Название: Die Augen des Professors
Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783864080586
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Der dielektrische Verschiebungsstrom
Wissenschaftlicher Ehrgeiz der »verspäteten Nation«
Auge in Auge mit Herrn Röntgen
Die mysteriöse Zinkkiste ein Interview von 1896
Röntgens berühmter Aufsatz »Ueber eine neue Art von Strahlen« (Originaltext)
Veröffentlichungen von Röntgen
Einleitung
Wer war Wilhelm Conrad Röntgen? Und welche Botschaft hat sein Leben für uns heute? Ältere Biografien über den 1845 in Remscheid-Lennep im Bergischen Land geborenen Physiker waren sich einig: Röntgen muss ein Genie gewesen sein, eine Ausnahmeerscheinung, weit abgehoben von uns allen. Hagiografien nennt man das, Heldengeschichten, die einem überkommenen Pathos und einem fragwürdigen Verständnis von Geschichte huldigen. Geschichte wird von großen Männern gemacht, so der Ansatz. Diese Heldengeschichten sind jedoch maßlos übertrieben – und letztlich zu einfach gestrickt. Mythen und Illusionen werden da kaum hinterfragt.
Röntgen ist ein solcher Mythos. Er war es bereits zu seinen Lebzeiten – entgegen seinem eigenen Willen. Der Superstar der Wissenschaft zu sein, war dem vornehmzurückhaltenden Professor geradezu unangenehm.
Diese Kurzbiografie will den Mythos Röntgen erklären und Sie gleichzeitig zu den wichtigsten Stationen seines Lebens und seiner Karriere mitnehmen. Sie werden am Ende sehen: Röntgen war ein sehr fähiger Wissenschaftler, aber auch ein normaler Mensch. Seine Entdeckungen waren herausragend – aber keinen übermenschlichen Fähigkeiten geschuldet, sondern Ergebnisse exakter Beobachtung und disziplinierten Forschens. Noch während seiner Studienzeit hätte keiner seiner Kommilitonen gedacht, dass Röntgen einmal so berühmt werden könnte und den Weg zur modernen Atomphysik ebnen würde. Er war unauffällig, sogar schüchtern, besaß allerdings zwei hervorragende Eigenschaften: Er war neugierig und ausdauernd. Er war vor allem neugierig darauf, die Phänomene der Natur und die darin wirksamen Kräfte genau zu beobachten, Zusammenhänge herzustellen und zu erklären. Für ihn war die Welt voller Rätsel. Einem seiner größten Rätsel begegnete er im Herbst 1895, als er eine vollkommen neue Art von Strahlen entdeckte, die feste Körper durchdrangen und mit lichtempfindlichem Papier sichtbar gemacht werden konnten. Ihm war zu diesem Zeitpunkt selbst nicht klar, was passiert war. Er brauchte Wochen, um das mit den eigenen Augen beobachtete Phänomen zu erklären. X-Strahlen nannte er die sonderbaren Strahlen, die auch menschliches Gewebe durchleuchteten und den Blick in den lebenden Menschen ermöglichten. Das X stand für eine Leerstelle, etwas noch Unbekanntes und vor allem: für etwas leidenschaftlich zu Ergründendes. Die große Lust, zu forschen, zeichnete Röntgen aus. Darin liegt eine Eigenschaft, die uns als Botschaft dienen kann: Tun Sie es Röntgen gleich! Ergründen auch Sie diese Welt mit Leidenschaft. Denn jede(r) kann neugierig die Welt erforschen.
Begleiten Sie uns zunächst nach Stockholm ins Jahr 1900. Hier bahnte sich an, was zum Höhepunkt von Röntgens Karriere werden sollte…
Der Nobelpreis
Kristallisationspunkt von Röntgens Karriere
Wer sollte ihn bekommen? Im September 1900 machte sich das Komitee der Akademie der Wissenschaften in Stockholm erstmals daran, Vorschläge für die Vergabe des Physiknobelpreises einzuholen. Der Preis war von dem inzwischen verstorbenen schwedischen Industriellen Alfred Nobel gestiftet worden. Der kinderlose Wissenschaftler hatte verfügt, von seinem Vermögen eine Stiftung zu gründen. Deren wichtigste Aufgabe, die Verleihung der Nobelpreise, bewegt bis heute die Welt. Seit 1901 fiebert die Öffentlichkeit alljährlich der Bekanntgabe der bedeutendsten Ehrung für Literaten, Chemiker, Physiker, Mediziner und Friedensaktivisten entgegen. Der erste Physiker, der diesen Preis erhielt, war Wilhelm Conrad Röntgen.
Die von ihm entdeckten X-Strahlen können als ein Wendepunkt der Wissenschaftsgeschichte bezeichnet werden. Seine Entdeckung war nicht nur für die Physik wichtig, sondern eroberte sich bald in angrenzenden Bereichen wie der Medizin und damit im Alltag von Millionen Menschen ihren Platz. Damit entsprach die Entdeckung Röntgens exakt den Vergabekriterien der Stiftung, die wissenschaftlichen Fortschritt im Sinne des Humanismus honorierte. Die Nobelpreisverleihung war einer der Kristallisationspunkte im Leben des damals 56-jährigen Physikers. Röntgen war auf dem Olymp der Wissenschaft angekommen. Gleichzeitig wurde mit der Preisverleihung die Fähigkeit der Menschen zu ständigem Fortschritt gefeiert. Röntgens X-Strahlen waren für diese optimistische Weltsicht eine direkte Übersetzung mit Symbolwirkung: Die Strahlen erlaubten sprichwörtlich Einsicht in bislang Verborgenes. Der Blick in den Menschen war dabei der spektakulärste Anwendungsbereich, der sich mit den Strahlen auftat. Denn bis zur Entdeckung der Röntgenstrahlen blieb der Blick in den lebenden Körper fast unmöglich. Es gab nur wenige diagnostische Geräte, wie z. B. das Endoskop, mit dem seit Beginn des 19. Jahrhunderts der Magen-Darm-Trakt durch die Körperöffnungen »gespiegelt« werden konnte. Schon dadurch verlor die Vorstellung von der Abgeschlossenheit des Körpers mehr und mehr an Bedeutung. Mit den X-Strahlen wurde die Körperoberfläche schließlich durchsichtig, das Körperinnere öffentlich.
Wilhelm Conrad Röntgen, ca. 1914
Dass die Entdeckung der Strahlen, für die Röntgen berühmt wurde, auf Vorarbeiten anderer beruhte und zu einem Teil Zufall waren, ließ seine Kritiker immer wieder laut werden. Allen voran der Physiker Philipp Lenard (1862–1947), der Röntgens Ruhm Zeit seines Lebens für sich beanspruchte und seiner Umgebung sogar verbot, das Wort »Röntgenstrahlen« auch nur auszusprechen. So verfolgte ihn der Streit um die Erstentdeckung der Strahlen bis ins hohe Alter. Da die Röntgenstrahlen schon immer existiert hatten, Röntgen sie also nur als Erster wahrgenommen und untersucht hatte, erhoben einige Forscherkollegen ebenfalls Anspruch auf die Entdeckung. Deshalb war die Nominierung Röntgens für den Nobelpreis nicht unumstritten. Die Nominierungsgeschichte zeigt deutlich: Die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts fand bereits nicht mehr im geheimen Kämmerlein einzelner genialer Wissenschaftler statt. Wissenschaft war vielmehr ein komplexes, aufeinander aufbauendes Kommunikationssystem mit vielen Akteuren.
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