Vanadis. Isolde Kurz
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Название: Vanadis

Автор: Isolde Kurz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788711446003

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СКАЧАТЬ style="font-size:15px;">      Herr Folkwang hatte die Wahrheit gesagt, als er dem Freund versicherte, daß sein Sohn trotz seiner Untugenden niemand im Hause zur Last sei, ausgenommen Vanadis, die aber so an ihn gewöhnt war, daß sie ihn als notwendiges Übel betrachtete. Denn er hatte dazugehört, fast solange sie zurückdenken konnte. Carlo, der florentinische Kammerdiener, hatte ihn als kleinen Knirps ins Haus gebracht mit einem geringen Vorrat italienischer Wörter, deren er sich längst nicht mehr erinnerte. Damals war er ein urdrolliger Kobold. Sein Kopf war viel zu groß für den kleinen Körper und sein Schädel so hart, daß er ihn als Sturmbock gegen alles gebrauchte, was sich ihm hindernd in den Weg stellte. Es war ihm gleich, wenn er sich noch so viele Beulen schlug. Schon damals hatte er es auf die kleine Vana abgesehen, der er gerne einen krabbeligen Maikäfer oder eine schaurig kalte Eidechse in den Nacken schob. Doch wurde seine Gegenwart in dem gerade verwaisten Hause, über dem die Dämpfung der Trauer lag, als eine Erfrischung empfunden, weil er immer Anlaß zum Lachen gab. Als er beim ersten Osterfeste erfuhr, daß die Hasen Eier legen, schöne rote, grüne und blaue, die im Gras zusammengesucht werden mußten, ging er eine Zeitlang täglich im Forst auf die Hasenjagd, um einen Eierlieferanten heimzubringen. Weil er keinen Hasen fing, stahl er im Nachbarhause ein Kaninchen aus dem Stall und wollte es zum Eierlegen nötigen, und er war sehr niedergeschlagen, als er gezwungen wurde, in Gesellschaft der Magd die Beute zurückzutragen und um Verzeihung für den Diebstahl zu bitten. Eine Zeitlang – er trug schon den Ranzen zur Schule, was freilich in jenen Tagen früher begann als jetzt – beschäftigte ihn der Zweifel, ob Frauen Beine haben. Es lag ja nahe, das anzunehmen, weil sie sich fortbewegten, aber die Mode der langen Röcke hinderte ihn, sich Gewißheit zu verschaffen, und fragen mochte er nicht. Zwar hatten ihm die Großmutter und Tante Fanny beim Treppensteigen gelegentlich Anlaß zu der Erkenntnis gegeben, daß es sich in der Tat so verhalte, aber aus Familienbeinen ließen sich nicht ohne weiteres Rückschlüsse auf die Allgemeinheit ziehen, denn im Hause Folkwang war alles anders als anderwärts. Das sagten wenigstens seine Schulkameraden, die es von ihren Eltern wußten, er selber hatte ja keinen Maßstab. Eines Tages beschloß er, der Sache auf den Grund zu gehen. Ein rundliches Fräulein aus der Nachbarschaft, das den spaßhaften Namen Hußwadel hatte, war von den Damen zum Kaffee gebeten. Der Name mochte den Knaben reizen, gerade bei ihr die Probe zu machen. Er wußte aus Erfahrung, daß der Gast den Ehrenplatz auf dem Kanapee neben der Großmutter einzunehmen pflegte, während die Tante gegenüber saß. Also verkroch er sich unter dem Kanapee, ehe man sich setzte. Als sich der angenehme Mokkaduft verbreitete, der ihm die Gewißheit gab, daß jetzt die Aufmerksamkeit abgelenkt war, machte er sich nach vorn und hob vorsichtig den seidenen Rocksaum des Gastes auf, darunter einen zweiten, gestreiften und endlich gar noch einen dritten, leichteren. Da erblickte er zu seinem Schrecken in weißen straffgespannten Strümpfen ein Paar mächtig gerundete Waden.

      Roderich hatte trotz seiner Ungezogenheit eine unbewußte Hochachtung vor dem anderen Geschlecht, das er sich gern dem seinigen so unähnlich wie möglich dachte. Diese Hochachtung, die er vor sich selbst nicht wahrhaben wollte, war es ja, was ihn vorzüglich zu seinem widerhaarigen Betragen gegen die Weiblichkeit veranlaßte. Die Entdeckung, die er da machte, empörte ihn: Da wollen sie was Besseres sein und sind doch gerade wie unsereiner. Er fletschte gegen die ahnungslosen Beine, und plötzlich überkam ihn die Wut, daß er hineinbiß! Mit einem Schrei fuhr die Inhaberin empor: „Ein Tier! Ein Tier hat mich gebissen! Es war ein Hund!“ – Man machte ihr begreiflich, daß es keinen im Hause gab. – „Dann war’s eine Ratte!“ – Während die Großmutter mit schönen weißen Händen die gebissene Stelle untersuchte, rannte Fanny nach einem Stock, um die Ratte aufzustöbern. Bis sie zurückkam, fand Roderich in der Verwirrung Zeit, zwischen den Sofabeinen heraus und hinter den großen Ofen zu schlüpfen. Dort stand er an die Wand geklebt, während der Stock unter dem Kanapee herumfuhr, bis er die Gelegenheit ersah, durch die offene Tür zu entwischen. Es wurde niemals aufgeklärt, welches Tier es war, das die Spur seiner Zähne in Fräulein Hußwadels üppigem Fleisch gelassen hatte.

