Der Moloch. Jakob Wassermann
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Название: Der Moloch

Автор: Jakob Wassermann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788711488287

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СКАЧАТЬ mitlesen konnte, was Specht murmelnd vorlas. „An den Landesadvokaten Dr. Steinbacher. Ohne die Frage zu entscheiden, ob Samuel Elasser in dieser Angelegenheit als Privatbeteiligter anzusehen sei —“

      „Was heisst das?“ unterbrach Arnold.

      „Das? Das ist ein Schnörkel, den niemand auf Gottes Welt verantworten kann. Es ist nämlich nicht entschieden, heisst das, ob es den Glasser etwas angeht, wenn ihm sein Kind gestohlen wird. Also weiter . . . anzusehen sei, wird die Einsichtnahme in die Akten betreffs der Sache Jutta Glasser verweigert, weil wichtige Gründe dem im Wege stehen. Das Landesgericht in Strafsachen.“ Specht faltete seinen Zettel wieder zusammen.

      „Wichtige Gründe?“ fragte Arnold, der immer noch nicht völlig glauben wollte und keiner Lüge auf den Grund zu kommen fähig war. Fassungslos schaute er dem Lehrer ins Gesicht, und allmählich begriff er selbst, dass diese wichtigen Gründe in den zwei Worten bestanden, die sie vorgeben sollten.

      „Nun spüren Sie den Atem unserer Welt“, sagte Specht mit Bitterkeit. „Heute war ein Herr von Gröden bei mir, Gerichtsadjunkt in Lomnitz. Er sollte sich im Auftrag der Regierung über die Stimmung unterrichten, die unter den Gutsbesitzern für oder gegen die ganze Geschichte herrscht. Ich habe ihm ein Licht aufgesteckt, ich habe unter anderm auch von Ihnen gesprochen. Aber glauben Sie denn, dass das etwas nützen wird? Nicht einen Pfifferling. Die grossen Herren tun, was sie wollen, und der kleine Jud mag sehen, wie er zu seinem Recht kommt. Wir beide werden es nicht erleben.“

      Arnold hörte das alles nicht. Er stand und schien zu überlegen, welchen Weg er zu nehmen habe, um nicht einem furchtbaren Gespenst in die Arme zu laufen, das aus der Nacht emporstieg.

      Langsam und ohne Gruss entfernte er sich von Specht. Er hatte kaum ein paar Schritte zurückgelegt, so holte ihn der Lehrer ein.

      „Ich sage Ihnen adieu, ich reise morgen früh“, sagte Specht. „Ich möchte Sie um einen grossen Gefallen bitten“, fügte er mit unsicherer Stimme hinzu und zog ein braunes Kuvert aus der Manteltasche. „Wollen Sie zu Hankas gehen und dies Beate geben? Nur ihr selbst und wenn niemand sonst dabei ist —? Wollen Sie das? Und grüssen Sie Agnes Hanka noch besonders von mir.“

      Arnold nickte und nahm das Ding in Empfang.

      „Und nun, Liebster, leben Sie wohl!“ sagte Specht, indem er Arnold die Hand gab. „Sollte Sie das Geschick einmal dorthin führen, dann wissen Sie, wo Sie einen Freund haben. Leben Sie wohl, Arnold! Von Ihnen scheide ich am schwersten.“ Schnell wandte er sich ab und ging.

      Als Arnold nach Hause kam, entfiel dem offenen Kuvert der Inhalt. Es war die Photographie Beates; auf dem Bilde stand: Zur Erinnerung an den herrlichen 7. Oktober. Obwohl von ländlicher Unvollkommenheit, war das Porträt doch ähnlich; das Gesicht über dem nackten Hals und den halbentblössten Schultern hatte einen unschuldigen und süssen Ausdruck. Wie Sterne unter dunklen Torbogen traten die Augen unter den Linien der Brauen hervor. Arnold konnte eine Empfindung der Seringschätzung nicht unterdrücken, die Maxim Specht galt, dem so rachsüchtig offenen Kuvert und der Wichtigkeit, die der Lehrer all diesem beimass.

      Seine angstvollen und heissen Gedanken waren ganz woanders, und er bemerkte gar nicht, dass die Mutter, schweigsam und bleich auf dem niedrigen Sofa liegend, dumpf vor sich hinstöhnte.

Elasser

      Dreizehntes Kapitel

      Alexander Hanka hatte grosse Spielverluste erlitten. Als er eines Sonntags mit Entschlossenheit an eine Berechnung ging, erschrak er vor der Schmälerung, die sein Vermögen erlitten hatte, und vor dem Zeugnis, das sich wider ihn selbst und die verbrachte Zeit erhob. Damit verband sich die Galerie tausendmal gesehener Gesichter, tausendmal passierter Gassen und Plätze, tausendmal berührter Gegenstände, tausendmal gesprochener gleichgültiger Worte, tausendmal gedachter, kraftloser Gedanken. Jede Nacht, wenn er sich entkleidete, träumte er von einem zu fassenden Entschluss; irgendein Geschehnis winkte in weiter Ferne. Am andern Tag rollte er wieder auf den blanken Schienen der Gewohnheit durch dieselben Stationen wie am Tag vorher.

