Vergewaltigung. Mithu M. Sanyal
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Название: Vergewaltigung

Автор: Mithu M. Sanyal

Издательство: Bookwire

Жанр: Изобразительное искусство, фотография

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isbn: 9783960542469

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СКАЧАТЬ »Die Zurückhaltung des Weibes – die in ihrer ursprünglichen Form als körperlicher, aktiver oder passiver, Widerstand gegen die Angriffe des Mannes sich darstellt – hat die Auslese gefördert, indem sie die wichtigste Eigenschaft des Mannes, Stärke, auf die Probe stellt. So kommt es, dass das Weib bei der Wahl unter Männern, die um ihre Gunst wetteifern, der Kraft den Vorzug gibt. Im Kampfe ums Dasein ist Gewalttätigkeit die erste Tugend.«35

      Die sexuelle Selektion war Charles Darwins große Neuerung, und sie gestand Frauen in gewisser Form eine größere Rolle in der Fortpflanzung zu: War sie vorher komplett passiv, konnte sie jetzt auswählen, von welchem Mann sie überwältigt wurde. In Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl schrieb Darwin: »[Das Weibchen] ist spröde, und man kann oft sehen, dass es eine Zeit lang den Versuch macht, dem Männchen zu entrinnen […] Das Ausüben einer gewissen Wahl von Seiten des Weibchens scheint ein fast so allgemeines Gesetz wie die Begierde des Männchens zu sein.«36 Diese Wahl beinhaltete jedoch nicht, dass Frauen selbst nach Sexualpartnern suchten, ein solches Verhalten sei wesensfremd und würde sie für die virilen Männer unattraktiv machen.37 Wo für Männer das Überleben des Stärksten galt, schien es für Frauen das Überleben der Schwächsten und Passivsten zu sein. Wie bereits Susan Sontag bemerkte: »In unserer Kultur [ist] alles, was mit der Sexualität zusammenhängt, zu einem ›besonderen Fall‹ geworden – ein Vorgang, der zu merkwürdig widersprüchlichen Verhaltensweisen führte.«38

      Die Überzeugung von der Frigidität der Frau und der heißen Begierde des Mannes durchdrang noch bis ins 20. Jahrhundert alle Bereiche: allgemeine Rollenvorstellungen, Kommunikation, gelebte und imaginierte Sexualität, so dass eine Frau, die einen Mann nicht wollte, weil sie ihn halt nicht wollte, massiv körperlich gegen ihn ankämpfen musste, da er sonst davon ausgehen konnte, dass sie einfach nur eine »echte Frau« war.

      Für das deutsche Strafrecht war die Idee der nicht unwillkommenen Gewalt – das römische Konzept der vis haud ingrata – noch bis in die 1970er Jahre relevant. So wurde bei einem Strafprozess der Nachweis erwartet, dass die Frau sich nicht nur gewehrt, sondern diesen Widerstand die ganze Zeit über aufrechterhalten hatte, schließlich hätte ihre Erregung ja noch später auf verschlungenen, geheimnisvollen Wegen einsetzen können, nachdem ihr »natürlicher« sexueller Widerwille überwunden worden wäre.39

      Nun hat sich inzwischen zwar die (Rechts-)Auffassung von der weiblichen »Natur« geändert, nicht aber die der männlichen. Weshalb Bestseller wie die Ratgeber von Ellen Fein und Sherrie Schneider – Die Kunst, den Mann fürs Leben zu finden: »The Rules« und Die neue Kunst, den Mann fürs Leben zu finden: The Rules II und Die Kunst, den Mann fürs Leben zu halten und so weiter – ihren Millionen von Leserinnen Passivität mühsam beibringen und ihnen erklären, dass sie, um einen Mann zu bekommen, diesen erst einmal ablehnen müssen, weil Männer von Frauen, die wissen, was sie wollen, abgestoßen seien. Ein Bewerbungstraining, das Bewerberinnen riete, sie würden einen Job nur kriegen, wenn sie bloß keine Unterlagen einschickten und sich nicht interessiert zeigten, würde sich wohl kaum verkaufen, doch Die Regeln sind so populär, dass Oprah Winfrey konstatierte: »The Rules isn’t just a book, it’s a movement, honey.«40 Und auch diesseits des Atlantiks kolportieren Frauenmagazine und Selbsthilfebücher: »Sexuelle Forderungen der Frauen törnen Männer ab. Je gradliniger eine Frau […] einfordert, was sie will, desto weniger wahrscheinlich ist, dass sie es bekommt. […] Will sie sich einen Mann ›schnappen‹, muss sie unbedingt den Eindruck erwecken, dass sie ihn nicht haben will, darf seine Anrufe nicht entgegennehmen, seine Textnachrichten nicht beantworten, muss so tun, als sei sie ›schwer zu haben‹.«41

      Das führte zu der paradoxen Auffassung, dass eine Frau umso begehrenswerter sei, je weniger Lust sie habe, während eine lüsterne Frau degeneriert sei und dadurch entsexualisiert, also entweiblicht werde. Schließlich war Weiblichkeit keineswegs gleich auf alle Frauen verteilt. Im 19. Jahrhundert wurde das am Genital gemessen: Je kleiner die – vor allem inneren – Labien waren, als desto zivilisierter galt eine Frau und desto geringer sei ihr sexuelles Verlangen. Anthropologen entwickelten eine wahre Obsession für die Schamlippen der »unzivilisierten« – das heißt kolonialisierten – Frauen, die sie maßen, beschrieben, fotografierten und katalogisierten. Dabei übersahen sie geflissentlich den Widerspruch zur These, dass die Frau vermeintlich bereits in der Vor- und Frühgeschichte sexuell passiv gewesen sein sollte, während sie diese Passivität nun als Ergebnis des Zivilisationsprozesses darstellten.

