Название: Great Green Thinking
Автор: Jennifer Hauwehde
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783948819507
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Auch bei der Verteilung der Emissionszunahme zwischen den Jahren 1990 und 2015 zeigt sich ein eindeutiges Bild: Obwohl viele Menschen in Indien und China den Sprung aus extremer Armut geschafft haben, ist ihr CO2-Ausstoß über die Jahre im Vergleich nur unwesentlich angestiegen: Hier stehen acht Prozent Anstieg (wieder der ärmeren Hälfte der Menschheit) dem Anstieg von 46 Prozent den reichsten zehn Prozent gegenüber – die zwar schon viel besitzen und konsumieren, allerdings trotzdem immer mehr CO2 ausstoßen. Und obwohl alle Welt von Konsumverzicht spricht und der #minimalismus trendet, liegen die wirklich problematischen Sektoren dieser Bevölkerungsgruppe nicht in dem ständigen Erwerb neuer Waren, sondern vor allem im Bereich Mobilität (Flug- und Landverkehr) und Wohnen.
Oxfam resümiert: Die Armen dieser Welt sind auf gar keinen Fall das Problem, wenn es darum geht, wem wir die aktuelle Entwicklung der Klimakrise zu verdanken haben. Aber: Die globale Mittelklasse ebenfalls nicht – jedenfalls nicht so gravierend, wie andauernd gepredigt wird. Anders gesagt: Wir können über plastikfreie Zahnbürsten, ökologisch produzierte Mode und #flygskam (Flugscham) diskutieren, bis uns die Köpfe rauchen, und uns gegenseitig erfolgreich des mangelnden Aktionismus bezichtigen – aber wir verfehlen dabei das Thema. Es geht nicht darum, ob Familie Meier jetzt erfolgreich einen Monat lang Konsum gefastet hat oder Henrik drei Häuser weiter beim vorletzten Mittagessen doch nicht so vegan gegessen hat, wie er von sich selbst immer behauptet.
Natürlich ist individuelles Engagement wichtig, auf unterschiedlichen Ebenen: Man nimmt sich als selbstwirksam wahr (eine wichtige Empfindung, wenn es darum geht, mit Krisen und komplexen Problemen umzugehen49), motiviert andere als Vorbildcharakter und trägt insgesamt dazu bei, dass sich auf lange Sicht Narrative ändern können. Aber so gewichtig, wie er andauernd dargestellt wird, ist der individuelle Konsum- und damit Lebensstil der Durchschnittsmittelstandsmenschen nicht. Nicht, wenn wir uns die Verhältnismäßigkeit ansehen – und die wenige Zeit, die uns noch bleibt, um das Ruder herumzureißen. (Während ich das hier tippe, haben wir noch sechs Jahre und elf Monate, bevor das CO2-Budget aufgebraucht ist und die globale Gemeinschaft das 1,5°C-Ziel verfehlen wird.)50
Wenn die Beschränkungen, die mit der Coronapandemie einhergegangen sind, sich wieder lockern und ihrem Vor-Corona-Level annähern, hat die globale Gemeinschaft nur noch bis zum Jahr 2030 Zeit, die Erderhitzung auf 1,5°C zu begrenzen. Das Problem dabei ist, dass die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung alleine diese Marke schon wenige Jahre nach 2030 knacken werden, wenn sie ihren Lebensstil beibehalten (er ist 35-mal höher, als er sein dürfte, um das 1,5°-Ziel einzuhalten) – selbst wenn alle anderen Menschen auf diesem Planeten ihren Emissionsausstoß von heute auf morgen auf null senken würden.51
REICHTUM IST NICHT VERDIENT
Zusammen verfügen die zehn reichsten Menschen der Welt über ein Vermögen von rund 853 Milliarden Dollar.52 (Ja, ich kann mir auch nicht vorstellen, wie viel das ist.) Die zehn reichsten Deutschen vereinen rund 165 Milliarden Euro auf sich.53 Auch wenn sie uns gerne als das Paradebeispiel für den Aufstieg innerhalb der »Leistungsgesellschaft«54 präsentiert werden: Der Reichtum dieser Menschen kann nicht einzig und allein aus eigener Leistung stammen. Es ist schlicht nicht möglich.
