Spitzenreiterinnen. Jovana Reisinger
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Название: Spitzenreiterinnen

Автор: Jovana Reisinger

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783957324863

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СКАЧАТЬ und wirft im nächsten Moment die Schale einfach rechts neben sich, direkt auf den Tisch der nichts ahnenden Familie.

      Der Vater bekommt einen Spritzer ins Gesicht, blinzelt, greift erhaben nach der Serviette, reinigt sich und sagt anschließend laut genug, um durch die Spannung des Restaurants zu peitschen: »Kinder, schaut sie euch an, diese Frau ist verrückt.«

      Verrückt. Ich bin verrückt. Stille.

      Was er demonstrieren möchte: Schaut, der Mann weiß sich zu beherrschen, die Frau nicht. Schaut, ich stehe drüber. Ich lass mich nicht so einfach provozieren. Seine Frau betrachtet ihn, als wäre er ein Gespenst. Sie ist in Alarmbereitschaft.

      Lisa steht auf und geht unter strenger Beobachtung zur Toilette. Verrückt, krankhaft, deppert, dumm, pervers, schwachsinnig, anormal, lächerlich, geistesgestört, meschugge, damisch, idiotisch, wahnsinnig, irre, unzurechnungsfähig, unfähig, dumm, hässlich, unbrauchbar, unzulänglich. Wann ist sie all das geworden? Wer hat sie zu all dem gemacht? Sie fühlt sich schuldig. Immerzu möchte sie sich entschuldigen. Der Klügere gibt nach. Pardon, die Klügere gibt nach. Dabei trägt sie keine Schuld.

      Sie betrachtet sich im Spiegel. Hält ihre Handgelenke unter das kalte Wasser, Kreislauf stabilisieren. Ich bin schuld. Ich bin nicht schuld. Nein, ich bin nicht schuld daran. Dass mir das passiert ist, ist nicht meine Schuld. Niemand ist schuld daran.

      Das Wasser kühlt ihre Hände, kühlt ihren erhitzten Kopf. Schritt für Schritt. Hände trocknen. Zähne im Spiegel kontrollieren. Kräuter aus den Zahnzwischenräumen entfernen. Handtasche aufmachen. Gut, alles dabei. Neu anfangen.

      Sie tupft sich das Gesicht mit diesem angenehm weichen Handtuch ab, zieht ihr Make-up nach, kaschiert – zum ersten Mal an diesem Tag – ihre Augenringe, tuscht ihre Wimpern, trägt Rouge auf und sogar Lidschatten, nimmt den zart rosafarbenen Lippenstift. Sie betrachtet sich. Der Selbsthass weicht aus ihrem Körper. Sie kann tief einatmen. Ihr Brustkorb löst sich, und mechanisch korrigiert sich ihre schlaffe Körperhaltung. Ich bin nicht verrückt. Ein letzter Blick in den Spiegel, ich bin nicht hässlich, der Weg zurück zu ihrem Platz, ich bin nicht kaputt, erhobenen Kopfes. Stolzer Gang.

      Ich bin eine Frau. Sie fühlt sich wie ausgewechselt. Ich bin nicht defekt.

      Sie wird beäugt, aber wohlwollend ignoriert. Ihre Erscheinung hat sich gebessert, das lässt die anderen Gäste aufatmen. So, jetzt reißt sie sich zusammen, sehr schön. Lisa fühlt sich frei. Zum ersten Mal seit einer langen Zeit. Vielleicht zum ersten Mal, seit sie die Frau mimt, die sie werden wollte, und jetzt erneut kläglich an der eigenen Vision scheiterte. Eine Frau, das ist ein Mensch, dachte Lisa bisher, die einmal im Monat ihre Periode bekommt, durchschnittlich 456 Mal in ihrem Leben, die Zähne zusammenbeißt, denn das bedeutet bei jeweils fünf Tagen Blutung umgerechnet sechskommazweifünf Jahre Periode am Stück, und mindestens ein Kind zur Welt bringt. Schöner wären zwei, ein Bub und ein Mädchen. Oder Zwillinge. Mehr war es nicht. Es schien so einfach. So natürlich. Etwas, worum sie sich nicht kümmern musste. Etwas, das ihr einfach geschah. Eier, Sperma, Baby.

      Oh, sie hat die Zähne zusammengebissen, und sie hat die Periode bekommen. Sie hat viel Geld ausgegeben. Sie hat auf sich geachtet. Aber das Kind, das Kind kam nicht. Sie hat noch besser auf sich Acht gegeben. Sie hat noch mehr Geld ausgegeben. Doch das Kind verliert sie ein ums andere Mal. Und die Enttäuschung wurde ein ums andere Mal größer. Und die Verletzung unerträglicher und der Mut geringer. Sie ist keine echte Frau, weiß Lisa jetzt sicher, wenn sie kein Leben gebären kann, und als unechte Frau hat sie sowieso keinen echten Platz in dieser Gesellschaft. Sie hat ihn sich weder verdient, noch wird er ihr unter diesen Umständen angeboten. Sie ist gescheitert.

