Название: Also sprach Corona
Автор: Wilfried Nelles
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783958033917
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Corona ist selbstverständlich ein globales Thema, und zumindest in Europa sind alle Länder ähnlich betroffen und reagieren auch ähnlich. So beziehe ich mich zwar, wenn es um die Rolle der Medien und der Politik geht, auf die deutsche Situation, das zentrale Thema dieses Buches, die geistige Haltung, die sich durch Corona offenbart, gilt aber für ganz Europa, auch wenn ich auf die Situation außerhalb Deutschlands nicht explizit eingehe.
Mein Fachgebiet ist das Bewusstsein, aus dem heraus Menschen die Welt sehen, die geistige Haltung, die ihre Gefühle und ihr Denken bestimmt und aus der heraus sie wie selbstverständlich handeln. Dieses Bewusstsein ist der eigentliche Gegenstand dieses Buches: Was zeigt uns Corona, was zeigt uns unsere persönliche wie gesellschaftliche Reaktion auf dieses Naturereignis über uns selbst, über die Art unseres In-der-Welt-Seins? Über die geistige Verfassung unserer Zeit? Über unseren Umgang mit der Natur, mit Krankheit und Tod, mit Wahrheit und Wissenschaft, Wunsch und Wirklichkeit? Wohin, in welche Art von Leben, treibt uns dieses Bewusstsein? Was macht es mit uns, was macht es innerlich mit jedem Einzelnen und auch mit unserer Gesellschaft? Wie verändert es die Welt, in der wir leben – außen wie innen? Das ist die psychologische Dimension von Corona (nicht zu verwechseln mit der Frage der psychischen Folgen!), die bisher kaum Beachtung findet.
Ich habe dieses Buch zwischen dem 15. Oktober und dem 15. Dezember geschrieben und danach noch einmal überarbeitet. Wo nötig, habe ich es aktualisiert, aber die persönlichen Eindrücke, die ich schildere, so gelassen, wie sie zum jeweiligen Zeitpunkt entstanden sind. Dabei springe ich manchmal zwischen den Zeiten, ich folge nicht immer der Chronologie. Die Zahlenangaben geben, sofern nichts anderes vermerkt ist, den Stand zum Jahreswechsel wieder.
Wie die meisten Menschen bin ich in diesem fast gänzlich durch Corona bestimmten Jahr auch selbst durch einen intensiven inneren Prozess gegangen, den ich mitdokumentieren möchte. Ich möchte Sie, liebe Leserinnen und Leser, damit anregen, bei sich selbst nachzuspüren, was das gesamte Geschehen um Corona mit Ihnen gemacht hat und macht. Ich weiß nicht, wohin dieser innere Prozess mich persönlich noch führen wird. Nur eines ist klar: Nichts steht für mich fest. Auch das kann Corona uns lehren, es ist nämlich – wie Heraklit es schon vor 2500 Jahren gesehen hat – immer so, nur dass man das leicht vergisst: Panta rhei – alles fließt.
Ich danke allen Freunden, die mich zu einer Veröffentlichung ermutigt und mir mit Kommentaren zu meinem ersten Entwurf geholfen haben, meine Gedanken klarer zu präsentieren, namentlich: Coen Aalders, Thomas Geßner, Hanna Göser, Edelgard Henke, Christa Langen, Markus Maurer, Malte Nelles, Anne Petersen und Bunda Watermaier.
Marmagen/Eifel, zum Jahreswechsel 2020-2021
Wilfried Nelles
Einleitung: Die Göttin Corona
Als SARS-CoV-2, das, wie man sagt, »neue« Corona-Virus, Ende Februar/Anfang März 2020 Europa erreichte, ohne dass damals schon absehbar gewesen wäre, welche Ausmaße es annehmen würde, schrieb mein Sohn Malte Nelles auf der Facebookseite unseres gemeinsamen Instituts folgenden Satz:
»Von Carl Gustav Jung stammt das vielschichtige Zitat ›Die Götter sind Krankheiten geworden‹. Corona, das ist doch ein Name, der einer Göttin stehen würde. In früheren Zeiten hätte es überhaupt keinen Zweifel daran gegeben, dass eine göttliche Kraft hinter einer neuen Krankheit stecken würde. Da das moderne Bewusstsein aus der magischen Wirklichkeit der personifizierten, strafenden Gottheiten herausgewachsen ist, ist es für uns Moderne heute einfach nur ein Virus. Soweit unser naturwissenschaftliches Weltbild. Wie aber steht es um die Psychologie des Corona-Virus?«
Ich war damals in Spanien, zunächst bei einem Seminar in Valencia und danach auf einer Konferenz in Bilbao, wo die Menschen Anfang März noch bedenkenlos Leib an Leib in Bars, Aufzügen und den Konferenzsälen des Hotels zusammenstanden. Meine Frau und ich waren mittendrin. Eine Woche später wurde in Deutschland der Lockdown verkündet. Als ich den Text im Internet las, habe ich sofort gespürt: Das ist wahr, das sollte jeder lesen, und ich war ein bisschen stolz auf meinen Sohn. Seither ist dieser Gedanke immer präsent in mir.
