Festländer und Meere im Wechsel der Zeiten. Wilhelm Bölsche
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Название: Festländer und Meere im Wechsel der Zeiten

Автор: Wilhelm Bölsche

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 4064066109271

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СКАЧАТЬ nicht alles kann so bewältigt werden. Regentröpfchen vereinigen sich zu feinsten Wasseräderchen; die verschmelzen zu Bächlein, der Bach wird zum Fluß. Vieles senkt sich zunächst in die Tiefe des Bodens, durchfeuchtet die innere Feste, bricht aber wieder als Quell vor. Immer aber auch auf der oberen Fläche folgt die rieselnde Welle dem Zwang nach der Tiefe, als Tröpfchen wie als Strom zuletzt rinnt sie abwärts, vom Gebirge zum Flachland, bis sie endlich die eigene Heimat, das Meer, wieder erreicht hat, mit dessen Verdunsten und Verdampfen im Sonnenkuß das rastlose Spiel neu beginnt.

      Nun aber diese Kreisbahn, die vom Standpunkt des Wassers doch immer nur wie eine einfache Wanderschaft erscheinen könnte, die die Dinge im Fluß hält, aber zuletzt nichts ändert, ist von der schier unfaßbar einschneidendsten Bedeutung für das Land selbst. Wie jeder Pilger mit dem Tritt seines Fußes Teilchen von dem Boden abschürft, den er überschritten hat; wie man sagt, daß jeder Heimkehrende etwas Staub der Fremde an den Sohlen mitbringt: so gräbt auch jedes wandernde Wassertröpfchen seine Spur ein und so schleppt auch jedes Tröpfchen sein Stäubchen mit fort. Der fallende Tropfen höhlt zuletzt den Stein. Der Kreislauf der Tropfen aber vom Ozean bis zur Regenwolke, vom Bach bis zum Strom und vom Strom wieder ins Meer, über Jahrhunderttausende immerzu fallend, grabend und fortkarrend, wäscht zuletzt ein ganzes Gebirge zu Tal und trägt die Trümmer als Sand ins Meer.

      Im alltäglichen Naturbilde weiß das jeder: daß jeder Regen Risse in den weichen Boden kerbt und Erdreich mitschwemmt; daß der Bach und der Fluß sich ihr Bett durchweg selber gegraben haben; daß sie Gestein und Schlamm abwärts verfrachten, Steine zu Sand zermahlen und den Sand endlich in unabsehbaren Flächen in ihrem untersten Lauf häufen, bis die Meereswelle ihn zuletzt verschlingt. Wer sich den Blick aber einmal hier geübt hat und ins Gebirge kommt, der muß gewahren, daß auch unsere höchsten Gebirge von heute eigentlich verfallende, zerbrechende Ruinen sind. Von diesen »Ewigkeitszeugen« herab ziehen sich allenthalben die wüsten Schutthalden. Die himmelragenden Zinken sind nahe besehen nur noch verwitterte Restzacken wie an hohlen Zähnen. Die Schneekoppe unseres Riesengebirges, die vor dem Wanderer fern im Tal auftaucht wie ein blauer Dom der Unvergänglichkeit, entpuppt sich beim Aufstieg als ein einiger Scherbenberg, zertrümmert wie ein Lager Töpfe, in das eine übermächtige Faust geschlagen. Das ungeheure Matterhorn in der Schweiz, das aussieht, als habe mit ihm die Schöpfung angefangen, erweist sich nahe auf seine Schichtung geprüft als ein letzter noch stehengebliebener Pfeiler eines ehemaligen kolossalen Gewölbesattels, den das abschätzende Auge sich noch ganz gut in der blauen Luft hinzu ergänzen kann; in Wahrheit liegt er bis auf die eine Zahnecke zermalmt, zermahlen als Schutt im Tal, als Sand im Meer … Keine Hunnen und Vandalen haben so zerstören, keine Kanonen solche Burgen der Natur zerschießen können; aber einer hat es vollbracht: der Wassertropfen. Und nicht nur das Gebirge verfällt ihm so. Wer in der sächsischen Schweiz je durch die schmalen Klammen gewandert ist, in deren Spalt man den Himmel nur noch wie ein dünnes Streifchen erblickt; wer in Adelsberg die schwarzen Wasser sich in unergründlicher Grottentiefe hat verlieren sehen: der ahnt, was auch in der Feste unter unsern Füßen sich abspielt, wie auch dort der Schutt dabei ist, uns zuletzt den Boden fortzuziehen; er ahnt, daß eine Macht der Zerstörung auch den Sockel der Länder annagt, zerschneidet und durchfrißt. Und auch das ist der Wassertropfen, der an allen Wänden der Klamm als Feuchte ausschlägt und in der finstern Grotte von jeder Tropfsteinspitze heruntertickt. Er schürft und karrt nicht bloß. Er sprengt auch, indem er in den Spalten gefrierend sich ausdehnt. Und mit Kohlensäure beladen, schmilzt er den Kalkstein fort wie Salz, zersetzt er chemisch selbst den Granit.