      Aber wie man wohl eine Zeitlang ein Bärenjunges im Hause hegen und sich an seinen lustigen Streichen ergötzen kann, bis beim Größerwerden das wilde Tier erwacht und für die Umgebung bedrohlich wird, so war es mit dem Knaben gegangen. Wie er heranwuchs, trat etwas Fremdes an ihm hervor, etwas seltsam Wildes und Unzivilisiertes, das sich in plötzlichen Ausbrüchen äußerte, wobei er nicht mehr wußte, was er tat. Endlose Klagen liefen in der Schule gegen ihn ein, und sogar die Polizei hatte sich mit ihm zu beschäftigen. Zielsicherheit im Wurf, diese schätzbare Ausbildung von Hand und Auge, übte Roderich mit Steinen an den Nachbarfenstern. War irgendwo in der Stadt eine Laterne zerbrochen, so wurde die Tat ohne weiteres mit Recht oder Unrecht Folkwangs Roderich – so hieß der Knabe bei den Leuten – zugeschrieben. Gab es Streit, so rannte er blindlings auch die Stärksten um und fragte nicht nach den Löchern im Kopf, die er davontrug. Noch immer verfolgte er Vanadis mit seiner Bosheit. Wenn er sie aber eine Zeitlang mürrisch in Ruhe ließ, so war ihr dieser Zustand so fremdartig, daß sie ihrerseits den Stummen reizen mußte, indem sie ihn mit Büchschen voll Spielmarken wie mit Kastagnetten klappernd umtanzte: „Was kostet das Wort, Roderich? Ich kann’s bezahlen.“ – Bis er sie wild anschnaubte und sie mit Lachen davonstob. Bei all seinen Untugenden war er unter den Kameraden nicht unbeliebt, und die Folkwangschen Knaben traten für ihn ein, wie wenn er ihres Blutes wäre.

      Auch sein Talent hatte etwas Besessenes, die Fratzenköpfe, die er überall hinschmierte, waren wie Einschläge innerer Entladungen. Sobald er wieder anfing Tiere zu zeichnen oder pflügende Bauern, wußte man, daß die Krisis vorüber war. Alle Wände des Hauses trugen die Spuren dieser Übungen, seine Hefte waren mit Gesichtern und Figuren vollgekritzelt, und sooft sie ihm in der Schule um die Ohren geschlagen wurden, er ließ sich von seinem Tun nicht abbringen. Jedes größere Stück Papier oder Pappe war ihm verfallen. Allerdings zog ihn seine Lust wie sein Widerspruchsgeist zum Derbnatürlichen, das unter seiner ungeübten Hand ins Häßliche ausartete. Aber Egon übertrieb, wenn er meinte, er suche mit Absicht, was das Auge abstößt. Anschauung von Kunstwerken und richtige Anleitung hätten Auge und Hand verfeinert, aber das Zeichnen in der Schule nach langweiligen Gipsköpfen trieb ihn immer mehr in den Gegensatz. Es gab wohl in der Stadt ein kleines Museum mit einigen guten Bildern älterer Schule, die Roderich nicht müde wurde sich einzuprägen, allein für eine junge Kraft, die nach Wachstum drängt, war damit nicht gesorgt. Baron Solmar, der Sammler und Mäzen, der mehr als einem jungen Talent den Weg zur Ausbildung erleichtert hatte, verkannte das seines eigenen Sohnes.

      Ein Vorfall solcher Art, der sich eben jetzt ereignete, trieb den Groll des Knaben aufs höchste. Seit einigen Jahren zeigte sich regelmäßig zu Ende des Sommers ein junger italienischer Gipsfigurenhändler in dem Städtchen, wo er leidlichen Absatz fand. Die besseren Bürgersleute, zum guten Teil Katholiken, kauften ihm zu niederen Preisen kniende Engel oder kleine Madonnen ab, womit man Gräber schmückte oder um die Weihnachtszeit auswärtige Freunde, die keine solche Gelegenheit hatten, beschenken konnte. Es war ein hübscher Junge, ein paar Jahre älter als Roderich, braun und geschmeidig, mit dunklem Krauskopf und beweglichen Augen und Gliedern. Auch im Hause Folkwang pflegte er sich einzustellen, wo man ihn gut leiden mochte und jedesmal zum Vesperbrot der Kinder einlud. Sein gesittetes Betragen und gebrochenes, aber angenehm klingendes Deutsch erwarben ihm die Zuneigung der ganzen Familie. Dort brachte er mit der frühen Menschenkenntnis, die sich solche wandernden Knaben erwerben, statt der kitschigen Engel kleine Nachbildungen nach Antiken zum Vorschein. Im Vorjahr hatte sich Vanadis in eine von diesen, eine im Flattergewand hineilende Diana mit Hund, verliebt und sie gegen ihre ganze verschlossene Sparbüchse von ihm erhandelt. Sie wußte selber nicht, wieviel die Büchse enthielt, der Betrag war aber so hoch, daß der Junge sich bewogen fühlte, ihr bei seiner heurigen Wiederkehr noch ein weiteres Figürchen zum Geschenk zu bringen, das er sie selber aussuchen ließ, weil er so anständig war, sich der Überzahlung zu schämen. Sie wählte einen kleinen gipsernen Napoleon, denn durch Béranger, den ihr die Großmutter vorlas, war sie durch die Napoleonlegende verzaubert worden, und öfters hörte man sie zu Gunthers Verdruß vor sich hin sagen:

      „Il portait petit chapeau

      Avec redingote grise ...“

      Auch jetzt wurde der Bruder über ihre Wahl СКАЧАТЬ