Aus (mindestens) zwei Gründen:
1Ab einem bestimmten Zeitpunkt in ihrer Karriere werden (die meisten, nicht alle) sehr, sehr reiche Menschen (die in der Regel über ein oder mehrere Unternehmen verfügen) von Arbeitenden zu Verwaltenden: Sie arbeiten wenig bis gar nicht mehr selbst, sondern organisieren alles darum herum – Leute einstellen und feuern, Gespräche mit wichtigen Menschen führen, in der Folge über genauso wichtige strategische Dinge entscheiden. Die eigentliche Arbeit (am Produkt oder der Dienstleistung) erledigen längst andere, untergeordnete Menschen.
2Bis es so weit gekommen ist, dass eine Person durch ihren vermeintlich genialen Einfall berühmt und reich wird, hat sie von unzähligen und meist nicht gesehenen Arbeitsstunden anderer pro-fitiert. Von Menschen, die Vordenker:innen-Arbeit geleistet haben. Von anderen, welche die technische Infrastruktur zur Verfügung stellen. Von denen, die ihre kleinen Lokale als Rückzugsort betreiben und erlauben, dass man dort die Batterien wieder aufladen kann. Von wieder anderen, die Bürgersteige sauber halten und dafür sorgen, dass wir nicht kollektiv im selbst produzierten Dreck ersticken. Von dem:der Partner:in, der:die kostenlos und selbstverständlich die Care-Arbeit für den eigenen Nachwuchs übernimmt. Von den Pfleger:innen, die sich um die Gesundheit der Eltern nach einem Oberschenkelhalsbruch kümmern. All diese Arbeit ist Voraussetzung dafür, dass einige wenige in der Gesellschaft durch privilegierte Kopfarbeit in der Lage sind, zu dem beizutragen, was gemeinhin als »Fortschritt« verstanden wird. Sie läuft ununterbrochen im Hintergrund ab, erfährt allerdings wenig bis keine Beachtung.
Aus dieser Perspektive ist unsere Erzählung von den Leuten, die in Garagen geniale Ideen hatten und deswegen alleine den Lauf der Geschichte verändert haben, eine Lüge: Sie stehen nicht nur auf den Schultern von Ries:innen, sondern auf denen der gesamten Gesellschaft. Warum bekommen also nur sie so unverhältnismäßig viel Geld und Einfluss? Es sollte in unser aller Interesse liegen, diese Verhältnisse zu ändern.
GESPRÄCH MIT DER POLITIKWISSENSCHAFTLERIN PROF. DORIS FUCHS
ALLE IN EINEN TOPF UND KRÄFTIG UMRÜHREN?
Von Jennifer Hauwehde
Transformation heißt das Zauberwort. Die liegt aber unter anderem auch deshalb in so weiter Ferne, weil wir uns über Jahrzehnte auf die Gleichung »Nachhaltigkeit = grüner Konsum« fixiert und die Systemfrage nicht gestellt haben. Sehr zur Frustration der Wissenschaft: Seit spätestens 2001 predigt diese, erzählt mir Konsumforscherin Doris Fuchs von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster in einer Videokonferenz, dass wir an den Strukturen ansetzen müssen, wenn wir wirklich etwas verändern wollen: der Wirtschaft, der Gestaltung unseres politischen Systems, der Gesellschaft. Gehört werden die Forscher:innen erst seit rund zwei Jahren – viel zu spät.
Und das hängt, erklärt sie, auch damit zusammen, dass Forschung von Förderung abhängig ist – Projekte, die politisch unangenehme Ergebnisse zutage fördern könnten, werden seltener gefördert als jene, die bequeme Antworten im gewohnten System versprechen. »Fast alle Projekte, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wurden, gingen in die Richtung: ›Welche Informationen kann ich den Konsumierenden wie anbieten, damit sie nachhaltiger leben?‹ Damit wird auch das, was von der Wissenschaft in die Öffentlichkeit kommt, gelenkt.«
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