Goethes Autorität. Gustav Seibt
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Название: Goethes Autorität

Автор: Gustav Seibt

Издательство: Автор

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

Серия:

isbn: 9783866742772

isbn:

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      Reihe zu Klampen Essay

      Herausgegeben von

      Anne Hamilton

      Gustav Seibt,

       geboren 1959 in München,

      lebt heute in Berlin. Er war Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Autor der ZEIT und arbeitet seit 2001 für die Süddeutsche Zeitung. 1995 wurde ihm der Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa, 1999 der Hans-Reimer-Preis der Aby-Warburg-Stiftung, 2011 der Deutsche Sprachpreis und 2012 der Friedrich-Schiedel-Literaturpreis verliehen. Von ihm erschienen sind u. a. »Rom oder Tod. Der Kampf um die italienische Hauptstadt« (2001), »Goethe und Napoleon. Eine historische Begegegnung« (2008) und bei zu Klampen »Canaletto im Bahnhofsviertel. Kulturkritik und Gegenwartsbewußtsein« (2005) sowie »Deutsche Erhebungen. Das Klassische

      und das Kranke« (2008).

      GUSTAV SEIBT

      Goethes Autorität

      Aufsätze und Reden

      Inhalt

       Cover

       Weltgeist auf Spaziergängen

       Wo das kulturelle Herz Deutschlands schlägt

       Goethes historische Zeit

       Rede zum Dank für den Deutschen Sprachpreis in Weimar am 30. September 2011

       Sein Kaiser

       Goethe im Empire

       Goethes Autorität

       Vom Leben mit der Überlegenheit

       Doktor Faustus II.

       Über die Wiedererkennungen des William Gaddis

       Nicht mitmachen

       Meine Außenseiter

       Dem Niagara entgegen

       Über Jacob Burckhardts Vorlesungen zur Geschichte des Revolutionszeitalters

       Die Europäische Freiheit

       Friedrich von Gentz und die Pluralität der Staaten

       Im Land des Ungehorsams

       Fahrt zu den Schauplätzen von Theodor Fontanes Roman »Vor dem Sturm«

       Der Einspruch des Körpers

       Philosophien des Lachens von Platon bis Plessner – und zurück

       Nachwort

       Impressum

      Weltgeist auf Spaziergängen

      Wo das kulturelle Herz Deutschlands schlägt

      Preussen erlebt gerade eine seiner periodischen Wiederauferstehungen im historischen Gedächtnis. Angeregt von den Jahrestagen seiner Niederlagen und seiner Reformen vor zweihundert Jahren, befeuert von glänzenden Darstellungen wie der Christopher Clarks (»Preußen«) oder der Günter de Bruyns (»Als Poesie gut«), die beide Bestseller wurden, entdeckt das Publikum einen mit Geist und Wissenschaft verbündeten Staat jenseits des Militarismus. Die intellektuelle Humboldt-Nostalgie und die unverminderte Aktualität von Schinkels Funktionalismus tun ein Übriges.

      Aktuell dürfte ebenso wichtig sein, dass ein Jahrzehnt nach dem Hauptstadtumzug die Neuankömmlinge begonnen haben, sich im Berliner Umland einzurichten, in alten Gutshäusern oder Scheunen, neben den schlichten Kirchen mit ihren Soldaten- und Dichtergräbern. Fontane wird einer neuen Generation zum lokalhistorischen Führer ins Preußische, und eigentlich wartet man auch auf Neuausgaben der »Hosen des Herrn von Bredow« von Willibald Alexis und anderer Heimatliteratur, die ja auch in der DDR nie ihre Stellung verloren hatte.

      Aber so schön die steppenhafte Stille zwischen Beeskow und Angermünde für den ruhebedürftigen Großstädter ist, so gern man Bio-Obst aus Brodowin genießt, so hübsch die Gutshäuser bei Großziethen anmuten: Es sind eben vor allem Stille und Leere, die diese Gebiete so reizvoll machen für Großstädter, die gern einmal dem Überangebot entfliehen und am Wochenende eine kleine Offiziersanekdote zu schätzen wissen, von einem Junker, der einem königlichen Befehl ausnahmsweise nicht folgte und auf sein Grab schrieb: »Wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte.«

      Wer zweihundert Kilometer weiter nach Süden fährt, gelangt in ein Gebiet, wo deutlich mehr los war, dessen Geschichte so verzwickt und kleinteilig ist, dass sie für nostalgische Identifikationen völlig untauglich ist, obwohl von hier buchstäblich fast alles ausging, womit Deutschland die Welt positiv beeinflusst hat. Zwischen Wittenberg an der Elbe und Weimar an der Ilm erstrecken sich diese nach Süden zu immer gebirgigeren Gegenden, in deren kleinen Städten sich für drei Jahrhunderte eine geistige Produktivität in einer Dichte entfaltete, für die man Parallelen nur in der Toskana der Renaissance oder im antiken Griechenland findet. Thüringen und die ehemals anhaltischen Gebiete sind das, was man in Italien immer von Umbrien sagt: das Herz unseres Landes. Aber davon schweigen des Liedes Stimmen, die von Preußen so viel zu sagen wissen.

      Das ist seltsam, weil eine bloße Aufzählung schon die Frage aufwirft, wie das möglich war: Von hier ging die lutherische Reformation in die Welt, die sich zwischen Erfurt und Wittenberg entwickelte und ohne die beispielsweise die Vereinigten Staaten von Amerika nicht das wären, was sie sind. Hier wurde, zwischen Weimar und Dessau, der Stil des Bauhauses entwickelt, der das Aussehen der Metropolen auf dem ganzen Globus bis heute prägt. Hier waren die Wirkungsstätten von Bach und Goethe, hier war zuvor von Luther in seiner Bibelübersetzung die deutsche Sprache geschaffen worden, mit der wir uns heute noch schriftlich verständigen.

      Als Goethe 1813 die Totenrede auf Christoph Martin Wieland hielt, da sagte er, in Anspielung auf die Schlacht von Jena und Auerstedt, die Weltgeschichte habe sich »auf unseren Spaziergängen« entschieden. Das gilt mehr noch im Geistigen. Als Napoleon 1806 von Jena nach Weimar ritt, da lag in der einen Stadt die »Phänomenologie des Geistes« auf einem Schreibtisch, in der anderen der erste Teil des »Faust«. СКАЧАТЬ