      Nein! Sie schaut sich um. Nein, so einfach gebe ich nicht auf. Zu diesen Menschen will sie nicht gehören. Die schmatzenden Münder, schlürfend, schürzend, lachend, Kräuter zwischen den Zähnen, gelbe Zähne, falsche Zähne, Zahnlücken. Nein! Ich bin nicht schuld. Die Hände, wie sie verkrampft das Glas halten, zum Mund führen, abstellen, wie sie auf dem Schoß liegen, mit dem Telefon spielen, eine andere Hand festhalten, sich am Kopf kratzen. Zu all diesen Händen wollte sie nicht gehören. Der Schmuck. Ohrringe baumeln, Ketten hängen, Uhren blitzen im Licht, Ringe, so viele Eheringe an einem Ort. Lachen, immer wieder dieses Lachen, warum sind die alle so glücklich? Das Lachen gehört nicht zu ihr. Lisa nimmt sich ein kleines, schwarzes Schneckenhaus und betrachtet es ausführlich. Wie unfair, mitsamt dem eigenen Häuschen verkocht zu werden. Traurig.

      »Hmmm, lecker!«

      »Vorzüglich!«

      »Ganz wunderbar!«

      »Es hat mir sehr gut geschmeckt, danke sehr.«

      »Sie haben nicht zu viel versprochen.«

      Diese Wörter. Das sind nicht ihre Wörter, sie will nicht mit diesen Worten angesprochen werden, nicht von den Stimmen. Lisa ist betrunken und angriffslustig. Ihr bisheriges Leben zerfällt mühelos vor ihr, und sie kann nichts dagegen tun. Am Geburtstag verlassen werden, wegen der dritten Fehlgeburt, und das Ganze auch noch am Valentinstag. Wie viel Unglück für eine Person.

      Das kleine schwarze Schneckenhäuschen landet im Haar einer schönen Frau, die einem nicht sonderlich schönen Mann gegenübersitzt und ihn mit ihren perfekten Zähnen anlächelt, während er redet, gestikuliert und dominiert. Die Frau, die kaum zu Wort kommt, hat die Schnecke nicht bemerkt, ebenso wenig ihr Gegenüber. Das ist für das erste Kind. Lisa fühlt sich angestachelt, provoziert. Sie greift nach der nächsten Schnecke und funkelt in die Stube. Ihr Blick verändert sich zu einem abgrundtief bösen. Sie hat alles verloren, was kann sie jetzt noch ruinieren? Dieses Haus landet im Dekolleté einer sehr jungen Frau, mit sehr tiefem Ausschnitt. Die Frau brüllt herüber. Das ist für das zweite Kind. Die nächste Schnecke landet im Cocktail einer Frau, die gerade am Strohhalm saugt und über die Attacke fürchterlich erschrocken ist und sich den Cocktail über den Körper schüttet. Das ist für das dritte Kind.

      »Schau mal, wie die schaut. Die schaut ganz wahnsinnig, so eine macht mir Angst!«

      »Sie hat wahrscheinlich ihre besonderen Tage im Monat. Hahahaha! Da sind die ja immer alle so hysterisch!«

      »Jetzt reiß dich aber zusammen!«

      »Ja, du eh nicht, Schatzi. Hast ja schon Menopause!«

      Lisa ist jetzt bester Laune. Die nächste Schnecke landet in einem Glas. Sie greift nach dem nächsten Häuschen und wirft es in eine Saucenschale. Sie trifft einen Mann am Hinterkopf, der sich anschließend kurz kratzt. Ist das wirklich alles? Alle sind so sehr damit beschäftigt, keine Szene zu machen, kein Aufsehen zu erregen. Lisa braucht jetzt genau das Gegenteil. Sie will Aufmerksamkeit. Sie will im Zentrum der Geschichte stehen. Sie greift mit der Hand nach den letzten Resten ihrer Platte, pult das Fleisch aus den Häuschen, aus den Panzern und steckt sich die Finger tief in den Mund, um sie dann langsam abzuschlecken. Sie wirkt überraschend ordinär und schafft es, bemerkenswert laut zu essen. Die Reste landen auf Tellern, Tischen, in Handtaschen, Blumenarrangements, Dekoartikeln, in Gesichtern, auf Körperteilen.

      »Wieso frisst die Frau so unangenehm?«

      »Die benimmt sich ganz fürchterlich.«

      »Die soll gehen. Das möchte ich nicht anschauen müssen.«

      »Bitte, jetzt tu doch was.«

      »Was soll ich denn tun, die ist halt besoffen. Der kann ich jetzt auch nicht helfen.«

      »Du sollst ja auch nicht ihr helfen, sondern mir. Wie soll ich denn mein Essen genießen?«

      »Ja, СКАЧАТЬ