      Unwillkürlich begannen seine Gedanken sich zu erheben und flatterten aus der Stadt wie Schmetterlinge, die ihre Raupenhülle verlassen. Die Einsamkeit einer Wüste dünkte ihm erträglich gegenüber der Einsamkeit in dem Häusermeer. Im Geiste sah er sich wieder in dem mährischen Örtchen, und sein Herz schuf sich Landschaften von eigenwilliger Art: langgestreckte Hügel, mit Nadelwald bestanden; ein trauriger glatter Fluss, der zu müde schien, um zu fliessen; zwischen dunklen Wiesen eine lange, schmale Landstrasse wie ein gelbes Band; tiefe, stille Gräben, mit Heckenrosen angefüllt; nüchterne, schattenlose, geräuschlose Dörfer.

      Er erinnerte sich freilich, dass es längst Winter war, auch dort draussen. Dennoch behaupteten jene Bilder ihren Reiz, als hätte seine Ahnung sie unter der Schneedecke zu verschönen vermocht. So reiste er, ohne Agnes zu benachrichtigen, denn er liebte nicht Mienen, die zum Empfang vorbereitet waren. Unzufriedenheit bemächtigte sich seiner während der Fahrt. Ihm schien, eine innere Macht wolle ihn warnen oder zurückhalten. Die fremden Gesichter um ihn her, die Langeweile, Neugierde und Sattgegessenheit verrieten, erbitterten ihn. Ein kleiner Mensch mit einer seltsam zugestutzten Kakadufrisur sprach unablässig über die Mehlbörse. Niemand hörte zu, niemand antwortete, so dass sein Reden dem lästigen Gesummse einer Biene glich. Voller Verdruss suchte sich Hanka durch die Betrachtung der schneeblauen Landschaft zu zerstreuen, dann zog er schon gelesene Briefe aus der Tasche und las sie wieder. Einer belustigte ihn, der in dem neckisch-empfindsamen Ton der grossen Welt gehalten war, eigentlich keinen Inhalt hatte, aber vieles bestocherte wie mit einer Nadel. Hanka schmunzelte und sah seine Freundin leibhaftig vor sich stehen, die zierliche, kleine, ruhelose Natalie.

      Agnes wurde bleich, als die lange Gestalt ihres Bruders unter der Küchentüre auftauchte. Mit zitterndem Arm griff sie nach der Lampe, um zu sehen, ob er es denn wirklich sei. Hanka lachte, riss seine schwarzen, stumpfblickigen Augen auf und starrte mit komischer Schwärmerei den Apfelkuchen an, der neben dem Herde lag. Jetzt lachte auch Agnes, als sie ihn so fand, wie sie wünschte, und mit seiner Ankunft nicht den Gedanken eines Unheils zu verbinden brauchte. Auch Beate kam; Hanka war betroffen durch ihren Anblick. Sie war blass; ihre Bewegungen waren verhaltener, wenn sich auch in einem Achselzucken oder einem Lachen wie sonst ein bäurischer Zug zeigte. Aber in wenigen Wochen schien sie gereift und abgeschliffen. Ihr Lächeln war prüfend, ihre Art, sich umzudrehen, den Kopf zu erheben, mit einem Ruck eine lauschende Stellung anzunehmen, war, obwohl rasch und temperamentvoll, so doch frauenhaft. Sie hatte etwas Besonderes angenommen, so kam es Hanka vor; eine Prägung, die sie von allen andern auf den ersten Blick unterschied. Er blieb den Abend über schweigsam, doch galt es schon nach der ersten Stunde für ausgemacht, dass er einige Wochen bleiben würde. Er brauche Ruhe, sagte er. Agnes freute sich auf ihre schüchterne Weise in sich hinein; Hanka wurde aufmerksam durch Beates eigentümliches Benehmen. Sie erhob sich oftmals vom Tisch und ging auf und ab, suchte ihr Gesicht zu verbergen, sich den Anschein einer Gleichgültigen zu geben, doch zitterte sie vor Unruhe und Ungeduld. Bisher war sie allabendlich um diese Stunde entwischt. Agnes ging sonst früh zu Bett, und die Mahlzeit war kurz. Nun sollte sie warten; auf dem Herd wurde noch gekocht, und bis gegessen war, mochte es spät werden. Sie wollte nicht unvorsichtig sein und ging umher, Wut und Hass im Innern, brennend vor Begierde, einen Plan nach dem andern erwägend und im Geist durch Schnee und Kälte zur Scheune des Randomirschen Gutes eilend. Klugheit und Rücksicht entschwanden mit dem Vorschreiten der Stunde; langsam verliess sie das Zimmer, als könne sie auch ebensogut bleiben, und ein verwilderter Ausdruck trat in ihrem Gesicht hervor, als sie draussen hastig Kapuze und Mantel umlegte. Sie lief an den Ort der Zusammenkunft, um Aufschub zu erbitten, durch eine flüchtige Liebkosung Sicherheit zu geben, denn Furcht bewegte sie noch mehr als Liebe.

      Hanka war ihre Abwesenheit nicht unerwünscht. Argwohn lag weit von ihm; eher vermutete er etwas für Beate Günstiges und für ihn selbst Angenehmes. Im Grunde sah er das, was er aus ihr hatte СКАЧАТЬ