Ján Kuciak und die Paten von Bratislava. Christoph Lehermayr
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СКАЧАТЬ einer Kreuzung befindet sich links ein kleiner Spielplatz mit einer Rutsche und einem Klettergerüst und rechts ein Coop-Geschäft, das die Menschen im Dorf mit Lebensmitteln versorgt. Gegenüber sind an einem Strommast zwei Kameras montiert. Um 19.03 Uhr filmen sie, wie ein kleiner Pickup abbiegt. Es werden die letzten Aufnahmen, die Ján Kuciak und Martina Kušnírová lebend zeigen. Vor ihrem Haus stellen die beiden den Wagen ab und öffnen das Tor zum Hof. Der eisige Wind beißt in ihre Gesichter, das gefrorene Eis am Boden knirscht. Rasch eilen sie zur Tür, vorbei am Schuppen. Ihr Schicksal ist in diesem Moment besiegelt. In der Hütte lauert der Mann mit dem kahlrasierten Schädel und der Pistole in der Tasche. Im Haus legt das Paar seine Jacken ab und zieht sich um. Kušnírová trinkt vom Tee, den sie zuvor stehenließ, als sie ihren Verlobten abholen fuhr. Danach stellt sie Kaffee auf und gießt ihn für Ján und sich in die Tassen. Es ist ihr gemeinsames, vertrautes Abendritual. Der Killer verfolgt es durch das Fenster der Gartenhütte, das ihm einen Blick direkt ins Haus gewährt. Kušnírová chattet mit Kuciaks Schwester. Sie sprechen über die bevorstehende Hochzeit, das Kleid, das sie tragen wird und über das kirchliche Ehevorbereitungsseminar, zu dem das Paar an diesem Freitag fahren und dort bis Sonntag bleiben soll. Kuciak trägt derweil die Autobatterie in den Keller und schließt sie zum Aufladen an ein Kabel an. Um 19.51 Uhr schreibt Martina Kušnírová im Messenger ihre letzte Nachricht. Eine halbe Stunde später versucht ihre Mutter sie anzurufen. Das Handy läutet. Keiner geht ran.

      Dazwischen fallen in dem Haus in der Brezová-Straße 558 drei Schüsse. Zwei Menschen stürzen zu Boden. Ihre Leichen werden erst vier Tage später von der Polizei gefunden werden. Als am fünften Tag die Slowakei und bald darauf die Welt von dem Doppelmord erfährt, ist nichts mehr wie zuvor. Erst im Oktober 2017 war auf Malta die Antikorruptionsjournalistin Daphne Caruana Galizia durch eine Autobombe ermordet worden. Und nun: ein Journalist und seine Verlobte, kaltblütig hingerichtet in ihrem eigenen Haus, in einem Staat mitten in der EU, 47 Kilometer Luftlinie von der österreichischen Grenze.

      Ein Auftragskiller gesteht

      Fast zwei Jahre später führen Polizisten einer Sondereinheit mit schwarzen Sturmhauben über dem Kopf und Maschinenpistolen im Anschlag einen Mann in Handschellen vor. Er trägt eine graugefleckte Tarnhose und einen schwarzen Sweater. Sein Gesicht unter der Stoppelglatze ist ausdruckslos. Spricht er, klingt es mechanisch, abgehackt, die Sätze kurz und knapp, wie hingespuckt, ohne jede Emotion, so als ob ihn das Gesagte nichts anginge. Es ist Miroslav Marček, der Killer. Er ist geständig. Als er seine Tat schildert, stockt den Zuschauern vor Gericht der Atem: „Als ich beim Haus ankam, war das Tor am Zaun offen. Im Haus brannte aber kein Licht, und die Tür war versperrt. Ich habe mich in der Gartenhütte im Hof verschanzt. Es hat ziemlich lange gedauert. Dann sind Herr Kuciak und Fräulein Kušnírová gemeinsam zurückgekommen. Ich habe noch eine Weile gewartet, bis sich eine gute Gelegenheit ergeben würde. Die bot sich, als ich sah, dass Fräulein Kušnírová auf die Toilette ging. Ich ging zur Tür und klopfte. Als mir Herr Kuciak aufmachte, schoss ich ihm in die Brust. Er ist hingefallen und hielt sich noch mit einer Hand an der Tür fest. Dann kam leider plötzlich sie. Sie lief in die Küche und ich ihr nach. Dort schoss ich ihr in den Kopf. Ich sah, dass sie sofort tot war. Beim Rausgehen schoss ich noch ein zweites Mal auf Ján Kuciak, der auf den Stiegen lag. Ich schloss die Haustür hinter mir und auch das Tor zum Garten. Dann rief ich Herrn Szabó an und ließ es einmal läuten. Das war das vereinbarte Zeichen. Er holte mich beim Fußballplatz ab. Ich stieg ins Auto, und wir fuhren weg. Später schmissen wir die Waffe und die verbliebene Munition in den Fluss Waag.“

