Название: BIERKÄMPFE, BAROCKENGEL UND ANDERE BAVARESKEN
Автор: Klaus Hübner
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783957658814
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1907 hat Josef Ruederer München veröffentlicht, zunächst als Beitrag zu einer Stadtführer-Buchreihe. Bald galt diese Hauptstadt-Satire als eines seiner Hauptwerke. Das Schlusskapitel wurde – eine gar nicht so kleine Kanonisierung – 1981 im fünften Band der Bayerischen Bibliothek abgedruckt. Es ist verdienstvoll, dass München unlängst in die von Elisabeth Tworek herausgegebene edition monacensia aufgenommen wurde. Zwei Briefe von Leo Greiner an den Autor, Ludwig Thomas Erinnerungen an Josef Ruederer, die München-Rezension von Josef Hofmiller aus den Süddeutschen Monatsheften sowie Anmerkungen zur Edition, ausführliche Erläuterungen und ein instruktives Nachwort von Waldemar Fromm und Walter Hettche ergänzen den Text. Ein interessantes Zeitdokument in einer originellen Mischung aus Fakten und Fiktionen, auch mit selbstkritischen Erzählerreflexionen, meist grantig im Ton, nicht selten höchst polemisch – gut, dass es wieder bequem greif- und lesbar ist.
Ruederer sieht, das macht schon das erste Kapitel über den Fasching klar, die Mitte des 19. Jahrhunderts blühende und glitzernde Kunst- und Künstlerstadt München immer tiefer untergehen, und er weiß ganz sicher, dass »der Münchner« ein eher behäbiger, auf sein Sach’ achtender, nicht immer humoriger Bierdimpfl ist und keinesfalls ein weltoffener kreativer Kopf. Und dass dieser Münchner die Vergangenheit seiner Stadt, um die es im zweiten Kapitel geht, immer etwas rosiger geschildert haben möchte als sie war, und zwar von einem Einheimischen und nicht von Leuten wie dem Ritter Heinrich von Lang, dessen Memoiren Josef Ruederer zu Recht schätzt und lobt. »Ihn zerriss man gerade nicht in Stücke, aber man tat ihm, was man in Bayerns Hauptstadt jedem tut, der kritisiert und eine halbe Stunde nördlich der Donau geboren ist: man nannte ihn öffentlich einen Preußen, heimlich einen Saupreußen.« Ruederers Kritik richtet sich vor allem gegen den Verfall herkömmlicher Lebensformen und Werte. Die »große, faszinierende Zeit« Ende der Siebzigerjahre des 19. Jahrhunderts, »wo eine Aufführung des Siegfried noch ein Ereignis war, von dem man drei Wochen vorher und drei Wochen nachher sprach«, ist 1907 längst vorbei – »heute, wo die Eintrittspreise ums dreifache teurer sind und die Aufführungen aufs dreifache schlechter«.
Der Münchner Bürger, dem Ruederers drittes Kapitel gilt, geht schon auch einmal in den Kunstverein – natürlich ohne dort ein Bild zu kaufen. Viel wichtiger aber ist es ihm, beim Salvator auf dem Nockherberg seine »Spezln« zu treffen. Und weil nicht nur die Kunstferne dieses von Carl Spitzweg wohl am treffendsten porträtierten Münchners unüberwindbar scheint, schiebt Ruederer im folgenden, merkwürdigerweise »Die Landschaft« betitelten Abschnitt eine veritable apokalyptische Vision ein: Wenn »Unglaube, frecher Übermut, Sittenlosigkeit und Gottesleugnung« überhandnehmen, wird das erschreckliche Untier, das den Walchensee umklammert hält, seinen Schweif strecken, der Kesselberg wird bersten und eine »neue Sintflut« wird über Bayerns Hauptstadt hereinbrechen. Seinen darob wahrscheinlich ungläubig den Kopf schüttelnden Lesern aber sagt der Autor: »Und wenn man das Allerunglaublichste behauptet, zum Beispiel, dass augenblicklich in Deutschland vernünftig regiert wird, dann müsst ihr ebenso daran glauben, als wenn ich den Walchensee ausbrechen lasse.«
Da hat man den selbstironischen Ruederer, den literarisch-feuilletonistischen Polemiker, der im nächsten Kapitel behauptet, ganz anders als das Berliner Theaterpublikum schlucke das Münchner wirklich alles hinunter und wiederhole nur immer wieder: »Besser wie im Schauspielhaus wird nirgends gespielt.« Was der Münchner von 1907 wohl wirklich geglaubt hat – denn Preußens Hauptstadt besucht er äußerst selten, und wenn er’s doch tut, geht er keinesfalls ins Theater: »Der Münchner weiß, dass der Berliner von Kunst nichts versteht.« Dem bürgerlich-wohlhabenden, kunstfernen und klatschsüchtigen München seiner Zeit gilt Ruederers bissige Kritik. Für die Dichtkunst hätten seine Bewohner noch nie viel übrig gehabt, schreibt Ruederer – und wenn, dann höchstens für Ludwig Thoma, den man gern lese, weil seine Schriften niemals verletzend wirkten und er doch so schön auf die Preußen schimpfen könne. Echte Kritik ist das nicht: »Vor Thoma verbeugt sich Ruederer im München-Buch, nicht ohne kleinere Seitenhiebe«, schreiben die Herausgeber in ihrem luziden Nachwort.
