Einstürzende Gedankengänge. Ulrich Land
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Einstürzende Gedankengänge - Ulrich Land страница 8

Название: Einstürzende Gedankengänge

Автор: Ulrich Land

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Mord und Nachschlag

isbn: 9783941895430

isbn:

СКАЧАТЬ Gewicht, obwohl der Arm schmerzt, als hätte er dich schon eine Ewigkeit halten müssen, ist die Sonne kein noch so winziges Stück weitergekommen. Steht immer noch genau an dem Fleck, wo du sie zuletzt gesehn hast: lugt so grade eben übern Snæfellgipfel und bohrt sich durch dessen Nebel-Halskrause. Und die Wolken, die Wolkenbilder, obwohl die auf Island bekanntlich immer rasend schnell wechseln, sind noch genau so, wie sie sich bei deinem letzten Blick eingebrannt haben in die Schädeldecke. Keinen Millimeter verändert. Kann also nur ein paar Minuten, höchstens ein paar Minuten ... obwohl der Arm ... wenn bloß der Arm nicht ... dass der Arm, die Hand so höllisch ... das schreit alles wie am Spieß.

       Plötzlich ... wie schnell das geht! ... Von jetzt auf gleich, zack, war diese Schwärze über die gleißende Weiße des Neuschnees geworfen.

      Der Rest ist Rekonstruktion: Während du also nicht ohne Stolz beobachtet hast, wie oben deine Tochter sich in die Eiswand krallte, absolut fachmännisch mit dem Pickel den Ansatz für die Eisschraube freihackte – da sahst du, siehst du, dass du überhaupt nichts mehr siehst. Außer eben dieses Schwarz. Du musst im freien Fall die Eiswand runtergeschossen und bei der Gelegenheit irgendwie irgendwo mit dem Kinn aufgeschlagen sein. Die Zähne gegeneinandergeschlagen, dass dein Kopf nicht mehr wusste, wo unten, wo oben, wo er mit dem ganzen Dröhnen hin soll. Und die Unterlippe zerbissen dabei, dass sie runterhängt wie ’n rot triefender Waschlappen.

      Wahrscheinlich ist diese ganze Eisschuppe da aus der Wand gebrochen, als du mit dem Pickel reingehämmert hast, um Halt zu ... Eben nicht! Du hast eben keinen Halt gefunden. Im Gegenteil. Ein ordentliches Stück von der Eiswand muss dir entgegengekommen sein. Noch schneller runter als du. Und ohne irgendwas zu sehn, im Zustand, tatsächlich, im Zustand geistiger Umnachtung und gleichzeitig absoluter Geistesgegenwart, ohne dich jedenfalls dran erinnern zu können, musst du eine von deinen Expressschlingen über den letzten Haken geworfen ... und der hält, was für ’n Wahnsinn, der hält! Und du musst im gleichen Atemzug zugepackt haben. Mit einer, mit dieser einen Hand, die jetzt so verflucht, so verflucht ... Wird wohl, muss wohl. Aber wissen, wissen tust du’s nicht.

       Was ist in Wahrheit geschehn? Was hast du gesehn in dieser winzigen, dieser rasenden Zwischenzeit? Welcher Horror, von dem du nichts mehr weißt, haust unter deinem Schädeldach und dröhnt so durchdringend? Und wo ist das geblieben, was du mitten im Sturz dachtest? Der bittre Geschmack von geschmolzenem Eis auf der Zunge. Wo ist, was du hörtest, rochst, spürtest? In welcher Dunkelkammer? – Zutritt verboten.

      Du bist älter geworden.

      - . -

       12

      »Ja, das ist alles nicht ohne«, murmelt die Mahnemannsche und nimmt zwei Treppenstufen auf einmal. Sie hat eine irgendwie unnachahmliche Art drauf, diese Endlostreppen im Präsidium tapptippentapp hinter sich zu bringen, das musst du neidlos anerkennen. Dieser rasante Rhythmus, mit dem sie die Füße todesmutig abwärtsschiebt und zwei Treppenstufen tiefer schlafwandlerisch sicher wieder aufsetzt, wahrhaftig beeindruckend! Ein Gletscherabstieg ist nichts dagegen. Bleibt dir nur, hinter ihr her zu stolpern, um nicht ganz abgehängt zu werden. Als sie begreift, dass der Abstand so groß geworden ist, dass du sie kaum noch verstehen kannst, stoppt sie und dreht sich fast mitleidig zu dir um. »Im Labor, die haben festgestellt, da waren jede Menge Fingerabdrücke von Ihnen drauf.«

      »Auf meinen Handschellen?«, grinst du überlegen. »Logisch sind da meine Fingerabdrücke drauf.«