      Der mutmaßliche Todesschütze Miroslav Marček vor Gericht

      Bild: Tomáš Benedikovič

      Zwanzigtausend Euro Honorar sollte Miroslav Marček für den Mord erhalten – gestückelt in 500-Euro-Scheinen, verpackt in Papierservietten. Sein Kompagnon und Cousin Tomáš Szabó bekam den gleichen Betrag. Ján Kuciak haben die Beiden zuvor weder persönlich gekannt noch wussten sie, wer seinen Tod in Auftrag gab. Ihnen war lediglich mitgeteilt worden, dass er als Journalist arbeitet. „Er schrieb wohl über etwas, worüber er nicht schreiben sollte“, sagt Marček vor Gericht, „aber nach der Straftat war es überflüssig, noch herauszufinden, über was oder wen.“

      „Janko kämpfte für uns alle“

      Zehn Tage sind seit dem Doppelmord vergangen. Am Ende eines enger werdenden Tales tauchen erst Häuser und dann ein Dorf auf: Štiavnik, Ján Kuciaks Heimatgemeinde, im Jahr 1439 in einer Schrift des Habsburgers Albrecht II. erstmals urkundlich erwähnt. Entlang der einzigen breiteren Straße drängen sich geduckte kleine Häuser. Dahinter nehmen dichte Buchenwälder ihren Anfang. Bratislava liegt zweihundert Kilometer oder eine ganze Welt entfernt. In der Kirche sitzen die Menschen eng gedrängt auf den Bänken, noch mehr stehen fassungslos davor. Schon eine Stunde bevor die Totenmesse beginnt, murmeln die alten Frauen aus dem Ort den Rosenkranz. Es ist ein weinendes und klagendes Memento, unterbrochen von lautem Schluchzen, das aus der Aufbahrungshalle dringt. Dort wachen die Eltern, seine Schwester und der Bruder vor Ján Kuciaks Leiche am offenen Sarg. Er liegt darin im Anzug, den er bei seiner Hochzeit getragen hätte. So wie seine Verlobte drei Tage zuvor im weißen Brautkleid bei ihrem Begräbnis. TV-Teams aus aller Welt platzieren sich vor dem mit grünem Samt und weißen Rosen ausstaffierten Grab. Sie filmen die Leere in der Tiefe. Als die Glocken dumpf und beharrlich schlagen, gleitet der Sarg ins Dunkel. Später spricht Marek Vagovič, Kuciaks Chef. Er steht wie etliche seiner investigativ tätigen Kollegen seit Bekanntwerden des Mordes rund um die Uhr unter Polizeischutz und sagt: „Ján war so jung, so voller Ideale, mit dem ganzen Leben noch vor sich. Er glaubte daran, einmal in einem Land zu leben, an dessen Spitze keine korrupten Politiker und Mafiosi mit weißen Hemdkrägen stehen. Jeden Tag kämpfte Ján dagegen an, beschäftigte Polizei, Prokuratur und Gerichte. Aufgrund seines außergewöhnlichen Talents schuf er sich rasch einen großen Kreis von Feinden. Trotzdem ließ ihn das nicht zurückschrecken, denn er tat es nicht für sich selbst, nicht für Ruhm oder Geld. Janko kämpfte unermüdlich für uns alle, damit wir besser leben und ruhiger schlafen können. Wir dürfen jetzt nicht resignieren. Wir müssen in Jáns Sinne weiterarbeiten, um die Wahrheit zu suchen und die Angst zu überwinden. Seine Courage sollte unsere Inspiration und Verpflichtung dabei sein.“

      Gedenken an den ermordeten Journalisten und seine Verlobte

      Bild: Ricardo Herrgott

      Wer wollte, dass Ján Kuciak stirbt? Und warum? Wer überschritt diese letzte Grenze jeglichen rationalen menschlichen Handelns und glaubte, einen Journalisten nur mehr aufhalten zu können, indem er Männer dafür bezahlte, ihn zu töten? Wie konnten der oder die Auftraggeber annehmen, mit einer solchen Hinrichtung mitten im Herzen Europas davonzukommen? Waren sie, die Hintermänner des Mordes, gelöst, erleichtert und befreit, nachdem die Killer ihre Arbeit getan hatten? Was verbarg Ján Kuciak, das ihn sein Leben kostete? Und warum nahmen die Täter in Kauf, auch seine Verlobte mit ihm zu töten, so als sei sie nur ein Kollateralschaden ihres Verbrechens?

      Die Ermittlungen, die auf den Doppelmord folgten, förderten unvorstellbar Geglaubtes zutage. Sie führen zu einer Geschichte von Macht und deren Missbrauch, zu Servilität und Sex, zu einem mafiösen Netzwerk, das Morde beging und weitere plante. Zum Vorschein gelangt ein System, das vom Verbrechen ausgehöhlt und unterwandert worden ist, privatisiert und instrumentalisiert von kriminellen Gruppen, deren Tentakel weit hineinreichen in Justiz, Polizei und bis in die Spitzen der Politik. Wäre das alles nur der Hollywood-Plot für einen Polit-Thriller, die Produzenten würden das Drehbuch wohl zurückwerfen: zu abgründig, zu abstrus, zu brutal, zu viel von allem. Doch es ist die Wahrheit, und die gewährt einen selten intimen Einblick ins Innere eines Systems. Denn es war ein politischer Mord. Ján Kuciak und Martina СКАЧАТЬ