Название: Zwei Freunde
Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783957840127
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Wichmann blieb noch eine halbe Stunde Zeit, Schriftstücke und Verordnungen durchzusehen. Der Deuwel mochte sich künftig mit dem grünen Fragezeichen schmücken oder es seiner Großmutter zum Geburtstag schenken. Wichmann war froh, daß er es nicht mehr zu sehen brauchte.
Als die drei Herren um halb eins aus der Besprechung bei dem Ministerialrat kamen, strahlte der stämmige Korts und stellte seine Ohren.
»Donnerwetter … Kinder, das gibt einen Betrieb … damit können wir Wellen schlagen! Ausgezeichnet … gefundenes Fressen für Grevenhagen … Wir treffen uns doch um ein Uhr in der ›Stillen Klause‹? Also dann bis nachher!«
Bei der Mittagsrunde fand sich Wichmann zur eigenen Überraschung als Zielpunkt der allgemeinen Wißbegier. Fräulein Hüsch hatte ihn gewürdigt, ihr unmittelbarer Tischherr zu werden. Er hatte das Vergnügen, die Krokodilledertasche aufzuheben, wenn sie vom Schoße, den ein Kostümrock eng umspannte, zu den Füßen mit den hochgestellten Fersen glitt. Er mahnte den Kellner, der die Zitronenlimonade nicht schnell genug brachte. Fräulein Hüsch versicherte ihn ihrer ausgesprochenen Huld:
»Wirklich nett von Ihnen, daß Sie gleich zu dem Baier gegangen sind und ihm erzählt haben, daß ich um neun Uhr im Dienst war … wirklich reizend von Ihnen. Der Trottel hat ordentlich Mut bekommen und ist gleich auf den Pöschko losgegangen! Es soll einen wunderbaren Krach gesetzt haben! Hätt’ ich dem Trottel gar nicht zugetraut. Aber von Ihnen war das wirklich reizend.«
Wichmann durfte tief in die weiblichen Augen blicken. »Ich freue mich natürlich Ihrer Zufriedenheit, gnädiges Fräulein.«
»Ham Sie schon gehört, daß Sie auf der Liste stehen?«
»Auf einer ›schwarzen‹?«
Zahlreiche Ausrufe und allgemeines Gelächter belehrten Wichmann, daß er einen unfreiwilligen Witz gemacht hatte. Boschhofer galt als »Zentrumsmann«, als »schwarz«.
»Wie ham Sie das bloß gemacht? Gestern eingetreten, heute Günstling von Boschhofer, morgen Regierungsrat … Sie müssen ganz dicke Beziehungen haben …«
»Von alledem ist mir nichts bekannt, Fräulein Hüsch, als daß ich gestern eingetreten … in mir selbst noch rätselhafte Dinge hineingetreten bin. Was soll das mit der Liste?«
»Zum Regierungsrat werden Sie ernannt!«
Der Kellner brachte die Zitronenlimonade und räumte die leer gegessenen Suppenteller ab.
»Die Wandelgänge beben schon. Wo Sie doch auch unmittelbar unter Boschhofer arbeiten werden! Was sagt denn Grevenhagen dazu?«
»Da bitte ich, Ihrem Gewährsmann aber ganz energisch über den Mund zu fahren, gnädiges Fräulein. Ich arbeite nach wie vor unter Ministerialrat Grevenhagen. Wer will denn etwas anderes wissen?«
»Nischan selber soll es gesagt haben.«
»Wie kommt er darauf?«
»Er war doch eben bei Boschhofer mit Grevenhagen zusammen – wegen Casparius.«
»Jedenfalls hat er dann irgend etwas falsch verstanden.«
»Aber auf der Liste stehen Sie!«
Wichmann zerteilte mit der Gabel das Hackbratenstück, das neben dem gemischten Gemüse lag.
»Ha no, Sie sind, scheint’s, ein echtes Wundertier, Herr Wichmann«, nahm Assessor Casparius das Wort.
