Geduld als Ressource. Bettina Siebert-Blaesing
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СКАЧАТЬ geistige Freundschaft mit Teresa von Ávila, durch die er sich motiviert fühlt, den Orden der Karmeliter weiterzuentwickeln.43 Auch Johannes sieht das Fundament allen Seins in einer engen Verbindung mit Gott. Für dieses Ziel, sagt er, „ist es sehr wohl wert, deshalb vieles über sich ergehen zu lassen und mit Geduld und Hoffnung auszuharren“ (Stöhr 2014, S. 174).44 Über die Verbindung der Geduld mit der Hoffnung schließt Johannes an die Zeiten der frühen Entwicklung des Christentums an, indem an die Geduld als Unterstützerin im Durchstehen von Schwierigkeiten und Krisen appelliert wird. Anstelle der von ihm bei Mitmenschen oft beobachteten Form der Selbstüberschätzung und des zu großen Zutrauens in die eigene Leistungsfähigkeit, hält er die Haltung der Demut und ein Warten auf Zeichen Gottes für einen geeigneten Weg, um Geduld erfahren zu können (vgl. ebd.).

      2.3.4.5 Franz von Sales

      Franz von Sales (1567–1622, vgl. Stöhr 2014, S. 8) kommt als ältestes von zwölf Kindern in einer adligen Familie auf Schloss Sales in Frankreich zur Welt. Seine Studienzeit in Paris ist für ihn mit einer persönlichen Krise verbunden. Diese Situation bewältigt er durch die spirituelle Erkenntnis, dass er immer und in jeder Form von Gott geliebt wird, was ihn zu einer optimistischen Haltung dem Leben gegenüber führt. Im Jahr 1591 wird von Sales in kirchlichem und weltlichem Recht promoviert, 1591 zum Priester geweiht, 1602 als Bischof von Genf berufen, wo er sich intensiv um ein Kennlernen der Situation der Pfarreien in seiner Diözese bemüht. Von Sales stirbt im Jahr 1622 in Folge eines Schlaganfalls. Im Jahr 1661 wird er seliggesprochen, im Jahr 1665 folgt kurz darauf die Heiligsprechung und im Jahr 1877 die Ernennung als Kirchenlehrer, später als Patron der Gehörlosen, der Schriftsteller*innen und Journalist*innen. An seiner Gott wie den Menschen wertschätzenden Spiritualität und Pädagogik orientieren sich seit der Zeit seines Wirkens zahlreiche Klöster, Ordensgemeinschaften, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Jugendwohnheime, Schulen, Hochschulen und Verlage.45 In Philothea – Anleitung zum frommen Leben (Sales 2015)46 gibt von Sales im Stil eines spirituellen Ratgebers lebenspraktische Vorschläge, wie sich Geduld hin zu mehr Frömmigkeit praktizieren und einüben lässt. Geduld ist für von Sales eine „kleine Tugend“,47 die im Alltag in jedem Beruf und jeder Lebenssituation auf einem „Weg der kleinen Schritte“ (ebd.) mit dem Ziel eines Lebens in mehr Frömmigkeit geübt werden kann (vgl. ebd., S. 135–136). Gott zeigt sich für von Sales als barmherzig und wartet ihm zufolge selbst mit Langmut48 darauf, dass sich der Mensch zum Glauben bekehrt (ebd., S. 38). Die Geduld stellt nach von Sales einen Zugang zur Seele dar (ebd., S. 137). Für einen Umgang mit Problemen von Mitmenschen orientiert er sich am Leidensweg Jesu, den er für sein „geduldiges Ertragen der Schwierigkeiten, Widerwärtigkeiten und Unannehmlichkeiten“ (ebd.) als Vorbild ansieht. Einen geduldigen Menschen versteht von Sales als „wahren Diener Gottes“ (ebd., S. 137–138), der alles Leid erträgt, auch wenn es ihm von Freunden zugefügt wird und das Ertragen zu keinerlei Ruhm und Ehre führt. Lege es jemand etwa darauf an, wegen seines Leides von anderen bemitleidet oder bedauert zu werden, so zeige sich „keine echte Geduld, sondern nur eine ganz raffinierte Ehrsucht und Eitelkeit“ (ebd., S. 138). Im Gegensatz dazu gebe es aber viele Situationen, in denen nicht das individuelle Leid das einzige Problem sei, das der Geduld bedürfe (ebd.). Häufig seien auch weitere „Umstände“ (ebd., S. 138) mit zu ertragen, wie etwa berufliche und familiäre Nachteile für Mitbetroffene und Familienmitglieder, was als zusätzliche Sorge empfunden werden könne (vgl. ebd.). Für Schwierigkeiten, die im mitmenschlichen Umgang entstehen, empfiehlt von Sales, sich bei falschen Anschuldigungen mit Ruhe zu verteidigen und die Schuld zu verneinen (vgl. ebd., S. 139). Für den Umgang mit Krankheiten betont er, dass der Beginn eines langsamen Heilungsprozesses „Mut und Geduld“ (ebd., S. 36) erfordere. Bei Krankheiten rät er dazu, die Heilmittel und Heilkunst eines Arztes zu akzeptieren. Sollte keine Heilung möglich sein, so sei die Krankheit Gott in Geduld zu „opfern“ (ebd., S. 139; ebd., S. 141).

      Die Phase der Industrialisierung zeichnet durch eine Spanne kreativer Entwicklungen neuer technischer Möglichkeiten in der gleichzeitigen Anforderung starker sozialer Umbrüche ab, für die die Geduld eine Orientierung gegeben hat.

