Название: Exportismus
Автор: Andreas Nölke
Издательство: Bookwire
Жанр: Изобразительное искусство, фотография
isbn: 9783864898228
isbn:
Die im internationalen Vergleich besondere Ursache für den Einbruch der deutschen Wirtschaft während der Corona-Krise liegt in den Exporten. Die deutsche Wirtschaft ist extrem exportlastig, ihre Abhängigkeit vom Außenhandel ist wesentlich stärker als jene aller anderen großen Industrieländer. Da die meisten der wichtigsten Absatzländer für die deutschen Produkte in der Corona-Krise stärker eingebrochen sind als Deutschland, konnte das Rettungspaket die Wirtschaft nicht grundlegend stabilisieren, obwohl es stark auf die Unterstützung der Industrie ausgerichtet war.
Um die extreme Exportlastigkeit der deutschen Wirtschaft zu verstehen, bietet sich besonders die Differenzierung verschiedener nationaler Wachstumsmodelle an. Aus dieser Perspektive hat sich die deutsche Ökonomie in den letzten Jahrzehnten zu einem Wirtschaftsmodell entwickelt, in dem Wachstum weit überproportional von Exporten abhängt.
Auch politisch dominiert in Deutschland eine breite soziale Koalition, die sehr stark auf das Exportmodell ausgerichtet ist. Dementsprechend war das Rettungspaket auch besonders darauf ausgerichtet, die Industrie zu unterstützen. Die politisch schwächer organisierten Verlierer der Corona-Stabilisierungsmaßnahmen finden sich vor allem in den Binnensektoren, von den kleinen Selbständigen über eine Vielzahl von Dienstleistern bis hin zu den Kulturschaffenden.
Auch unabhängig von diesen sehr problematischen Verteilungswirkungen in der Corona-Krise stellt sich die Frage nach der Zukunft des deutschen Export-Wirtschaftsmodells. Bereits vor Ausbruch der Pandemie befand es sich in der Krise. Durch die Schwächung unserer Exportmärkte wird sich diese Krise vertiefen. Es steht daher zu befürchten, dass die extreme Exportlastigkeit sich in Zukunft noch mehr als Achillesferse der deutschen Wirtschaft herausstellen wird. Das gilt umso mehr, als Deutschland auf Wirtschaftskrisen und wachsende Arbeitslosigkeit in der Vergangenheit regelmäßig mit einer noch weiteren Intensivierung des Exportmodells reagiert hat, insbesondere durch Lohnmäßigung und Kostensenkung (Kapitel 5).
Auch nach Überwindung der Corona-Krise ist mit einer Intensivierung des Exportmodells zu rechnen, insbesondere über eine schnelle Reduktion der stark gewachsenen staatlichen Defizite durch Austerität (begrenzte öffentliche Ausgaben) sowie über den Verzicht auf Lohnerhöhungen. Gesamtmetall hat im Oktober 2020 schon einmal mitgeteilt, dass höhere Löhne weder dieses noch nächstes Jahr realistisch und stattdessen Mehrarbeit ohne vollen Lohnausgleich geboten seien.
Da Austerität und Lohnverzicht in der Zukunft aber genau der falsche Weg wären, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um eine grundlegende Debatte über die Ausrichtung des deutschen Wirtschaftsmodells zu führen.
Deutschlands Gesundheitssystem in der Corona-Krise
Aber fangen wir in der Gegenwart an: Ein Vergleich zwischen der gesundheitlichen und der ökonomischen Auswirkung der Corona-Krise verdeutlicht exemplarisch, wie stark die Exportlastigkeit der deutschen Wirtschaft für deren aktuelle Krise verantwortlich ist.
Die Exportlastigkeit ist kein neues Phänomen und sie ist auch nicht nur im Kontext der Corona-Krise ein gravierendes Problem, sondern seit einigen Jahrzehnten. Aber die Entwicklung während der Corona-Krise zeigt die Probleme der deutschen Wirtschaft besonders anschaulich und aktuell.
Im Vergleich zu den europäischen Nachbarländern waren die gesundheitlichen Folgen der Corona-Krise – während deren ersten Welle (Frühjahr 2020) – in Deutschland relativ milde. Die Anzahl der Infizierten in Relation zur Bevölkerung war im europäischen Vergleich gering. Noch geringer fielen die Todeszahlen in Relation zur Bevölkerung im Vergleich zu anderen europäischen Ländern aus. Deutschland ist nach diesen Indikatoren in der ersten Welle weitaus weniger von der Krise getroffen worden als beispielsweise Belgien, Großbritannien, Spanien, Italien, Schweden, Frankreich oder die Niederlande, so eine Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der Privaten Krankenversicherungen (WIP) aus dem Juli 2020.
