Название: Schamanismus bei den Germanen
Автор: Thomas Höffgen
Издательство: Автор
Жанр: Эзотерика
isbn: 9783964260000
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Das Trommelpferd
Das altnordische Wort drasil heißt „Pferd“. Yggr ist ein Beiname des Odin. Yggdrasil heißt also „Odins Pferd“. Wieso ist der Weltenbaum nach einem Reittier benannt? Er ist das Schamanenpferd, auf dessen Rücken Odin in das Jenseits und durch die neun Welten reitet. Das Ross des Gottes trägt eigentlich den Namen Sleipnir, hat acht Beine und ist schnell wie der Wind. Es führt die wilde Jagd an, ein wütiger Gaul, ein feuriger Hengst. In Niedersachsen war es noch lange Sitte, dem Pferd des Wotan ein Ernteopfer darzubringen, indem man einiges vom Korn des Feldes stehen ließ: Unter „Wode! Wode!“-Rufen wurde Wodelebier gereicht und sich berauscht. In der germanischen Überlieferung wird mehrfach davon berichtet, dass einer der Götter – zumal Odin und sein Sohn Hermod – Sleipnir sattelt und in die Unterwelt reitet, um von den Toten Auskunft einzuholen oder mit der Todesgöttin Hel über eine Seele zu verhandeln. Die Geschichten von und mit Sleipnir – Jenseitsreisen und Unterweltfahrten – tragen klassische schamanische Züge.
Für Eliade ist das Pferd das Schamanentier par excellence. Es diene dem Schamanen zur Herbeiführung der Ekstase; der Ritt symbolisiere den ekstatischen Flug, die Trance und den mystischen Tod. Er berichtet von Ritualen in Sibirien, bei denen die Schamanen einen Stock mit Pferdekopf zum ekstatischen Tanz benutzen, und von einem indischen Todesmythos, bei dem die Seele des Verstorbenen von einem achtbeinigen Pferd ins Jenseits getragen wird:
Nun ist das achtbeinige Pferd, wie wir wissen, typisch schamanisch. [ ] Die Pferde mit acht Füßen oder ohne Kopf sind in den Riten und Mythen der ‚Männerbünde‘ bezeugt und zwar im germanischen wie im japanischen Bereich. In allen diesen Kulturzusammenhängen haben die mehrfüßigen und Gespensterpferde zugleich die Funktion eines Toten- und Ekstasetiers.16
Im Tengrismus, das ist die schamanische Weltanschauung Zentralasiens (Mongolen, Turkvölker), wird die Seele des Menschen allegorisch als „Windpferd“ bezeichnet; der Sitz des Pferdes ist die Brust des Menschen. In der mongolisch-türkischen Überlieferung gibt es ein achtbeiniges Pferd, das fliegen kann. Es gilt als die Kraft des Menschen, Himmel und Erde harmonisch zu verbinden. Stärken lässt sich diese Kraft durch Rituale, Gebete und Opfer sowie das Inhalieren bestimmter Zauberkräuter.
In Sibirien ist der Weltenbaum fest mit dem Schamanenpferd verbunden – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn dort dient dieser Baum – „ein heiliger Baum mit durchsichtigem, duftendem Harz, mit Rinde, die nicht trocknen wird und nicht platzt, mit schön gemustertem, nie bleichendem Laub, mit Früchten gleich Reihen umgekehrter Kumysbecher“ – als Pfosten, an dem die Schamanen ihre Pferde festbinden: „Der Wipfel dieses Baumes wuchs hinauf in den siebenschichtigen Himmel und bildete dort den Hauptanbindepfahl für die Pferde“.17
Denn das Pferd ist die Schamanentrommel. Wenn der Schamane rhythmisch auf sie einschlägt, klingt sie wie ein rennendes Pferd, und zwar im achtbeinigen Galopp. Auf dem Rücken dieses Pferdes, im Einklang mit dem monotonen Trommeltakt, in Trance, reitet der Ekstatiker über die Regenbogenbrücke in die Anderswelt. Zugleich geben die sibirischen Schamanen an, dass ihre Trommeln aus dem Holz des Weltenbaums gefertigt werden, die es dann gewissermaßen ‚einzureiten‘ gilt. Um die Trommel magisch zu beleben, streift der Schamane sich ein Fell über, ruft die Hilfsgeister herbei und setzt sich im Schneidersitz auf den Boden – auf ein ausgebreitetes Pferdefell. Dann beginnt er zu singen und rhythmisch auf die Trommel zu schlagen:
Dich verwandeln meine Worte in ein Roß von Heldengröße.
Und ein Pferd von großer Schnelle wird geschaffen.
Sei ein Springer unermüdlich, schnell und ruhig sei dein Schritt!
Dann sei stark, mein Pferd, und feurig, jung wie Sturm und voller Glück!
Lass auf deinem runden Rücken rhythmisch mich den Schlägel schwingen!
– Niemals läuft der Sinn der Wohltat von dir fort, mein kühnes Pferd!
Heilung werden bringen wir, ich und du, mein Pferd und Trommel.
Dieses seist du, kühne Trommel, Wundertrommel, Trommelpferd!
Pferd zum Fahren! Roß zum reiten!
Kühnes Roß, gebändigt Tier du!
Kühnes, gehorsames, scheckiges Pferd,
Soll ein wunderschöner Knabe
Dich an Zaum und Zügel halten!
Soll dir nie der Sattel rutschen!
Sei das beste kühne Pferd
Auf dem großen Opferwege!
Großes Wunder! Trommelpferd!
Große, starke, hohle Trommel,
Spannpferd bist du, trägst ein Halfter!
Schwerer Krankheit, schnellen Unglücks,
Wisse deren Grundursache,
Jag, verfolg sie, reib sie auf,
Werd nicht schwankend, werd nicht schwach! –18
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