Nach ausführlicher Kollegenschelte – zwei, drei Ausnahmen gibt es – kommt Ruederer dann ausführlich auf die Neuesten Nachrichten zu sprechen, die Zeitung, die den »Weißwurstphilistern« allzu oft nach dem Munde redet: »Die ewige Sucht, es allen recht zu machen, die allgemeine Schmuserei, das behäbige Gwapplhubertum … Man ist ja in München, man steckt mitten drinnen im angestammten Spezltum, das sich überall breitmacht, das alles vergiftet, das alles Werdende mit seiner fetten Duzbrudersauce übergießt und jeden ehrlichen Gegensatz auflöst in einen großen, molligen Schnadahüpfl-Akkord.«
Auf der Auer Dult, wo man die Bücher eines gewissen Josef Ruederer für zehn oder fünfzehn Pfennig verhökert, lässt der Autor sein München mit einer bemerkenswert selbstironischen Geste ausklingen: »Das Buch über München ist gut, es ist zum Schieflachen. Ob er recht hat, der wackere Antiquar mit seinem ehrenden Nekrologe? Ob mein Buch wirklich gar so zum Lachen reizt? Ob es gut ist?« Richtig enden aber lässt Ruederer seine Schrift auf dem Turm des Alten Peter, mit einem liebevollen, nicht ganz ernst gemeinten, auf jeden Fall aber alles Kritische entschlossen zur Seite schiebenden Rundblick auf seine Vaterstadt: »Mag die bayrische Regierung noch so fromm werden, mag der Landtag den letzten Groschen nur noch für Heugabeln verwenden oder für Rosenkränze, mögen die Künstler selber die größten Dummheiten begehen – diese Luft können sie alle zusammen nicht umbringen. Und der Polyp im Norden mit den großen Fangarmen kann sie nicht nachmachen.«
Eine zornige, bissige, ätzende Liebeserklärung an das München der Prinzregentenzeit hat man da gelesen – wenn man denn so weit gekommen ist! Denn diese Liebeserklärung ist zuallererst eine von gestern. Sicher, den vom Autor umkreisten »Grundfehler des Münchner Lebens«, dass nämlich einfach »zu viel gelobt« wird, wie Josef Hofmiller 1907 schrieb, den gibt es womöglich auch heute noch, und man darf und muss ihn immer wieder kritisieren. Doch selbst wenn das notorische Spezltum oder die klatschinteressierte Literaturverachtung im heutigen Munich noch lebendig sind – aktuell kann man Ruederers Schrift wirklich nicht nennen, und populär wird sie auch durch diese schöne Neuausgabe nicht werden. Wie denn auch?
Heutige München-Lektüre ist vor allem Lesearbeit. Selbst wenn man Experte für die Sozial- und Kulturgeschichte Münchens ist und einem Namen wie Otto Julius Bierbaum, Frank Wedekind, Max Halbe oder sogar Ernst von Possart durchaus geläufig sind, wird man nicht alles auf Anhieb verstehen. Das Buch ist derart eng an die Zeit seiner Entstehung gebunden, dass es sage und schreibe einhundertundacht oft längere Fußnoten braucht, um dem Text einigermaßen folgen zu können. Dazu kommen die oft willkürliche, durchwegs inkonsequente »Faction«-Mischung und der unkonzentriert fahrige, alles andere als elegante Erzählstil – die legitime Empfindung Leo Greiners, »dass hier etwas gestaltet wurde«, bleibt einigermaßen rätselhaft. Für die Herausgeber ist es gerade der »hohe Grad an Authentizität«, der Ruederers Buch weiterhin lesenswert macht: »Die Widersprüche der Stadt, die Zerrissenheit des Autors und ihre Spiegelungen ineinander sind nicht geglättet.«
Das ist zwar durchaus richtig, macht den Text jedoch nicht unbedingt lesenswerter. Immer drauf auf den bierseligen Spießbürger, zwei witzige Bemerkungen hier, drei originelle Neologismen dort, dazu eine Prise Selbstreflexion – das reicht nicht wirklich aus, um mit den Großen der bayerischen Literatur mithalten zu können, mit einer Marieluise Fleißer etwa oder einem Ödön von Horváth. Dass Josef Ruederer zu keiner Zeit aus dem Windschatten Ludwig Thomas treten konnte, dürfte nach der Lektüre seines München eigentlich niemanden besonders wundern. Tut es aber offenbar doch, wie die Rückseite der Neuausgabe zeigt. Moderne Schreibe hin oder her, offene Form oder СКАЧАТЬ