Die Dschihad Generation. Petra Ramsauer
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Dschihad Generation - Petra Ramsauer страница 6

Название: Die Dschihad Generation

Автор: Petra Ramsauer

Издательство: Автор

Жанр: Социальная психология

Серия:

isbn: 9783990403846

isbn:

СКАЧАТЬ – kämpfen tatsächlich für den IS. Andere sind für andere Dschihadistengruppen aktiv, die auch gegen den IS Krieg führen.

      So muss man sich dessen bewusst sein, dass wir auch über die wahren Zahlen aus den einzelnen Staaten nur Schätzungen der jeweiligen Sicherheitsbehörden kennen. Die meisten Ausländer im Sold des IS – circa 3000 – stammen aus Tunesien, gefolgt von Saudis, die mit 2500 Kämpfern das zweitgrößte Kontingent stellen. Militärisch eine wichtige Rolle spielen Tschetschenen und andere Milizen aus dem Kaukasus, die auch Kampferfahrung mitbringen. Die größte Gruppe der circa 7000 europäischen Dschihadisten stammt aus Frankreich, von wo ab 2011 mindestens 1400 Kämpfer nach Syrien und in den Irak zogen. Drei Viertel sind erst ab 2014 ausgereist. Aus Deutschland und Großbritannien dürften bis Juni 2015 jeweils 700 Kämpfer kommen. In Relation zur Zahl der Einwohner rangiert Österreich mit seinen 220 Dschihadisten weit oben in der Liste der Rekrutierungsländer. Sehr viele Freiwillige stammen aus den Balkanländern, besonders aus dem Kosovo. Von hier kommen in etwa so viele Dschihadisten wie aus Belgien, das mit circa 400 Kämpfern den höchsten Pro-Kopf-Anteil der europäischen Staaten hat.

      Wie hoch die Diskrepanz zwischen diesen offiziellen Zahlen und der Realität sein dürfte, zeigen Recherchen des Historikers Pieter Van Ostaeyen, der die offiziellen Angaben aus seinem Heimatland Belgien penibel überprüfte. Er fand heraus, dass um ein Fünftel mehr ausgereist war, als von der Regierung angegeben.23 Im Frühling 2014 wandten sich sogar Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes an die Presse: „Die offiziellen Zahlen scheinen uns zu niedrig“, so die Einschätzung: „Das liegt daran, dass wir das Problem zu spät erkannten und so viele Ausreisen nicht registrierten. Alleine wenn man bedenkt, dass noch immer in etwa fünf Personen pro Woche nach Syrien und in den Irak reisen, dürfte es sich insgesamt um höhere Dimensionen handeln.“24

      Trotz der massiven Verschärfung von Gesetzen und Kontrollen mit Beginn 2014 schafften es zahlreiche Dschihadisten nicht nur in Großbritannien auch im Jahr eins des Kalifats auszureisen und werden dies auch in Zukunft tun. Bis zu 10.000 Kämpfer aus Europa könnten bis Ende 2015 in Syrien und im Irak sein, so die Prognose von Frankreichs Premierminister Manuel Valls.25 Ähnlich schätzen auch Behörden in Österreich und Deutschland die Entwicklung ein: Laut dem deutschen Bundeskriminalamt etwa dürfte sich die Zahl der ausgereisten Dschihadisten bis Ende 2015 fast verdoppeln, also auf tausend steigen.26

      Etwa ein Zehntel ist bereits wieder zurück in ihre Heimat gereist. Dies lässt die Alarmglocken schrillen. „Wir haben noch nie eine dermaßen große Terrorbedrohung erlebt“, sagt Brett McGurk, Sondergesandter von US-Präsident Barack Obama für die „Anti-IS-Koalition“.27 Von einer regelrechten Ausbildungsstelle für den globalen Dschihad ist in einem Bericht der Vereinten Nationen im April 2014 die Rede: „So wie in den 1990er-Jahren Afghanistan verwandeln sich Syrien und der Irak in eine Kaderschmiede von Extremisten.“ Die Experten fassten dafür weltweite Informationen über freiwillige Kämpfer bei islamistischen Terrorgruppen zusammen. Die Zahl der Mitglieder von Terrororganisationen ist demnach zwischen 2014 und 2015 um 71 Prozent gestiegen. „Noch nie in der Geschichte gab es eine dermaßen hohe Aktivität von Dschihadisten“, heißt es in dem Bericht. Die warnende Ergänzung: „Eine mögliche militärische Niederlage des IS könnte dazu führen, dass hoch motivierte Kämpfer in ihre Heimatländer zurückkommen und für große Sicherheitsprobleme sorgen würden: „Manche der Rückkehrer werden traumatisiert sein und im Schock, andere von kriminellen Netzwerken rekrutiert werden“, heißt es in dem Bericht.