Erreicht wurden die geringeren Fallzahlen vor allem – neben dem Glück einer Vorwarnung durch den früheren Ausbruch in Ländern wie China, Italien und Spanien – mittels eines vergleichsweise gut finanzierten Gesundheitssystems, nicht durch einen härteren Lockdown als in den Nachbarländern. Das deutsche Gesundheitssystem ist im europäischen Vergleich relativ solide ausgestattet, auch wenn selbst in Deutschland bereits vor der Corona-Krise große Teile des Pflegepersonals und der Ärzte am Rande ihrer Kapazität arbeiteten.
Nach Indikatoren wie der Anzahl der Krankenhaus- oder der Intensivbetten auf 100 000 Einwohner liegt Deutschland nach der WIP-Studie europaweit vorne, in Bezug auf die personellen Kapazitäten immer noch über dem Durchschnitt. Gerade in Ländern wie Griechenland, Italien und Spanien hatte die von den europäischen Institutionen seit der Eurokrise vorgegebene Sparpolitik zu erheblichen Kürzungen geführt. Nur in Bezug auf die Arbeitsbelastung ist die Situation in Deutschland im europäischen Vergleich ausgesprochen kritisch – aber hier konnten in der Corona-Krise durch Verschiebung nicht akuter Operationen erhebliche Kapazitäten freigesetzt werden.
Der Lockdown war (zumindest in der ersten Welle der Krise bis Mai 2020) in vielen Nachbarländern härter als in Deutschland, so die WIP-Studie. Belgien, Frankreich, Italien und Spanien beispielsweise hatten wesentlich gravierendere Einschränkungen. Der Lockdown begann in den Nachbarländern auch früher, insbesondere in Italien. Dort wurde am 21. März 2020 die Stilllegung aller nicht direkt lebensnotwendigen Betriebe verordnet, während in Deutschland nur Teile des Einzelhandels, die Gastronomie und einige Dienstleistungssparten betroffen waren; die deutsche Industrie hingegen durfte weiter produzieren.
Die Maßnahmen der Bundesregierung zur wirtschaftlichen Stabilisierung
Obwohl Deutschland vergleichsweise milde durch die erste Welle der Gesundheitskrise gekommen ist und auch die Wirtschaft nicht so stark im »Lockdown« eingeschränkt hat wie viele andere Länder, hat die Bundesregierung umgehend ein präzedenzlos umfangreiches Bündel von Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft in der Corona-Rezession vorgelegt.
Zu diesem ersten Paket (»Corona-Schutzschild für Deutschland«) gehören als wichtigste geplante Ausgaben zunächst 100 Milliarden Euro für staatliche Beteiligungen, 23,5 Milliarden für die Verlängerung des Kurzarbeitergelds (in 2020) und 18 Milliarden Soforthilfen für kleine Unternehmen (maximales Budget 50 Milliarden, allerdings bis November nur zum kleinen Teil abgerufen).
Im Juni 2020 wurden im Rahmen eines Konjunkturprogramms als wesentliche zusätzliche Maßnahmen Überbrückungshilfen für mittelständische Unternehmen (25 Milliarden) und eine vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer (20 Milliarden) hinzugefügt, neben einigen kleineren Maßnahmen wie einem Kinderbonus oder einer Senkung der Stromkosten. Das Gesamtvolumen der geplanten Ausgaben aller staatlichen Ebenen in beiden Paketen beziffert der Brüsseler Thinktank Bruegel mit 284 Milliarden Euro.
Hinzu kommen umfangreiche Garantien für Kredite, insbesondere 400 Milliarden für direkte staatliche Garantien und 356 Milliarden über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Ergänzt werden sowohl Ausgaben als auch Garantien des Bundes durch Maßnahmen der Bundesländer, mit einem Volumen von 18 (Ausgaben) beziehungsweise 75 Milliarden Euro (Garantien). Das Gesamtvolumen der Garantien aller staatlichen Ebenen liegt nach Bruegel bei 832 Milliarden Euro. Hinzu kommen noch etwa 250 Milliarden an Steuerstundungen; letztere können aber nur sehr grob geschätzt werden.
In einer europäischen Vergleichsstudie von Bruegel ragt das deutsche Paket in Bezug auf sein Finanzvolumen (zumindest bis zum Herbst 2020) deutlich heraus. Das direkte deutsche Fiskalpaket (also staatliche Ausgaben) СКАЧАТЬ