Ring der Narren. Chris Inken Soppa
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Название: Ring der Narren

Автор: Chris Inken Soppa

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

Серия:

isbn: 9783937881850

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СКАЧАТЬ Gesundheitsbehörde. Überall standen grüne Swiffer-Kartons, aus denen sich Viktor regelmäßig bediente. Seine Mitarbeiter waren inzwischen zu stoisch für weiterführende Gedanken, den Kunden verbot die Höflichkeit, Fragen zu stellen. Manchmal murmelten sie etwas von „seit zehn Tagen Hitze“ oder „diese Kälte lädt doch alles auf“, um Anteilnahme zu signalisieren. Dann begann Viktor in der Regel mit einer längeren Tirade gegen die irren Dilettanten der Stiftung Warentest und ihre unwissenschaftlichen Methoden, elektrostatische Staublappen zu benoten. „Das sind Laien von der Straße, die von Physik keine Ahnung haben. Die nehmen so ein Tuch und wischen damit ein paar Fussel von einer Metallplatte. Und dann sagen sie, das Material trockne ihre Hände aus und geben dem Produkt ein Ausreichend.“ Nach einer Weile vergaßen die Kunden ihr Mitgefühl und hofften ergeben, der Optiker möge sich wieder mit ihren Sehfehlern beschäftigen.

      Lustvoll wischte sich Viktor nun mit dem Lappen auf dem Kopf herum. Milton glaubte förmlich zu hören, wie sich kleine unsichtbare Härchen knisternd reckten. „Ich will kein Aufsehen erregen“, murmelte er.

      Viktor lachte. „Was bist du für ein Pessimist!“

      Den Secondhandshop in der Altstadt kannte Milton von außen. Die Heimatlosigkeit der hilflos hinter der trüben Scheibe hängenden Klamotten war ihm bisher nie aufgefallen. Die Mäntel, Röcke und Hosen schienen die Formen ihrer früheren Besitzer konserviert zu haben. Hier erinnerte ein überstrapazierter Reißverschluss an ungesunde Bauchfülle, dort hing ein schlaffes Etuikleid, das einmal einer magersüchtigen Fünfzehnjährigen mit zu breiten Schultern gehört haben mochte. Die Träger dieser Sachen hatten ein Stück ihrer persönlichen Geschichte hier zurück gelassen.

      Die düstere Stimmung setzte sich drinnen fort. Hinter der Glastür hing ein Windspiel aus bleichen runden Plastikscheiben. Ein schummriger Raum voller fahrbarer Kleiderständer, die unter ihrer Last fast durchbrachen. Überall matte, grauschwarze, staubige Formen aus Stoff, zwischen denen sich eine gedämpfte Stimme vernehmen ließ.

      „Kann ich Ihnen helfen?“

      Jemand drückte einen unsichtbaren Lichtschalter. An der Decke kämpften sich blitzende, summende Neonleuchten langsam und widerwillig in ihren Betriebsmodus. Miltons Blick folgte dem unerwarteten Glitzern und Funkeln, das ihm in dieser Vorhölle aus gebrauchten Klamotten unpassend vorkam. Eine verwuschelte Perücke aus roten, langen Haaren stach ihm ins Blickfeld, zwei ausgestreckte Arme. Ein jeansbekleidetes Frauenbein, das der Schwerkraft zu trotzen schien und senkrecht in die Höhe reichte, um sich irgendwo hinter einem Vorhang aus schwarzem Samt zu verlieren. Milton erschrak, als sich die verwuschelten roten Haare auf einmal teilten und dazwischen ein helles Gesicht auftauchte.

      „Ich komme runter!“ Das Frauenbein beschrieb einen kleinen Kreis und verschwand im Glitzern und Funkeln. „Ich muss bloß noch … Mist!“

      Milton hörte das elastische Aufkommen zweier Schuhsohlen auf dem Holzboden. Das Glitzern und Funkeln rutschte nach unten weg, und vor ihm stand eine sehnige Frau in zerfransten Jeans und Tank-Top. Ihre roten Haare waren echt. „Tschuldigung für den Auftritt.“ Die Frau versuchte, ihre elektrisierte Frisur mit den Händen zu glätten. „Das war nur ein bisschen Vertikalseilakrobatik. Eigentlich haben wir längst zu.“

      Miltons Blick folgte dem dicken Seil, das mehrere Meter über ihnen um einen beachtlichen Deckenbalken geschlungen war und dessen Ende die Frau locker in der Hand hielt. „Wollen Sie sich aufhängen?“

      „Ja. Aber ich warte noch auf jemanden.“

      „Auf Godot?“, schlug Milton vor.