      »Etliche waren ziemlich verwischt. Und außerdem hat sich an einigen Stellen Talkumpuder abgesetzt. Von Latexhandschuhen. Was dafür spricht«, salbadert sie weiter, »dass Ihre Handschellen beim letzten Einsatz nicht mit bloßen Händen benutzt worden sind.«

      »Was? Das müsste ich doch wissen!«

      »Das ist ja – ohne Ihnen zu nah treten zu wollen – ist ja nicht das Einzige, das Sie nicht mehr wissen.«

      Ihr seid inzwischen im ersten Stock gelandet und absolviert den langen Marsch durch die Flure. 1-214. Du stößt stumm die Tür auf, huschst rein und willst eben die Tür rücklings hinter dir zuziehn, als du einen Widerstand spürst: einen der schlankranken Mahnefraufüße! »Sheriff, das ist, das hat kein’ Zweck ...«, raunt sie dir in den Nacken.

      Was soll keinen Zweck haben? Der Kollege von der Materialausgabe wirkt auch schon leicht verstört und guckt deine aufgeregte Assistentin mit schiefgestelltem Kopf an.

      »Kollege, ich brauch neue Handschellen!«, preschst du vor, »aber bitte von der neuen Liefe...«

      »Moment bitte!«, geht die Mahnemannsche dazwischen, »Mann, Sheriff, hat Ihnen der Chef denn nicht gesagt ...«, sie zieht dich wieder auf den Flur, was du willenlos wie ein Kieselstein am Grunde der Moldau geschehen lässt, »... hat Ihnen der Chef nicht gesagt, dass Ihnen der Fall entzogen wurde und ...«

      »Wie bitte was?«

      »... und dass Sie beurlaubt sind. Fürs Erste. Erst mal nur fürs Erste.«

      »Aha, nur fürs Erste erst mal.«

      - . -

       13

      Du drückst die Klinke runter, schiebst mir nichts, dir nichts die Tür auf und setzt schwungvoll an hineinzumarschieren ... Du hast dir nicht die geringsten Gedanken darüber gemacht, was du womöglich vorfinden würdest, – sowieso alles egal –, aber der Anblick, der sich dir jetzt bietet, lässt dich, zumindest für einen Augenblick, dann doch zur Salzsäule gefrieren. Sie liegt fakirgleich auf dieser knorpelharten Couch, unbequem ist, wie gesagt, gar kein Ausdruck, hat den offenbar grade aus den Traumtiefen eines wohligen Nickerchens gerissenen Schädel vom schräggestellten Kopfteil gehoben und starrt mit schreckgeweitetem Blick zur Tür, auf deren Schwelle du immer noch rumstehst wie eine unentschiedene Mischung aus Falschgeld und Django.

      »Herr Dollinger?«

      »Ich, das muss sofort ... also ...«

      »Auch ich hab irgendwann mal Mittagspause«, mault sie mit einer Kälte in der Stimme, die du ihr nie zugetraut hättest. Ausgesprochen untherapeutisch. Aber davon kannst du dich jetzt beim besten Willen nicht beeindrucken lassen.

      »Sie müssen mir helfen, sofort«, stammelst du, »ich kann jetzt beim besten Willen nicht mehr auf irgendwelche Mittagspausen oder Analysen oder was warten. Sie müssen mich wieder grade rücken!« Und zwar sofort, schiebst du in Gedanken nach, ohne es freilich auszusprechen. Besser, sagst du dir, besser, du erklärst dich wenigstens einigermaßen nachvollziehbar. »Die haben mich abgezogen von dem Fall, und ich garantiere Ihnen, die wollen mich über kurz oder lang vom Dienst suspendieren. Und vorher muss ich mich selbst wegen Mordverdacht in U-Haft stecken. Sobald die die letzten Spuren ausgewertet haben. Scheiße, ich bin mir überhaupt keiner Schuld bewusst.«

      »Aber«, sagt sie mit allmählich wieder therapeutischweichgespülter Stimme, rappelt sich auf und setzt sich mit einer unbeholfenen Körperdrehung auf die Kante ihrer Knochenfolter-Couch, »aber Sie können es auch nicht ausschließen, dass Sie’s nicht vielleicht doch getan haben könnten.«

      Du glaubst, du spinnst! »Was? Ich glaub, ich spinne! Was reden Sie denn da!« Aber schließlich geht dein aufmüpfiger Tonfall doch baden und du murmelst kleinlaut: »Sie glauben also auch, könnte sein, dass ich ... Verfluchte Scheiße, das müsste ich doch wissen! Ich bin doch nicht völlig panne. Frau Wernigge, Sie müssen mir ganz schnell wieder die Möbel grade setzen im Kopf. Ich will jetzt hier gleich rausgehn und zum Chef stratzen und ihm sagen: Hier bin ich, bei mir ist alles klar im Dachstübchen, und der Fall ist wieder meiner. Okay? Also machen СКАЧАТЬ