Politische Philosophie des Gemeinsinns. Oskar Negt
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Название: Politische Philosophie des Gemeinsinns

Автор: Oskar Negt

Издательство: Автор

Жанр: Афоризмы и цитаты

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isbn: 9783958298217

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СКАЧАТЬ Zeitalter der Ausweichmöglichkeiten ins Weltall, wäre dieses Modell auf das Sonnensystem zu erweitern.

      Einen weiteren Punkt, den Kant hier aufgreift, möchte ich noch erwähnen, weil er auf das Naturrecht zurückgeht. Sie wissen vielleicht, dass für die Entwicklung des Naturrechts etwa bei Hugo Grotius (1583–1645) die Frage nach dem Gemeinbesitz der Meere zentral war.44 Es ist nicht zufällig, dass diese Theorie in Holland entwickelt worden ist, das ein fundamentales Interesse an der Offenheit der Meere hatte. Ein Stück von ihr steckt auch in diesem Hospitalitätsrecht bei Kant und der Verfügung über Meere und Länder. Kant selbst deutet das an:

      Unbewohnbare Teile dieser Oberfläche, das Meer und die Sandwüsten, trennen diese Gemeinschaft, doch so, daß das Schiff, oder das Kamel (das Schiff der Wüste) es möglich machen, über diese herrenlose Gegenden sich einander zu nähern, und das Recht der Oberfläche, welches der Menschengattung gemeinschaftlich zukommt, zu einem möglichen Verkehr zu benutzen. Die Unwirtbarkeit der Seeküsten (z. B. der Barbaresken), Schiffe in nahen Meeren zu rauben, oder gestrandete Schiffsleute zu Sklaven zu machen, oder die der Sandwüsten (der arabischen Beduinen), die Annäherung zu den nomadischen Stämmen als ein Recht anzusehen, sie zu plündern, ist also dem Naturrecht zuwider, welches Hospitalitätsrecht aber, d. i. die Befugnis der fremden Ankömmlinge, sich nicht weiter erstreckt, als auf die Bedingungen der Möglichkeit, einen Verkehr mit den alten Einwohnern zu versuchen.45

      Jemanden zu überfallen, ist also dem Naturrecht zuwider, nicht aber etwas anzubieten, also der Warentausch. Der Versuch des Tauschverkehrs ist gerechtfertigt unter der Voraussatzung, dass er nicht gewalttätig erfolgt. Auf diese Art können entfernte Weltteile miteinander friedlich in Verhältnisse kommen, die zuletzt öffentlich gesetzlich werden, was das menschliche Geschlecht endlich einer weltbürgerlichen Verfassung immer näher bringt.

      Vergleicht man hiermit das inhospitale Betragen der gesitteten, vornehmlich handeltreibenden Staaten unseres Weltteils, so geht die Ungerechtigkeit, die sie in dem Besuche fremder Länder und Völker (welches ihnen mit dem Erobern derselben für einerlei gilt) beweisen, bis zum Erschrecken weit. Amerika, die Negerländer, die Gewürzinseln, das Kap etc. waren, bei ihrer Entdeckung, für sie Länder, die keinem angehörten; denn die Einwohner rechneten sie für nichts. In Ostindien (Hindustan) brachten sie, unter dem Vorwande bloß beabsichtigter Handelsniederlagen, fremde Kriegesvölker hinein, mit ihnen aber Unterdrückung der Eingebornen, Aufwiegelung der verschiedenen Staaten desselben zu weit ausgebreiteten Kriegen, Hungersnot, Aufruhr, Treulosigkeit, und wie die Litanei aller Übel, die das menschliche Geschlecht drücken, weiter lauten mag.46

      Die Kommunikation des gesellschaftlichen Weltverkehrs ist bei Kant sehr weit entwickelt und auch mit der nötigen materiellen Prächtigkeit der Kommunikation, nämlich des Warenhandels, begründet, wobei dieser Warenhandel ein materielles Element der Notwendigkeit dieser Kommunikationen darstellt. Ich möchte nicht diese aus der Natur kommenden Probleme auf die bürgerliche Gesellschaft übertragen, sondern zeigen, dass sich die Interpretation von Kant durchgehend durch eine sehr präzise Deutung des Systems von Interessen in der bürgerlichen Gesellschaft auszeichnet und einerseits einen Kommunikationszusammenhang begründet sowie andererseits die Notwendigkeit der Entfaltung von Naturanlagen. Dazu ziehe ich am besten die »Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht« heran. Diese Schrift unternimmt nicht den Versuch, ein Geschichtszeichen für die Evolution einer naturrechtlichen Verfassung zu finden, um die Behauptung des Rechts zu institutionalisieren, sondern will ein Leitfaden für die geschichtliche Entwicklung sein.

      Wer von Leitfaden spricht, macht gleichzeitig klar, dass es nicht um einen konstitutiven Zusammenhang geht. Kant behauptet also nicht, dass die Dinge tatsächlich so laufen, aber er liefert uns einen »Leitfaden«47, an dem wir mögliche Absichten der Natur in diesem Prozess verstehen können. Dabei greift er schlicht auf statistische Annahmen zurück, also auf Annahmen, die mit Durchschnittswerten arbeiten. Wie Geburten oder Todesfälle in einem bestimmten Land zu mitteln sind, arbeitet auch er mit Durchschnittswerten von Handlungen und möglichen Absichten, um festzustellen, ob nicht doch im »trostlose[n] Ungefähr«48 etwas wie eine Ordnung stecke.

