Sieger. Detlef Vetten
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Название: Sieger

Автор: Detlef Vetten

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

Серия:

isbn: 9783730702918

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СКАЧАТЬ wird aus der Abfahrtshocke gerissen. Sein Körper wird nach oben geschleudert, dagegen kann sich kein Mensch der Welt wehren. Schönfelder muss die Knie durchstrecken, er verliert die Richtung und wird während der Luftfahrt nach rechts abgetrieben. Immense Kräfte zerren an dem Fahrer. Er hat keine perfekte Kontrolle mehr über die Skier – die Schaufeln zeigen leicht nach innen, so darf er auf keinen Fall landen. Der Oberkörper ist leicht verdreht. Gerd Schönfelder steuert mit dem rudernden linken Arm dagegen an.

      Der Arm wird hoch gerissen. Die linke Skispitze weist steil nach oben, die rechte senkt sich zur Piste hinunter. Der Skifahrer fliegt nun seit 20 Metern und hat eine Höhe von zwei Metern über Grund. Das sieht sehr gefährlich aus. Das kann böse enden.

      Geschwindigkeit: immer noch gute 110 Stundenkilometer. Schönfelder streckt sich, macht sich ganz lang. Der linke Arm zeigt waagrecht zur Sonne hin. Die Skier bekommt der Fahrer gerade unter Kontrolle, schon richtet er die Enden nach unten für die Landung aus.

      Schönfelders Schatten: ein krummer, langer, auf der Piste rasender Strich.

      Nach 25 Metern landet er. Er ist nun 1:15,8 Minuten unterwegs.

      In nicht einmal einer Zehntelsekunde duckt Gerd Schönfelder sich wieder in die Abfahrtshocke, zieht den linken Arm wieder vor die Brust, nimmt den Kopf nach unten und setzt einen Rechtsschwung an.

      Nein, das ist kein Schwung, das ist eine Kurve, die der Außenski anfangs mit Gewalt in die Eispiste fräst. Dann stimmt die Richtung, und Gerd Schönfelder lässt die Skier frei. Das kann er so unnachahmlich: Bei Tempo 120 gleiten, und es staubt kein Pülverchen.

      Er gleitet durch die nächste Rechtskurve, es ist die letzte Richtungsänderung dieser Abfahrt. Gerd Schönfelder ist jetzt wieder dieses Kraftpaket, das wie fürs Lehrbuch gemalt ist. Beine breit auseinander, in leichter O-Form. Das Becken lastet mit dem Körpergewicht knapp hinter der Bindung. Der Kopf steckt zwischen den Schultern, vom Helm blickt ein schnaubender Stier auf die Piste, der linke Arm rührt sich nicht von der Brust weg.

      1:20,7 Minuten. Schönfelder überquert die rote Ziellinie. Er richtet sich auf und sucht mit dem Blick die Anzeigetafel. Erster. Knappe zwei Sekunden schneller als der Schweizer Brügger.

      Bei Tempo 70 schnallt Gerd, dass er wieder Gold gewonnen hat. Nach links bremst er ab. Elegant sieht das aus, sehr gekonnt die Schräglage. Gerd Schönfelder fährt den Arm aus. Er kommt zum Stehen. Ballt die Faust. Schreit »Ja!«.

      Dann fällt er um. Nach rechts. Dorthin, wo kein Arm ist. Er liegt rücklings im Schnee des Zielraums, blickt in den Himmel und hat die Faust noch immer geballt.

      Was für ein Kraftmensch!

      Was für eine Freude!

      Was für ein wunderbares Bild!

      SCHICKSAL

      11. September 1989. Hersbruck. 16.41 Uhr.

      Das ist der Moment, auf den alles zugelaufen ist.

      Gerd Schönfelder ist auf einer neuen Baustelle. Da er fast fertig mit seiner Ausbildung ist, wird er schon wie eine reguläre Arbeitskraft als Elektroniker eingesetzt. Er wird auf Montage geschickt, muss sich auf wechselnde Arbeitsplätze und immer neue Anforderungen einstellen.

      Berufsleben eben.

      Am Freitag hat ihm der Arbeitgeber noch gesagt, vielleicht müsse er am Montag nicht nach Nürnberg kommen. Vielleicht Marktredwitz. Oder eine andere Baustelle in der Region.

