Название: Worte verletzen ... und Schweigen tötet
Автор: Karin Waldl
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783960743729
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„Ja, ich wohne hier allein“, antwortete Philipp und bat seinem Gast höflich einen Sitzplatz auf der Couch an.
Während er in der Küche verschwand, um den Kaffee zuzubereiten, den er angeboten hatte, sah sich Nele die Fotos im Raum an. Es waren fast ausschließlich Porträts von Philipp. Nele beschlich leise das ungute Gefühl, dass er sehr selbstverliebt sein könnte. Soweit sie sich erinnerte, war das damals schon ein Problem zwischen ihnen gewesen, weil er zur Selbstdarstellung neigte. Wahrscheinlich sollte sie einfach wieder gehen, vielleicht konnte sie sich noch rausschleichen. Da kam er aber schon mit dampfendem Kaffee und reichte Nele eine Tasse, die sie trotz ihrer Nervosität dankbar annahm.
„Was machst du hier?“, erkundigte sich Philipp.
Nele atmete tief durch, sie wollte ehrlich sein: „Mein Ehemann ist vor zwei Jahren gestorben. Es war eine harte Zeit mit meinen beiden Kindern. Ich hatte das Bedürfnis, eine Reise durch meine eigene Vergangenheit zu machen.“
„Du hast Kinder? Bewundernswert, das wäre nichts für mich“, beteiligte sich Philipp am Gespräch.
Nele hakte diesen Besuch bereits innerlich als erledigt ab, wenn er keine Kinder mochte, war er eindeutig der Falsche. Ihre Jungen waren das Wichtigste in ihrem Leben und brauchten dringend einen Stiefvater, der für sie da war.
„Was machst du so?“, fragte Nele trotzdem noch höflich.
„Ach, ich arbeite als Manager im Entertainmentbereich“, kam betont angeberisch zurück.
„Und privat?“, legte Nele neugierig noch eines drauf.
„Ich lebe das Leben, wie es kommt. Das gilt bei mir auch für Frauen, wenn du deshalb da bist“, zwinkerte Philipp ihr zu.
Nele fühlte sich nun endgültig unbehaglich, aber jetzt wollte sie den Rest auch noch erfahren, wenn sie schon einmal hier war, denn sie würde gewiss nicht wiederkommen. Skeptisch fragte sie: „Wie meinst du das?“
„Na ja, du bist eine hübsche Frau. Ich hätte Lust auf Sex mit dir. Wenn du möchtest, könnten wir uns ja gemeinsam vergnügen. Ich glaube, ich habe sogar noch etwas Kokain da, das würde die kurzweilige Unterhaltung noch um einiges intensiver machen“, flüsterte Philipp in einem eingeübten verführerischen Ton, wie ihn Weiberhelden wie er perfekt beherrschten.
Das war Nele eindeutig zu viel. Was war aus dem netten Jungen geworden, mit dem sie damals zusammen gewesen war? Irgendwie musste sie die Kurve kratzen, denn dieses eindeutige Angebot zu einmaligem Sex war eindeutig nicht ihr Ding. Und Drogen gingen gar nicht. Sie musste einen Weg finden, um höflich einen Abgang zu machen.
„Philipp, ich wollte eigentlich nur wissen, wie es dir geht. Ich habe kein Interesse an Sex mit dir“, sagte sie schließlich betont höflich, aber eindeutig.
„Macht nichts, ich finde sicher noch eine andere Frau heute, die mit mir das Bett teilt“, sagte er erklärend, als wäre es das Normalste der Welt, und zuckte mit den Achseln.
Nele blieb der Mund offenstehen. Hatte er das wirklich in ihrer Gegenwart gesagt? Sie konnte es nicht fassen. Das war der Punkt, an dem sie endgültig verschwinden musste. Sie bedankte sich noch halbherzig für die Gastfreundschaft, ehe sie eilig die Wohnung verließ und mit ihrem Auto schnell davonfuhr. Innerlich ärgerte sie sich, vielleicht wäre es besser gewesen, nicht zu erfahren, was aus Philipp geworden war – ein selbstverliebter, vergnügungssüchtiger Casanova. So einer würde Nele niemals ins Haus kommen. Angewidert versuchte sie verkrampft, auf andere Gedanken zu kommen. Aber das war gar nicht so leicht, denn auf einmal kam ihr in den Sinn, warum Philipp in ihrer Jugendzeit mit ihr Schluss gemacht hatte – wegen einer anderen. Langsam wunderte es Nele nicht mehr ganz so heftig, warum er sich in diese Richtung entwickelt hatte. Aber egal, einen Mann auf ihrer Liste konnte sie schon abhaken, das war eindeutig ein Reinfall gewesen.