      „Nein.“ Ihre Unterlippe verriet Missmut. „Bloß auf irgend einen Idioten, der mir den Schemel unter den Füßen weg stößt. Würden Sie sich das zutrauen?“

      „Unbedingt.“ Milton blickte sich um. „Ich sehe aber keinen Schemel.“

      „Tja.“ Die Frau hob in gespielter Ratlosigkeit die Hände. „Dann habe ich ihn wohl verkauft. Ich erinnere mich noch, vor zwei, drei Stunden war einer da, der irgendwas für seine Werkstatt wollte. Einen blauen Anton oder so. Vielleicht hat der ihn mitgenommen.“

      „Pech für Sie, dann müssen Sie das Aufhängen leider verschieben.“ Milton sah sie bedauernd an.

      „Tja, Pech“, stimmte sie ihm zu. „Es gibt so viele Durchgeknallte. Letztens lief hier eine Objektophile ein, die sich in die Motorsense ihres Nachbarn verliebt hatte. Verliebt, verstehen Sie, im Sinne von miteinander-vögeln-und-anschließend-heiraten-wollen. Doch offenbar war die Motorsense nicht interessiert.“

      „Wirklich nicht?“

      „Nein, und dann stand sie hier. Fünfundvierzig Jahre, mausgrauer Pferdeschwanz. Heulte sich die Augen aus. Sie suchte ein Geschenk.“

      „Für den Nachbarn?“

      „Für die Motorsense. Etwas zum Wärmen im kalten Schuppen. Ich weiß nicht genau, wie Motorsensen im Allgemeinen so gebaut sind, aber sie suchte eine Art extralangen Schlafsack. Daunengefüttert. Damit konnte ich ihr nicht dienen, doch ein ehemaliger Gebirgsjäger hat mir vor Jahren ein aufblasbares Lawinenzelt dagelassen. Das fand sie toll. Sogar die Farbe hat ihr gefallen.“

      „Signalorange?“

      „Sepia. Sie gab mir dreißig Euro dafür. Erstaunlich, was die Leute alles brauchen.“

      „Ich brauche ein paar Stilettopumps Größe 46“, sagte Milton.

      Die Frau bückte sich rasch nach ihrem Umhang und hängte ihn sich über die Schulter. Ihr knisterndes rotes Haar umrahmte sommersprossige helle Haut und aufgeworfene Lippen, die für ihr Alter zu mädchenhaft wirkten. Ihre Augen waren dunkel und engstehend konzentriert. „Na, dann kommen Sie mal mit.“

      Ihr funkelnder Umhang schwang im Kreis, als sie entschieden auf der Ferse umkehrte. Milton fühlte sich, als stünde er am Eingang zu Willy Wonkas Schokofabrik. Er merkte, dass er aufgeregt war. Neugierig. Und ein bisschen hungrig.

      In den Tiefen des Ladens fanden sich weitere Kleiderständer, auch automatische, ellipsenförmige, von der Sorte, wie man sie in Wäschereien findet. Einer war vollbehängt mit Mänteln. Im Vorbeigehen drückte Milton auf einen roten Knopf, und die Mäntel fuhren ruckelnd an, schaukelten auf ihren Bügeln und bewegten sich zögernd vorwärts, scheinbar ängstlich darauf bedacht, ihre Bahn nicht zu verlassen. Milton drückte erneut auf den Knopf. Die Maschine blieb stehen. Die Mäntel schwangen in perfektem Gleichtakt nach vorne und wieder zurück, wie eine Reihe Funkenmariechen. Milton griff nach einem lodengrünen Ärmel und hielt ihn fest.

      „Den hat uns Heino persönlich überlassen“, sagte die Frau. „Deshalb haben wir ihn auch noch nicht gereinigt.“

      „Verstehe.“ Milton zerrte den lodengrünen Mantel zwischen den anderen hervor. Das Kleidungsstück war schwer, unansehnlich und so weit, dass ein Schlauchboot darunter Platz finden konnte.

      „Nein, wirklich.“ Die Frau hakte den Bügel aus und breitete den Mantel flach über die übrigen. „Dieses Lodenzeug nimmt Haare und Schuppen wunderbar auf. Und es gibt genügend Fans, die verzweifelt auf der Suche sind nach Heino-DNA. Den Mantel hier werde ich demnächst bei eBay versteigern. Für einen guten Preis.“

      Jetzt glaubte Milton, ein paar weißblonde Haare auf dem Lodenstoff zu erkennen.

      „Das sind Hundehaare.“

      „Und wenn schon.“ Die Frau hängte den hässlichen Mantel wieder zwischen die anderen. „Wenn Sie jetzt bitte СКАЧАТЬ