      Damit es bei diesen eingeschränkten Handlungsspielräumen überhaupt zum Geschlechtsverkehr kommen konnte, bedurfte es des immer bereiten Mannes. »Dem mächtigen Drange der Natur folgend, ist er aggressiv und stürmisch in seiner Liebeswerbung«42, jubelte Richard von Krafft-Ebing. Die andere Seite der Medaille war, dass Männer, die in der »Liebeswerbung« nicht erfolgreich waren, nach diesem Modell unter ständigem sexuellen Druck standen. Aber auch die Ehe hielt sexuelle Frustration für die eine Hälfte der Verheirateten bereit. Andrew Jackson Davis – dem wir den Terminus »Gesetz der Anziehung«43 verdanken – führte in Anlehnung an Aristoteles aus: »Die Frau erhält unfehlbare und regelmäßige Erleichterung durch den menstruellen Ausfluss. Die von den vitalen ehelichen Essenzen angeschwollenen Eierstöcke fließen über und werden mit jedem Mond beruhigt und abgemildert.« Der Mann dagegen: »wie viel überreichlicher und schrecklich dringend sind seine zeugungsfähigen Ressourcen.« Die körperliche Nähe einer Frau, ohne mit ihr Sex zu haben, ließe ihn »aufgeladen bis zur Auszehrung, sogar bis zum Rande der unkontrollierbaren Gewalt«44.

      Jackson beschwor die Männer, sich trotzdem zurückzuhalten. Doch war das »Dampfkesselmodell« im gerichtsmedizinischen Diskurs des 18. und 19. Jahrhunderts die bevorzugte Erklärung und Rechtfertigung für Notzucht, so die damalige Bezeichnung für Vergewaltigung. Viele Ärzte betrachteten Notzucht zwar als unmoralisch, aber unausweichlich und »stets der ungesunden Onanie45 bei fehlendem Zugang zu Prostituierten vorzuziehen […], da regelmäßiger Geschlechtsverkehr ein unverzichtbares ›Remedium‹ für die Gesundheit des Mannes darstelle«46. Anfang des 20. Jahrhunderts ging der Psychoanalytiker Wilhelm Stekel gegen den Mythos der schädlichen Masturbation vor, da für ihn Samenerguss Samenerguss war und schwache Männer von dem unerträglichen Druck der verbotenen Gelüste befreite: »Die Onanie hat in diesem Sinne eine wichtige soziale Bedeutung. Sie ist gewissermaßen ein Schutz der Gesellschaft […] Würde man die Onanie vollkommen unterdrücken, die Zahl der Sittlichkeitsdelikte würde ins Unglaubliche steigen.«47

      Noch in den 1970er Jahren korrelierte der renommierte Medizinhistoriker Edward Shorter die Zunahme von Vergewaltigungen in bestimmten Epochen mit dem Anstieg des Heiratsalters. Zwar seien die meisten Männer in der Lage, ihre Triebe unter Kontrolle zu halten, doch bei Individuen mit psychischen Abweichungen würde die heiße Begierde überkochen und sich in sexuellen Überschreitungen Bahn brechen.48

      Als das Dampfkesselmodell aufkam, stellte es erst einmal einen Widerspruch zu der allgemeinen Auffassung dar, dass Männer das rationale Geschlecht seien. Wie konnte ihr Sexualtrieb dann dermaßen irrational sein? In der Folge wurden die Bereiche der Sexualität und Intimität Schritt für Schritt aus der Vernunftvorstellung herausgenommen, so dass die Trennung zwischen Körper und Geist noch weiter voranschritt.49 Von seiner überschießenden phallischen Energie zu Genie oder Verbrechen getrieben, eignete sich der Mann nun ebenfalls nicht mehr für seine angestammte Rolle als Vertreter der moralischen Ordnung. Wer wäre besser geeignet, diese vakante Stelle zu übernehmen, als die wegen ihrer fehlenden Leidenschaft sowieso nur selten in Versuchung geratende Frau?50 Als Hüterin der göttlichen Ordnung (Hegel) oder der moralischen Ordnung (Rousseau) erhielt sie obendrein noch die Verantwortung, die männliche Sexualität zu kontrollieren, indem sie ihre Kleidung und ihr Verhalten darauf abstimmte, seine leicht erregbare Libido nicht zu entflammen.

      Die Warnung an Frauen, bloß nicht zu viel Alkohol zu trinken, wenn sie ausgehen, und Männern nicht die »falschen Signale« zu senden, ist ein Überbleibsel des Dampfkesselmodells und wird zu СКАЧАТЬ