»Es wäre mir wirklich leid, Herr Casparius, wenn ich Sie von der Aussicht auf eine Etatsstelle verdrängt hätte!«
»Das ischt wirklich lieb von Ihnen. Es freut mich immer, wenn ich so edle Empfindungen bei meinen Mitmenschen wahrnehmen kann. Das ischt das wahre irdische Glück und höchschte der Gefühle, net wahr, wenn mer von der Höhe des Regierungsrats sich noch liebreich zu dem Kollegen neigt, der das Nachsehen hat wie jener Gerber, dem das Fell auf ’m Neckar hinunterschwamm. Ich darf Sie dann einmal zu uns bitte, net wahr, Herr Wichmann, damit meine Frau einen wahrhaftigen neu ernannten Regierungsrat wenigstens sehe kann. Das ischt doch auch schon was. Und Sie gfallen mir auch so gut, wie Sie da sitze in Ihrer errötenden und frisch gebackenen Unschuld …«
»Sie werden mich doch nicht für so dumm halten, Herr Casparius, daß ich glaubte, ich stünde auf der Liste!«
»Ha no, warum denn net? Wo der allerhöchste Glanz Sie heute schon stundenlang angestrahlt hat. Der Nathan war ganz aufgeregt, daß Sie beim Boschhofer überhaupt nimmer ’rauskomme sind! Des muß ja wieder eine Mordsgeschicht da drin gewese sein! Sie haben noch so ein Leuchten um sich herum, daß es sterbliche Augen blenden kann … oder anders ausgedrückt: Da sitze Sie jetzt auf der Liste wie ein Baby auf dem Lotosblatt, und mir komme alle und beschtaune ehrfürchtig das Wunder der Natur, das in unserem Gewächshaus passiert ischt. Aber esse Sie nur Ihren Brate und Ihr Gmüs. Des ischt net gsund, nix esse und so schnell wachse. Esse Sie no!«
Unter der allgemeinen Heiterkeit führte Wichmann gehorsam die Gabel zum Mund.
»Sie sind gestern wie ein Erzengel im Krähennest erschienen?« Fräulein Hüsch lächelte.
»Der Erzengel war Grevenhagen. Aber sagen Sie, das ist auch schon bekannt? Geht man hier nackend in einem Glashaus spazieren?«
»Ja sicher … daran gewöhnt man sich, Herr Wichmann«, bestätigte der erfahrenere Korts.
Fräulein Hüsch aß gelbe Speise mit Schlagsahne. »Na … ich weiß nicht, Herr Korts.«
»Sie als Dame vielleicht nicht so rasch, Fräulein Hüsch.«
Das Mädchen lachte ohne Scheu.
Auf dem Rückweg wurde Wichmann ihr Begleiter, ohne sich darum bemüht zu haben, und er nahm auf Robert Korts keine Rücksicht mehr. Die Sonne schien warm. Die Mienen waren lebhaft nach dem Genusse des Mokkas, der das Menü gekrönt hatte.
»Sehen Sie zu, Herr Wichmann, daß Sie aus dem Beamtenstall bei uns wieder ’rauskommen. Den Regierungsrat müssen Sie natürlich noch haben, aber dann bloß weg aus dem Mief!«
»Sie wollen auch nicht bleiben, gnädiges Fräulein?«
»Gewiß nicht. Es ist ja furchtbar! Heute morgen wollt’ ich zu Grevenhagen wegen meiner Beförderung. Keine Zeit … nicht zu sprechen. Der Mann ist fabelhaft, aber maßlos eingebildet. Er selber hat Vermögen, natürlich. Aber was denkt er sich, wie ich mit dem lumpigen Geld auskommen soll?«
»Ist es so schwer?«
»Ich kann doch nicht leben wie die Schmock und die Sauberzweig? Sagen Sie … kommen Sie aus? Können Sie mir hundert Mark pumpen?«
»Darf ich Ihnen den Betrag morgen mitbringen?« Wichmann war ärgerlich über sich selbst, daß er die Summe nicht bei sich hatte.
»Morgen? Hat keinen Zweck. Ich muß heute nachmittag die Schneiderin bezahlen wegen der kleinen Änderung … mal sehen … der Baier, wenn er nicht gerade selbst Schulden hat … oder … Herr Korts?«
»Ja?«
»Hundert Mark bis morgen?«
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