Nele parkte bei einem Pizza-Imbiss, um an einem der Stehtische ein Stück Schinkenpizza mit Champions zu essen. Das Ganze spülte sie mit einer Cola hinunter. Kauend hegte sie wieder Zweifel, ob dies überhaupt der richtige Weg war, um einen Mann fürs Leben zu finden. Sollte sie vielleicht doch aufgeben? Nein, nur weil die erste Begegnung ein massiver Rückschlag war, durfte sie jetzt nicht das Handtuch werfen. Sonst würde sie sich ewig vorwerfen, es nicht probiert zu haben. Sie wusste von Anfang an, dass wenig Chance auf Erfolg stand, aber sie musste es weiter versuchen, um es eindeutig zu wissen. Entschlossen stieg sie wieder ins Auto und setzte ihren Weg fort.
Der zweite Mann auf der Liste war Paul, eine unerwiderte Liebe oder – besser gesagt – Schwärmerei von Nele aus sehr jungen Jahren. Er war vor langer Zeit fast drei Jahre mit ihrer älteren Cousine Magdalena liiert gewesen. Im stillen Kämmerlein hatte Nele ihn heimlich bewundert, ohne es ihm gegenüber jemals laut auszusprechen. Wahrscheinlich war diese Unerreichbarkeit damals sogar bewusst gewählt, denn sie war noch viel zu jung für echte Erfahrungen, ein kleines Mädchen, das keine Ahnung von der großen, weiten Welt hatte. Diese Gefühlsduselei war angesiedelt in der Zeit zwischen Kindheit und Jugendzeit. Eigentlich war Paul mehr wie ein großer Bruder für Nele, der mit ihr, natürlich gemeinsam mit ihrer Cousine, spielte. Es brach ihr damals das Herz, als die Beziehung zwischen den beiden zerbrach, denn ab diesem Zeitpunkt war Paul nicht mehr da und sie konnte ihn nicht mehr im Geheimen anhimmeln. Jetzt, da Nele erwachsen war, musste sie selbst grinsen über diesen kindlichen Herzschmerz einer Heranwachsenden, wie sie es damals gewesen war.
Nele bog zum schmucken Dorfplatz der überschaubaren Marktgemeinde ein, in der sie sich gerade befand. Hier waren bunte, mehrstöckige Wohnhäuser, die italienischem Baustil ähnlich waren. In einem davon sollte Paul heute wohnen. Sie parkte am Straßenrand und stieg zaghaft aus. Nele atmete tief durch, strich ihr Kleid glatt und begab sich zu der Türklingel, auf der sie Pauls Namen fand, und drückte sie diesmal etwas entschlossener. Im ersten Moment erkannte Nele Paul gar nicht, als er ihr mit Vollbart und sichtlich ungepflegt die Tür öffnete. „Paul?“, fragte sie unsicher.
„Nele, bist du es wirklich?“, grinste er wie ein Honigkuchenpferd.
„Ja, ich wollte dich besuchen“, sagte sie sichtlich verlegen. Sie wusste gar nicht, wie sie ihm ihre Anwesenheit erklären sollte. „Darf ich hereinkommen?“, ergänzte sie noch.
„Ja, natürlich. Es ist halt nicht aufgeräumt, Besuch hatte ich nicht erwartet. Magst du etwas zu trinken?“
„Gerne, ein Glas Wasser bitte!“ Nele folgte ihm in die Küche. Nicht aufgeräumt war deutlich untertrieben, das Geschirr von mehreren Tagen stapelte sich neben der Spüle. Der Esstisch bot gerade noch genügend Freiraum, dass sich eine Person setzen konnte, deshalb räumte Paul hastig ein paar Dinge weg, um weiteren Platz zu schaffen.
Das Gespräch, das nun folgte, war durchaus nett, aber Nele fand dabei heraus, dass Paul nicht auf eigenen Beinen stand. Seine Eltern waren die Gönner seines Lebensstils. Seine einzige Beschäftigung war ein Internetcomputerspiel, tagein und tagaus. Paul ging praktisch nie vor die Tür, was sein mitleiderregendes Aussehen erklärte, aber das sagte Nele ihm natürlich nicht laut ins Gesicht. Essen erhielt er von den verschiedenen Lieferservices. Mutter und Vater schickten ihm einmal in der Woche eine Haushälterin, die das Notwendigste zusammenräumte, putze, Wäsche wusch und Besorgungen machte. Ansonsten hatten seine Eltern ihn komplett links liegen gelassen, sie waren enttäuscht von ihrem Sohn. Aber sie waren zu schwach, um ihm den Geldhahn und die Unterstützung zuzudrehen, schließlich war er ihr einziges Kind. Und Kind war auch die passende Bezeichnung, denn erwachsen war Paul eindeutig nicht geworden. Aber er dachte gar nicht daran, etwas zu ändern, gab selbst zu, dass er trotzig seinen Eltern gegenüber СКАЧАТЬ