      Man muß eben in jener Adelsberger Karstgegend sehen, was die Kohlensäureschmelzung des Kalks neben der einfachen Schwemmung, Unterwühlung und Spaltung dort nach unten im bodenbildenden Kalkgestein vollbracht hat. In Trichtern senkt sich allenthalben die Bodenfläche ein, in Trichtern bis fast zu Kilometerbreite, schaurige Schlote stürzen senkrecht von ihnen ab, in der Tiefe ist die ganze Feste durchlöchert wie ein Schwamm und unendliche Labyrinthe spinnen sich darin hin, in denen die wühlenden Wasser unablässig schmelzend, nagend, fressend und fortschleppend weiter rauschen. Diese »Brunnen der Tiefe« brauchen nicht heraufzusprudeln, um die Menschen als Sintflut zu verschlingen: unmerklich lösen sie in rastloser Arbeit den Boden selber unter ihnen fort, bis ab und zu bald dieses, bald jenes Haus spurlos von der gähnenden Leere des Abgrundes eingesaugt verschwindet. Oder man muß hoch oben im Granitgebirge der Leidensgeschichte dieses trotzigsten Titanen folgen. Wie die stolzen reinen Züge seiner edeln Stirn verwitternd zu den humoristischen Fratzen abschmelzen, die der Volksmund nicht müde wird, mit Tier- und Teufels- und Gespensternamen zu begaben. Wie er zu losen Kugeln zerfällt, die in ungeheuren Felsenmeeren zu Tal branden gleich Riesenkieseln der leibhaftigen Sintflut und in Wahrheit doch auch nur das Geröll dieser viel zäheren Dauersintflut des fressenden Wassertropfens sind. Bis endlich Ton und Sand die letzte Spur des alten Wolkenwanderers andeuten, wie es in der Dichtung von dem toten Cäsar heißt, daß er, Staub und Lehm geworden, eine alte Wand verklebt.

      Abb. 3. Verwitterung des Granits am sogenannten Mittagsstein auf dem Kamm des Riesengebirges. (Dr. E. Mertens & Cie., phot.)

      Wenn man sich dazu nun noch vergegenwärtigt, daß die Tropfen sich an der Erdoberfläche vielfältig selber zu Riesen auch an wirklicher Größe vereinigen, Ströme und Seen von unabsehbaren Uferweiten bilden; daß sie als Niagara so über den Fels stürzen und mit ganzer Kraft dieses Niagara sich rückwärts in jenen Fels einschneiden; daß der Frost nicht bloß mit Wasserhilfe den Stein sprengt, sondern auch vom Gebirgsschnee den Gletscher herabschiebt, der für sein Teil wieder wie ein enormer Pflug das härteste Gestein bearbeitet, Berge bricht und anderswo häuft und mehr als hausgroße Blöcke auf seinen Eisschultern zu Tal trägt, als sei es ein Kinderspiel; daß immerhin auch die Brandungen und Fluten des Ozeans selbst, von Sturm oder Mondgezeiten bewegt, von den Küsten aufwärts in die Hand arbeiten, indem auch sie den steilen Uferfels höhlen, Blöcke wälzen, Uferland fortreißen; daß eine Masse anderer Zerstörungsfaktoren des Festlandes, steinzersprengende Temperaturgegensätze der Wüste, Wind, der den Staub aufwühlt und weithin verwirbelt oder selber das Gestein höhlt, anschneidet und ausbläst, Pflanzenwuchs, der seine Wurzeln als zähe Keile in jede Steinspalte drängelt, von sich aus wirkend dem Wasser helfen; und wenn man bedenkt, daß dieser Kreislauf des Wassers heute keine Sekunde rastet und nie gerastet hat, seit große Wasserflächen auf der Erde sind, von Urwelten zu Urwelten bis auf diesen Tag beim Werk ist, und daß auch nur der jüngste dieser Urweltsabschnitte schon Jahrhunderttausende umfaßt, während dahinter vielleicht hundert und mehr Millionen von Jahren liegen: so muß klar werden, daß es sich hier wirklich nicht mehr wie bei jenen Sintfluterklärungen bloß um örtlich ändernde Vorgänge handeln kann, sondern daß es um alle Kontinente, alles Festland der Erde überhaupt zuletzt gehen muß – um die Gestalt der Erdkarte im ganzen – um Dinge, die heute wie seit je an dieser Karte rütteln.

      Die Arbeit, wie sie hier skizziert ist, hat aber in der Tat zweifellose Sintfluttendenz. Sie arbeitet gegen das Land. Wohl kann ja das Wasser die Bestandteile der Feste nicht wirklich einschlucken im Sinne einer Vernichtung. Es kann ein Gebirge zu Sand reiben und den Sand bis in den Ozean tragen, aber endlich muß er doch wieder sich irgendwie ablagern. Den Kalk, den es in sich aufgelöst, muß es gelegentlich wieder irgendwie absetzen; was es davon bis ins Meer schleppt, das ziehen dort Tiere heraus, die sich Schalen davon bauen, die als solche wieder eine große Widerstandsfähigkeit gegen erneute Zersetzung haben und nach dem Tode ihrer Bewohner gehäuft ebenfalls wieder kalkiges Gestein bilden helfen. Eine tüchtige Menge Wasser geht auch bei dem Kreislauf immer verloren. Es ist nicht so, daß bloß das Wasser Stein fräße, es gibt auch Steine genug, die Wasser fressen. Eben bei jenem kühnsten Verwitterungsangriff, dem selbst der Granit erliegt, schluckt immer der übrigbleibende Ton ein ganzes Teil Wasser für sich ein, das zunächst nicht wieder in den Kreislauf kommt. Auch feuchtet sich zuletzt alles Gestein in die Tiefe abwärts allmählich durch, und wenn die Erdkugel im ganzen eine trockene und mäßig kühle Masse bis zum Mittelpunkte wäre, so läge hier auf die Dauer eine nicht unbedenkliche Wasserfalle für den ganzen Kreislauf der Oberfläche.

      Aber für diesen letzteren Punkt ist der wahre Sachverhalt, СКАЧАТЬ