedoch nicht verhindern, dass es in unberufene Hände gelangt und 1787 unter dem Titel Lavater’s Protokoll über den Spiritus Familiaris Gablidone sogar in Druck erscheint. Die kuriose Schrift, von einem unbekannten Herausgeber mit einer Einleitung versehen, erregt bei den „Wissenden“, wie Brabbée schreibt, einiges Aufsehen, Thuns Name wird zwar durch drei Sterne ersetzt und kein einziges Mal erwähnt, die Wiener wissen jedoch, wer sich dahinter verbirgt. Mehr denn je gilt Thun in der Öffentlichkeit als seltsamer Schwärmer mit einem Hang zum Okkulten. Wie Ivo Cerman gezeigt hat, steht Thun möglicherweise auch in Kontakt mit einer neuen „Sekte“, die sich in den 1780er-Jahren in Wien bildet, den „Asiatischen Brüdern“. Der vollständige Name dieser Illuminaten-Gruppierung lautet СКАЧАТЬ