      Dieses Problem stellt sich allerdings nicht erst in der Zukunft, nach einem möglichen Zusammenbruch des IS. Die Bedrohung des Terrorexports ist bereits in der Gegenwart angekommen: Am 24. Mai 2014 wurden vier Besucher des jüdischen Museums in Brüssel ermordet. Der Attentäter: Mehdi Nemmouche. Es war jener junge Franzose, den der Journalist Nicolas Hénin nur wenige Wochen zuvor noch als sadistischen Folterknecht des IS erlebt hatte. In Nemmouches Wohnung fand die Polizei eine Kalaschnikow und ein Jagdgewehr, eingehüllt in die schwarze Fahne des IS. Während des Attentats trug er eine Kamera bei sich, auf der ein vierzig Sekunden langes Video aufgezeichnet worden war, in dem er die Verantwortung für die Morde auf sich nahm und betonte, wie sehr er es bereue, dass es ihm nicht gelungen wäre, das Massaker selbst aufzuzeichnen, um dieses Material für Propagandazwecke zu gebrauchen.28

      Am 7. Jänner 2015 wurde in Paris die Redaktion der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo angegriffen, dann ein jüdischer Supermarkt. Siebzehn Menschen starben. Zwei der Attentäter, die Brüder Chérif und Said Kouachi, waren in Trainingslagern der al-Kaida gewesen und gaben an, im Auftrag des al-Kaida-Ablegers im Jemen die Anschläge verübt zu haben. Ihr Komplize Amedy Coulibaly bekannte sich zum IS: via eines Telefonats mit Journalisten während des Attentats.

      DAS RISIKO DER EINSAMEN WÖLFE

      Es überlebte kein Attentäter dieses Tages, außer Amedy Coulibalys Komplizin und Freundin Hayat Boumeddiene. Es gelang ihr, zu entkommen und in Syrien beim IS Unterschlupf zu finden. In einem Interview für das Magazin Dabiq, das die Gruppe online auf Englisch verbreitet, schilderte sie eine bezeichnende Anekdote: „Amedy verbot mir, ihm Videos vom Leben im Islamischen Staat zu zeigen. Sonst hätte er es vor Sehnsucht nicht mehr ausgehalten, und anstatt die Tat in Paris auszuüben, wäre er einfach losgefahren.“

      Es ist ein Satz, der viel aussagt. Bei Weitem nicht alle IS-Fans reisen in „ihren Staat“, vor allem nicht jene, die planen, in ihrer eigentlichen Heimat aktiv zu werden.

      So schreibt „Abu Muhadjar“, ein Brite, in einer E-Mail aus der IS-Hochburg Raqqa: „Es gab viele Gründe, warum ich mein Leben, wie ich es kannte, verlassen habe. Vorrangig waren es religiöse Motive. Es ist die Pflicht eines jeden Muslims, das Land von Muslimen zu verteidigen, wenn es angegriffen wird. Und der zweitwichtigste Grund war es, helfen zu wollen: Ich kämpfe nicht nur, sondern kümmere mich auch um die Zivilbevölkerung.“ Ein anderer, er nennt sich „Abu Islam“, schreibt: „Großbritannien ist mein Zuhause. Dort bin ich geboren. Wenn ich geplant hätte, dort als Gotteskrieger zu kämpfen, dann hätte ich ja nicht nach Syrien fahren müssen. Es kommt mir ein wenig surreal vor, dass jemand glaubt, ich werde von hier zurückkehren und Terrorist werden. Ich verstehe natürlich die Sorge der Sicherheitsbeamten. Aber es wäre nötig, nicht alle über denselben Kamm zu scheren. Es gibt große Unterschiede.“

      Es wäre freilich ein Fehler, Dschihadisten, die zurückkommen, einen Persilschein auszustellen, wie das Attentat in Belgien im Mai 2014 beweist. Wichtig ist es aber, jene nicht aus den Augen zu verlieren, die in Europa bleiben. Nicht die Rückkehrer, so Experte Peter Neumann, würden die größte Bedrohung darstellen, „sondern sich frei herumtreibende Fans, die im Westen leben und eben nicht ausreisen.“29 Wie viele es sind, wagt niemand zu schätzen.

      Sicher ist allerdings, dass sie bestens organisiert sind. So wurde etwa am 19. März 2015 über den Twitter-Account @Shahadastories ein elektronisch abrufbares Buch mit dem Titel „How to Survive in the West: A Mujahid Guide“ beworben. Frei übersetzt bedeutet das: „Ein Leitfaden, um als Gotteskrieger im Westen zu überleben“. Es ist Teil einer Serie, die vor allem praktische Tipps gibt, um „den Dschihad zu Hause zu führen“, wie es heißt. Ein Kapitel widmet sich etwa der Frage, wie man „seine extremistische Identität verbergen kann, um nicht aufzufallen“. Es wird abgeraten, sich einen Bart wachsen zu lassen oder ähnliche Veränderungen im Lifestyle sichtbar zu machen, um nicht auf eine Terrorliste zu geraten: Das Beste sei, sich so freundlich und offen wie möglich zu geben. Es helfe auch, sich einen Spitznamen zuzulegen, der möglichst westlich klingt. Dazu finden sich Abschnitte, die erläutern, wie man eine Bombe baut, unauffällig Waffen transportiert, seine Internetkommunikation sicher gestaltet. Die Strategie scheint aufzugehen. „Die Anschläge in Paris haben uns die schmerzhafte Realität vor Augen geführt, dass es angesichts der Größenordnung des Problems für die Behörden derzeit außerordentlich schwierig ist, potenziell gefährliche Personen zu identifizieren“, so Europol-Chef Rob Wainwright.30

      Die Entwicklung СКАЧАТЬ