An einem der in mehrfacher Hinsicht dunklen Herbsttage Mitte Oktober, als sich die Warnungen vor dem Tsunami der »zweiten Welle« mal wieder überschlugen, bin ich abends sehr früh ins Bett gegangen und auch schnell eingeschlafen – ermüdet vom Lesen der neuesten Bestimmungen, die auch die Arbeit unseres psychologischen Instituts stark beeinträchtigten, und betrübt von der Ahnung, dass uns eine auf Samtpfoten daherkommende Technik- und Gesundheitsdiktatur ins Haus stehen könnte, gegen die kein argumentatives Kraut gewachsen ist, da sie sich auf die Angst der Menschen stützt, die man ihnen zuerst sehr erfolgreich eingeflößt hat. Als ich nach einer halben Stunde wieder aufwachte, wusste ich plötzlich: Ich muss Corona, die Göttin, sprechen lassen. Ich schreibe auf, was sie zu sagen hat, und vielleicht wird ein kleines Buch daraus.
Zur Erläuterung möchte ich kurz etwas über unsere psychologische Arbeit sagen: Zu uns kommen oft Menschen, die verzweifelt sind, und manche von ihnen leiden an schweren oder chronischen Krankheiten, bei denen ihnen die Medizin kaum noch helfen kann. Unsere Methode besteht, ganz kurz gesagt, darin, dass wir ihnen helfen, auf die Krankheit zu hören. In jeder Krankheit verbirgt sich eine Botschaft. Oft kann man erst dann wieder gesund werden, wenn man diese Botschaft vernimmt, sie ganz an sich heranlässt und ihr folgt. Und wenn man nicht mehr gesund wird, weil die Krankheit zu weit fortgeschritten ist, kann man vielleicht damit in Frieden kommen oder sogar in Frieden sterben. Aber oft lösen sich auch hartnäckigste und sehr schwere Symptome danach in Luft auf.
Diese Vorgehensweise verlangt einen ungewöhnlichen Schritt von den Betroffenen wie auch vom Therapeuten: Alle müssen darauf verzichten, die Krankheit (oder was immer das Problem ist) wegmachen zu wollen. Sie darf nicht als Feind angesehen werden. Man kann jemanden nicht verjagen oder töten wollen und zugleich auf ihn hören. Man muss sie zunächst einmal da sein lassen. Ich rede hier nicht von dem, was ein Arzt zu tun hat, sondern von der inneren Haltung der Betroffenen und der Psychologie. Für beide geht es darum, die Krankheit zu sehen und anzuerkennen als etwas, das, weil es zu uns kommt und uns geschieht, eine Bedeutung für uns hat. Alles, was uns trifft, hat eine Bedeutung für uns. Nur dann kann ich die Krankheit wirklich sehen und ihre Botschaft vernehmen. Wenn ich wirklich höre, was sie zu sagen hat, kann sie sich vielleicht zurückziehen, denn dann hat sie ihren Zweck für die Seele des Betroffenen erfüllt.
Das ist nicht instrumentell zu verstehen, etwa in dem Sinne: Wenn ich weiß, was die Krankheit bedeutet, dann weiß ich, was ich tun muss, damit sie wieder weggeht. Das ist eine in esoterischen Kreisen verbreitete Denkweise, aber so funktioniert es nicht. Dies ist nur eine andere Weise, sein Leben im Griff haben zu wollen. Eine schwere Krankheit – ich rede hier nicht von Erkältungen, vorübergehenden Unpässlichkeiten und anderen Kleinigkeiten – ist immer ein Schlag ins Gesicht unseres Egos, ein Schock für unsere Vorstellung, dass wir das Leben im Griff haben könnten. Diesen Schlag muss man aushalten. Die Botschaft einer Krankheit entschlüsselt sich meist erst im Nachhinein, nachdem man sich hat treffen und erschüttern lassen und seine ganze Hilflosigkeit vor seinem Schicksal gesehen, erfahren und angenommen hat, wenn man insoweit kapituliert hat, dass man bereit ist, mit dieser Krankheit zu leben, so gut es geht, oder gar mit ihr zu sterben. Dann zeigen sich plötzlich neue Wege.
Corona erscheint uns zunächst als ein hoch ansteckendes Virus, das sich sehr schnell verbreitet und insofern als erste Reaktion unsere Abwehr mobilisiert. Dies ist die Aufgabe der Medizin und zum Teil auch der Politik. Es ist aber nicht nur ein Virus, es ist auch eine Botschaft, die die ganze Welt betrifft, jeden Einzelnen und alle gemeinsam. Auf dem Höhepunkt der Friedensbewegung schrieb Peter Sloterdijk vor 40 Jahren in seiner »Kritik der zynischen Vernunft« über die Atombombe: »Die Bombe ist keine Spur böser als die Wirklichkeit und um kein Haar destruktiver als wir. (…) (Sie) fordert von uns weder Kampf noch Resignation, sondern СКАЧАТЬ