Название: Insel der verlorenen Erinnerung
Автор: Yoko Ogawa
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783954381234
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Es war in der Tat ein kompliziertes Verfahren. Man konnte sich das unmöglich gleich beim ersten Mal merken. Die anderen Schülerinnen blickten ebenso verzagt drein wie ich. Seine Finger hingegen bewegten sich geschickt und präzise.
»So, das war’s auch schon!«
Als sich das Farbband endlich von einer Rolle zur anderen durch das Innere der Maschine schlängelte, seufzten wir erleichtert auf.
»Haben Sie alle das verstanden?«
Er stemmte die Hände in die Hüften und blickte in die Runde. Seine Finger waren wie immer makellos, von Öl- oder Farbflecken keine Spur.
Mir gelang es damals nie. Entweder verhedderte sich das Band beim Einlegen, oder es gab keine Farbe ab, wenn ich die Tasten anschlug. Ich schwebte in ständiger Angst, das Band könnte noch während der Unterrichtsstunde aufgebraucht sein.
Inzwischen habe ich kein Problem mehr damit. Ich stelle mich mittlerweile sogar geschickter an als er. Seitdem die Schreibmaschine meine Stimme ersetzt, verbrauche ich ein Farbband in drei Tagen. Ich werfe die alten Bänder aber nicht mehr weg, sondern bewahre sie sorgsam auf, weil ich mir einbilde, dass meine Stimme vielleicht eines Tages wiederkehrt, wenn ich die eingestanzte Buchstabenreihe auf dem Seidenband betrachte oder mit dem Finger nachzeichne …
Ich zeigte R, was ich bislang geschrieben hatte. Da das Manuskript auf einen beträchtlichen Umfang angewachsen war, besuchte er mich zu Hause, weil er mir nicht zumuten wollte, den schweren Stapel in sein Büro zu tragen.
Wir nahmen uns Zeit, um jede einzelne Zeile durchzusprechen. Wir diskutierten, ob dieser oder jener Satz wirklich nötig sei, tauschten einzelne Wörter aus, beispielsweise »Kalender« für »Notizbuch« oder »Aussicht« statt »Blick«, fügten Passagen hinzu oder strichen andere.
R saß auf dem Sofa und blätterte ruhig eine Seite nach der anderen um, wobei er jede Seite behutsam mit den Fingerspitzen anhob.
Er behandelte meine Manuskripte stets mit größter Sorgfalt. Aber mich befiel immer eine gewisse Unruhe, wenn ich ihm zusah, denn ich fragte mich, ob mein Roman überhaupt eine solche Wertschätzung verdiente.
»So, für heute ist es genug.«
Wenn unser Arbeitspensum erledigt war, holte er Zigaretten und ein Feuerzeug aus der Innentasche seines Jacketts, während ich den Papierstapel mit einem Clip zusammenheftete.
»Darf ich Ihnen noch eine Tasse Tee bringen?«
»Sehr gern. Stark bitte, wenn es Ihnen nichts ausmacht!«
»Selbstverständlich.«
Ich schnitt uns ein Stück Kuchen ab, brühte den Tee auf und trug das Tablett dann ins Wohnzimmer.
»Ist das Ihre Mutter?«
Er zeigte auf das Foto.
»Ja.«
»Eine sehr schöne Frau. Sie sehen ihr ähnlich.«
»Nein, mein Vater sagte immer, das Einzige, was ich von ihr geerbt habe, seien meine guten Zähne.«
»Schöne Zähne sind doch wichtig.«
»In ihrem Atelier hatte meine Mutter immer in Zeitungspapier gewickelte Trockensardinen liegen, auf denen sie während der Arbeit herumkaute. Wenn ich als Baby nebenan im Laufstall zu laut schrie, hat sie mir eine davon in den Mund gestopft, damit ich Ruhe gab. Ich kann mich jetzt noch an den merkwürdigen Geschmack erinnern, und auch an diesen Geruch von Gips und Sägemehl. Ein ekliges Zeug.«
R fasste sich an die Brille und lächelte, nachdem er den Kopf gesenkt hatte.
Dann aßen wir schweigend den Kuchen. Es war oft so, dass wir nach unserem Arbeitsgespräch nicht so recht wussten, über was wir uns sonst noch unterhalten sollten. Es war aber keine beklemmende Stille, denn seine ruhigen Atemzüge hatten eine angenehme Wirkung auf mich. Außerdem kannte ich R eben nur als Lektor, der meine Manuskripte las. Ansonsten wusste ich nichts über ihn – weder über seine Herkunft noch über seine Familie. Ich wusste nicht, wie er seine freien Tage verbrachte, welchen Typ Frau er mochte oder welches sein Lieblingsteam beim Baseball war. Bei unseren Zusammentreffen war er immer nur derjenige, der meine Romane las.
»Gibt es hier noch viele Werke Ihrer Mutter?«
»Nein, nur die wenigen, die sie meinem Vater und mir zu Lebzeiten geschenkt hat.«
Ich betrachtete erneut das Foto von ihr. Sie trug ein luftiges Sommerkleid und lächelte schüchtern, während ich auf ihrem Schoß saß. Ihre bemerkenswert sehnigen Hände, die sonst nur mit schweren Werkzeugen wie Meißeln und Hämmern hantierten, streichelten meine zarten Babybeine.
»Ich glaube nicht, dass sie ihre Arbeiten auf Dauer behalten wollte. Aber ich erinnere mich, dass früher viel mehr Skulpturen im Atelier herumstanden. Vermutlich hat sie das meiste überstürzt beiseitegeschafft, als sie die Vorladung erhielt. Sie ahnte offenbar, dass ihr etwas Schlimmes bevorstand. Ich war ja damals noch ein Kind und kann mich nicht mehr genau an die Situation erinnern.«
»Wo war denn ihre Werkstatt?«
»Hier im Keller. Ich glaube, es gab auch noch eine Hütte, wo sie gelegentlich gearbeitet hatte, in einem Dorf flussaufwärts, aber nach meiner Geburt war sie nur noch hier unten im Atelier tätig.«
Ich tippte mit der Pantoffelspitze auf den Boden.
»Ich wusste gar nicht, dass es hier im Haus einen Keller gibt.«
»Es ist eigentlich kein richtiger Keller. Der Haupteingang auf der Südseite befindet sich an der Straße, aber nach Norden hin liegt das Haus direkt am Fluss. Im Wasser wurde ein Steinfundament angelegt, auf dem das Gebäude steht. Insofern liegt das Atelier auf Höhe des Flussbetts.«
»Das ist ziemlich ungewöhnlich, oder?«
»Meine Mutter liebte das Geräusch von Wasser. Keine wilde Brandung, sondern ein sanftes Plätschern. Zum Arbeiten brauchte sie lediglich drei Dinge: das Rauschen von Wasser, einen Laufstall und getrocknete Sardinen.«
»Das ist eine merkwürdige Kombination.«
Er drehte das Feuerzeug in der Hand und zündete sich eine Zigarette an.
Er zögerte, bevor er die nächste Frage stellte: »Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir das Atelier zu zeigen?«
»Das mache ich gerne«, erwiderte ich prompt.
Er stieß langsam den Rauch aus, als wäre er erleichtert, endlich eine Frage gestellt zu haben, die ihm schon lange auf der Seele lag.
»Der Boden ist hier viel kühler.«
»Ich СКАЧАТЬ