Название: Gesammelte Werke
Автор: Ricarda Huch
Издательство: Bookwire
Жанр: Философия
isbn: 4064066388829
isbn:
Es konnte Erasmus nicht schwerfallen, eine Menge von Schriftstellen anzuführen, wo Gott die Menschen zum Befolgen seiner Befehle auffordert und ihnen Lohn oder Strafe verheißt, und Luthers Erklärung, daß Gott in diesen Fällen ironisch zu den Menschen spreche, um ihnen ihr Unvermögen so recht zum Bewußtsein zu bringen, klingt wie eine etwas alberne oder dreiste Ausflucht. Andererseits konnte Luther aus der Schrift nachweisen, daß Gott nach Belieben Menschen zum Heil oder zur Verdammnis erwählt ohne ihre Schuld oder Verdienst. Auch aus der Schrift kann man sowohl auf Freiheit wie auf Notwendigkeit schließen, sowohl auf die vollständige Abhängigkeit des Menschen von einem unerklärbaren, ja dem menschlichen Gerechtigkeitsgefühl widerstreitenden Willen Gottes wie auf die Freiheit des Menschen, das Gute zu erstreben und sich strebend Gott zu nähern. Konnte aber Luther die Beweisführung des Erasmus nicht überall entkräften, so hatte er doch recht, wenn er Erasmus vorwarf, daß er von Religion nichts verstehe. Für Luther war Gott der Gott, dessen Wege hoch über den Wegen der Menschen sind, der Gott, den er anbetet, ob er ihn begnadet oder zerbricht. Seine Unterscheidung zwischen dem geoffenbarten und dem verborgenen Gott, womit er das Unlösbare löste, erinnert an die Gedanken des Cusa, daß Gott mit nichts Irdischem vergleichbar ist, daß er sich aber dem Menschen, seiner Schwäche wegen, im Gleichnis offenbart; sie zeigt seine Ahnung von der alles menschliche Begreifen hinter sich lassenden Größe des göttlichen Wesens. Es ist das Außerordentliche an Luther, daß er diese Unzugänglichkeit des verborgenen Gottes wissen und zugleich den offenbarten Vater Gott so kindlich, so stürmisch lieben konnte.
Erasmus sah einen ungerechten Vorwurf darin, daß er nicht religiös sei; er glaubte ja an Gott und auch an die Abhängigkeit des Menschen von Gott, nur um die Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen zu retten, billigte er ihm die Fähigkeit zu, der göttlichen Gnade ein wenig entgegenzukommen. In Luthers Augen war das eine unwürdige Schiebung; er fragte nicht, wie grausam die Wahrheit sei. Er selbst war grausam in der Schrift de servo arbitrio, vom verknechteten Willen, mit der er die des Erasmus erwiderte. Seine Sätze stürmen wie Geharnischte mit Schwertern auf den Gegner ein, bedrängen ihn von allen Seiten, entwaffnen ihn, werfen ihn nieder. Sie gönnen sich und ihm keine Ruhe, bis er am Boden liegt; erst als sie den Fuß auf seine Kehle setzen, überkommt sie ein Erbarmen. Etwas Hartes, Blankes und Strahlendes ist in dieser Schrift Luthers wie kaum in einer anderen, sowohl in ihrem Angriff wie in der Verherrlichung Gottes. Es ist, als mache sich hier ein Widerwille und ein Gegensatz Luft, der lange aus Rücksichten der Klugheit zurückgehalten war.
Erasmus fühlte sich keineswegs überwunden, vielmehr in seinen Ansichten bestärkt. Er war nun überzeugt, daß Humanität, Sittlichkeit, Licht, Weisheit auf seiner Seite seien. Seine überlegene Haltung als freigeistiger Aufklärer mußte er allerdings nun aufgeben, und er grollte Luther doppelt, daß sein Abfall von der Kirche ihn gezwungen hatte, sich mit den Dunkelmännern zu vergleichen; aber er tröstete sich damit, daß das Joch des Papstes immerhin leichter sei als das Luthers und daß die Mehrzahl der Humanisten seinem Beispiel folgte. Das Einströmen der Volksauffassung in das Luthertum machte sich bereits in einer flachen Bildungsfeindschaft bemerkbar, die Luther, dem tiefsinnigen, keinem Problem ausweichenden, ganz fernlag, die sich aber doch insofern auf ihn berufen konnte, als er die Religion hoch über die Wissenschaft stellte, als er die Anmaßlichkeit der Wissenschaft und des Verstandes oft verspottete, und als er zu betonen liebte, daß ein Kind die Heilige Schrift verstehen könne, dieselbe Schrift, um deren Auslegung sich fromme und gelehrte Männer um die Wette bemühten. Die neidische Gereiztheit der Ungelehrten gegen Wissen und Wissenschaft war die Ursache, daß beschränkte Menschen glaubten, die Stunde sei gekommen, wo sie durch bloßen Glauben die gelehrten Denker übertrumpfen könnten, deren hochtönender Kram eigentlich nichts wert, hohl und entbehrlich sei. Es kam vor, daß wirrköpfige Leute ihre Bücher aus dem Fenster warfen, weil man ohne Studium unmittelbar von Gott belehrt werden könne.