      »Schau’n mer mal, habe ich mir gesagt. Auf jeden Fall klingt das mal nicht schlecht, dass ich nicht in die Stadt muss. Mein Chef hat gemeint, er meldet sich bei mir. Okay, habe ich gesagt, alles gut, das Wochenende kann kommen.

      Samstag habe ich nichts gehört, am Sonntag habe ich versucht, ihn telefonisch zu erreichen. Hat nicht geklappt. Also ist mir nichts anderes übriggeblieben, als am Montag nach Nürnberg zu fahren.«

      Beim Frühstück sagt er zur Mutter: »Du, ich fahr heut mit dem Motorrad.« Dann ist wenigstens der Weg zur Arbeit nicht so fad. Gerd liebt es, mit seiner 600er XT unterwegs zu sein. Ist doch was ganz anderes als das Rumsitzen in einem Zug, in dem lauter Menschen in die Woche starten.

      »Nein«, meint die Mutter. »Das machst nicht. Nimm lieber den Zug, das ist gescheiter. Ist nicht so gefährlich.«

      »Aber schau, wir haben schönes Wetter, und mit dem Motorradl macht es doch viel mehr Spaß.«

      »Ja, und ich habe die Sorgen.«

      »Und wenn die jetzt in Nürnberg sagen, dass sie mich woanders haben wollen, dann bin ich flexibel. Brauch mich an keine Fahrpläne halten. Und du weißt es eh, dass ich um sechs Uhr verabredet bin. Ich hab versprochen, dass ich da was im Bad mache. Wird mit der Bahn saumäßig knapp.«

      »Nein, Gerd, tu mir einen Gefallen: Lass des Motorradl stehen und nimm den Zug.«

      Was soll’s? Streiten muss man deswegen nicht. Gerd nimmt den Zug.

      Kommt in der Lehrwerkstatt an, da kratzen sie sich am Kopf und wissen nicht, was sie mit dem Burschen anfangen sollen. Letztlich schicken sie ihn hinaus zum Hafen, zur AEG-Werkstatt. Dort werde sich schon eine Arbeit finden.

      Er ärgert sich übers Durcheinander, kommt in der Werkstatt an, läuft dem Capo über den Weg.

      Der überlegt kurz.

      »Na ja, jetzt bist schon da, jetzt bleibst auch da.«

      Fängt ja super an, die Woche. Gerd wurschtelt vor sich hin und sinniert, wie er denn wohl vom Hafen pünktlich zurück nach Kulmain kommt, wo der Spezl ihn um sechs in dem halb fertigen Bad erwartet.

      Gerd Schönfelder ist schon immer einer gewesen, der seine Termine eingehalten hat. Er macht mit einem Kumpel etwas aus, das gilt dann auch. Er mag es nicht, wenn andere unpünktlich sind. Und er ist bekannt dafür, dass man sich auf ihn verlassen kann. Deswegen ist die Frage, wie er es mit den Öffentlichen zuverlässig bis zum frühen Abend nach Hause schaffen kann, für ihn an diesem Montag ein echtes Problem.

      »Das war ja alles nicht so einfach. In der Lehrwerkstatt hatte ich einen U-Bahn-Anschluss an der Muggenhofer Straße, da kannte ich meine Verbindungen und wusste, wann ich welchen Zug nehmen musste. Jetzt war ich aber im Hafen. Von dort zum Bahnhof und vom Bahnhof nach Hause – das war eine neue Situation.

      Auwehzwick, dachte ich, das wird wirklich knapp. In der Mittagspause bin ich zur Bushaltestelle gelaufen und habe den Fahrplan angeschaut. Dann war mir klar: Das schaffe ich nicht.«

      Er schlurft missmutig zurück zur Werkstatt. Nach der Mittagspause trifft er einen Kollegen, dem er erzählt, dass heute wirklich verdammt viel schiefläuft.

      Der Kollege versteht. »Du«, sagt er, »ich fahre eh nach Hersbruck – ich kann dich beim Bahnhof absetzen, wann geht denn dein Zug?«

      »Um zwanzig vor fünf«, antwortet Schönfelder.

      Kein Problem. Man treffe sich um vier am Parkplatz, dann habe man alle Zeit der Welt.

      »Das wär super.«

      »Na, dann ist es abgemacht.«

      Gerd Schönfelder schlendert fröhlich an СКАЧАТЬ