      2.3.5.1 William Bernhard Ullathorne

      William Bernhard Ullathorne (1806 bis 1889)49 wird als ältestes von zehn Kindern in England geboren. Nach einer kurzen Schulzeit und Ausbildung im familiären Betrieb entscheidet er sich für die Seefahrt, spürt dann aber den Wunsch, Priester zu werden. Ullathorne wird Benediktinermönch, Priester und im Jahr 1846 zum katholischen Bischof von Birmingham gewählt. Zeitweise übernimmt er die Funktion als Generalvikar von Australien. Ullathorne setzt sich als Kirchenmanager für den Ausbau der katholischen Kirche in England ein und überzeugt Papst Gregor XVI., dies auch in Australien verstärkt zu verfolgen. (vgl. Ullathorne 1891; Serle 1949)

      Im Jahr 1912 erscheint Ullathornes Monografie Mehr Geduld! Die christliche Geduld (Ullathorne 1912). Die herausgebenden Benediktinerinnen betonen, dass Ullathornes Werk in die Umbruchszeit der Industrialisierung fällt, die durch den technischen und kulturellen Wandel von einer Zerrissenheit zwischen dem Erleben von Hektik und dem Wunsch nach Ruhe und Geduld geprägt sei (vgl. Ullathorne 1912). In seinen Ausführungen zur Geduld definiert Ullathorne Geduld als ein „Zeugnis für die Echtheit unserer Liebe“ (ebd. , S. 10), die „nur durch anstrengendes Ringen, durch Selbstbeherrschung und Verleugnung des eigenen Ich erlangt“ (ebd.) werden könne, dann aber zu großem Frieden führe. Den Ursprung der Geduld sieht er in einem festen Glauben an Gott. Geduld ist für ihn ein Mittel, um die Liebe Gottes zu erfahren. Die Aufgabe der Geduld sei es dabei, alle menschlichen Regungen zu züchtigen und sie der Liebe unterzuordnen (vgl. ebd.). Die „starke, männliche Tugend“ (ebd., S. 11) der Geduld helfe mit disziplinarischer Strenge gegen alle Schwächen.

      2.3.5.2 Mahatma Gandhi

      Der indische Anwalt und Menschenrechtler Mahatma Gandhi (1869 – 1948, vgl. Borchert und Zulauf 1994, S. 217) setzt sich für Freiheit, Frieden, den interreligiösen Respekt und für Toleranz besonders unter Hindus und Moslems, gegen die Rassentrennung in Südafrika und für die Unabhängigkeit Indiens ein. Gandhi stirbt 1948 in Folge eines Attentats (Bauschke 2018, S. 31). Er wird durch seinen gewaltfreien Widerstand, den er „Nicht-Gewalt“ (Otto 1984, S. 7) nennt, weltweit bekannt. Für Gandhi sind Geduld und Gewaltlosigkeit, die ihm zufolge erlernbar sind, eng mit einer Haltung der Toleranz von Andersdenkenden verbunden.50 Sein ethisches Verständnis reicht jedoch weit über ein reines Ertragen schwieriger Umstände, Bedingungen und Beziehungen hinaus (Schmidt-Salomon 2017, S. 78), indem er „Selbstverwirklichung“ (Wessler 2019, S. 771–780) sowie eine „unerschöpfliche Geduld“51 als Basis einer „Selbstzucht“ (ebd.) fordert. Diesen hohen Anspruch legt er auch bei sich selbst an, wobei er sich der Geduld und des „Nicht-Widerstandes“52 als „Methode“ (ebd.) bei der Erledigung schwieriger Aufgaben bedient. Die aktuelle innenpolitische Anerkennung Gandhis in Indien ist ambivalent und politisch brisant: Mit seiner Haltung ist er weltweit ein Vorbild für viele Freiheitsbewegungen bis in die heutige Zeit. In Indien wird er einerseits als Nationalheld verehrt. Andererseits wird er in Anbetracht der Tatsache, dass die Bevölkerungszahl wächst und das Land von Konsum und Kapitalismus geprägt ist, als nicht mehr zeitgemäß betrachtet. Zugleich werden seine Ansichten von fundamentalistisch-hinduistischen Kreisen wegen ihrer interreligiösen Offenheit abgelehnt (vgl. Wessler 2019, S. 771–780; Bauschke 2018, S. 31).

      Im Jahr 1903 rät der Dichter53 Rainer Maria Rilke (1875 – 1926, vgl. Zimmermann 2011, S. 112) in einem Brief an den jungen Dichter Franz Xaver Kappus zu der Aussage: „Geduld ist alles“ (Rilke 2009, S. 18–19). Eindringlich ermutigt er Kappus, seiner inneren Stimme und der kommenden Zeit als Kraftquellen für seine kreative Entwicklung zu trauen. Rilke betont, dass anstehende menschliche und künstlerische Reifungsprozesse nicht mit der Zeit zu messen seien. Damit will er den jungen Mann ermutigen, sich Ruhe für seine Vorhaben zu gönnen und darauf zu verlassen, dass sich die von ihm gewünschten Ergebnisse mit der Zeit zeigen. Rilke zieht den Vergleich mit einem Baum, der über die Jahreszeiten hinweg dem Rhythmus der Natur folgt. Künstler bräuchten das Vertrauen, dass sich der „Sommer“ (ebd.) СКАЧАТЬ