Luther nannte sich selbst mit einem gewissen fröhlichen Nachdruck den Barbaren gegenüber dem feingebildeten Erasmus; aber wie wenig er seine Deutschen in Barbarei zurücksinken sehen wollte, beweist der schmerzliche Zorn, mit dem er ihnen vorhielt, daß sie immer Bestien blieben und ihre Kinder nicht zur Schule schickten. Mit väterlich herzlichem Ernst ermahnte er die Städte, da die mit Trinken und Jagen beschäftigten Fürsten doch keine Zeit dazu hätten, Schulen zu gründen, damit die liebe unschuldige Jugend, Knaben und Mägdlein, zu Christen herangebildet werde. Denn eben zu Christen wollte er sie erzogen haben, und das waren die Ritter gegen Tod und Teufel, die auch in den alten Sprachen und in der Geschichte erfahren sein müßten, um die Irrlehrer zu bekämpfen. Daran dachte Erasmus nicht, wenn er die Pflege antiker Bildung empfahl. Überhaupt dachte er nicht, wie Luther, an das Volk, sondern an eine Schicht von Gebildeten, die alle Nationen umfaßte, der das Licht des Humanismus aufgegangen war. Im Augenblick schien Luther gesiegt zu haben; aber wenn es Erasmus verbitterte, daß er, der kürzlich noch von allen Strebenden und allen die zu den geistig Erlesenen gehören wollten, Vergötterte, von Luther in den Schatten gedrängt wurde, so hätte ihn das Bewußtsein trösten können, daß mehr ihm als Luther die Zukunft gehörte.
Sickingens und Huttens Ende
Trotz des Wormser Edikts breitete sich die Lutherische Ketzerei aus. In Antwerpen, wo Karl V. Landesherr war, wurden Luthers Schriften verbrannt; anderswo wurden sowohl seine wie zahlreiche im selben Sinn verfaßte Flugschriften fortwährend gedruckt und verkauft. In manchen Städten waren die Ratsherren, welche sie einzogen, ihre eifrigsten Leser. Der Handel mit ihnen war so einträglich, daß viele Drucker nur zu solchen Lust hatten und die katholischen ablehnten. Allerdings war es nicht gefahrlos, sich für die neue Lehre einzusetzen. Die Prädikanten, wie von katholischer Seite die lutherischen Priester genannt wurden, führten ein gefährliches Leben, wurden im besten Falle ausgewiesen, oft eingekerkert. Von den Priestern, die sich verheirateten, starb einer im Gefängnis. Wiederum fanden sie bei einzelnen Fürsten und Herren Schutz und Unterkunft. Besonders nachdrücklich und mit der ihm eigentümlichen Großartigkeit übte Franz von Sickingen die Gastfreundschaft aus. Seine beiden Burgen Landstuhl und Ebernburg waren nicht so unwirtlich, wie es die des eigentlichen Mittelalters waren; besonders die Ebernburg war behaglich und reich in dem modernen, aus Italien eingeführten Geschmack eingerichtet. Wenn im Herbst und Winter der Sturm um die Zinnen pfiff und aus der Taltiefe die Wälder hinaufrauschten, konnten die beiden Freunde, Sickingen und Hutten, am Kamine sitzend, in dem Pochen und Rütteln die nahende Revolution zu hören vermeinen und die Augenblicke noch währender Sicherheit innigst genießen. Jeder war Gast des anderen, Sickingen gab sein Haus und seinen Schutz, Hutten gab die Früchte seines Geistes. Es war wundervoll für Hutten, einen gereiften Mann zum Schüler zu haben, der mit der Frische eines Kindes aufnahm und in die neue Betrachtung der Welt getane und künftige Taten einzuordnen hatte. Sickingen hatte bisher für die Größe seines Hauses und seines Standes gekämpft, aber immer den Drang gehabt, einen höheren Gehalt in seine weltlichen Zwecke zu legen. Nun lernte er ein Höchstes СКАЧАТЬ