      Die Menschen wollen zwar alle etwas ganz Verschiedenes; jeder hat seine Vorstellung von Glück und seine Vorstellung von Interessen. Und doch kommt, wie Kant bemerkt, dabei etwas heraus, das grundverschieden ist von dem, was jeder Einzelne gewollt hat, und das eine bestimmte Entwicklungslinie zeigt. Auf dieser Entwicklungslinie, die gewissermaßen einen Durchschnittswert darstellt, wird merkwürdigerweise Vernunft erkennbar. Daran gemessen verhalten sich die Einzelnen vernunftlos. Auch im Krieg laufe alles vernunftlos ab, was aber dabei herauskommt, könnte für Kant etwas Vernünftiges sein, dass nämlich die Völker begreifen, dass sie keine Kriege mehr führen dürfen:

      Es ist hier keine Auskunft für den Philosophen, als daß, da er bei Menschen und ihrem Spiele im Großen gar keine vernünftige eigene Absicht voraussetzen kann, er versuche, ob er nicht eine Naturabsicht in diesem widersinnigen Gange menschlicher Dinge entdecken könne; aus welcher von Geschöpfen, die ohne eigenen Plan verfahren, dennoch eine Geschichte nach einem bestimmten Plane der Natur möglich sei.49

      Die Menschen haben alle ihren Plan oder – nach Brecht – machen einen Plan und noch einen Plan, und beide gehen sie nicht.50 Jeder hat seine subjektiven Pläne und Absichten, seine teleologischen Zweckvorstellungen. Einen Gesamtplan, wie eine weltbürgerliche Ordnung, auf die Kant hinauswill, gibt es jedoch noch nicht. Er fragt sich daher, ob da nicht etwas heranwachse, von der Natur getrieben, was einen Gesamtplan vorbereitet, der allerdings nur durch Vernunft gestiftet werden kann: »Wir wollen sehen, ob es uns gelingen werde, einen Leitfaden zu einer solchen Geschichte zu finden; und wollen es dann der Natur überlassen, den Mann hervorzubringen, der im Stande ist, sie darnach abzufassen.«51 Sehr viele haben sich seither für diesen Mann gehalten, und dass Kant selbst einige benennt, hat im Historismus eine gewisse Rolle gespielt: »So brachte sie [die Natur, Anm. Negt] einen Kepler hervor, der die exzentrischen Bahnen der Planeten auf eine unerwartete Weise bestimmten Gesetzen unterwarf; und einen Newton, der diese Gesetze aus einer allgemeinen Naturursache erklärte.«52

      Es geht Kant also bei diesem Leitfaden darum, methodisch festzustellen, ob in der ganzen Gattung eine stetig fortgehende, obgleich langsame Entwicklung der ursprünglichen Anlagen zu erkennen ist: ob in der empirischen Welt der Erscheinungen, wo Kausalität waltet, wo nicht Freiheit vorherrscht, Kräfte festzustellen sind, welche Naturanlagen zu entwickeln helfen. Denn »[a]lle Naturanlagen eines Geschöpfes sind bestimmt, sich einmal vollständig und zweckmäßig auszuwickeln.«53 Dieser Satz zielt auf den öffentlichen Gebrauch der Vernunft nicht nur in der Gattung insgesamt, sondern auch im einzelnen Individuum. Der Zweite Satz ist wie gesagt eine Vernunftbestimmung der Naturanlagen oder anders im Sinne der transzendentalen Reflexion ausgedrückt: Es ist nicht anzunehmen, dass es Naturanlagen gibt, die nicht entwickelt werden sollen. Warum sollte es sie sonst geben? Folglich kann ein Vernunftwesen nicht denken, dass es Naturanlagen des Menschen zur Vernunft gibt, die nicht entwickelt werden sollen.

      Der Dritte Satz lautet entsprechend: »Die Natur hat gewollt: daß der Mensch alles, was über die mechanische Anordnung seines tierischen Daseins geht, gänzlich aus sich selbst herausbringe, und keiner anderen Glückseligkeit, oder Vollkommenheit, teilhaftig werde, als die er sich selbst, frei von Instinkt, durch eigene Vernunft, verschafft hat.«54 Er sagt hier weiter, das sei eine »Anzeige«: »Die Natur tut nämlich nichts überflüssig, und ist im Gebrauche der Mittel zu ihren Zwecken nicht verschwenderisch. Da sie dem Menschen Vernunft und darauf sich gründende Freiheit des Willens gab: so war das schon eine klare Anzeige ihrer Absicht in Ansehung seiner Ausstattung.«55 Sie finden bei Kant immer wieder diesen Zeichencharakter, Hinweise, um die herum sich empirische Tatbestände organisieren lassen, die das aber nicht ausdrücken.

      Abschließend sei hier noch Kants Antwort darauf wiedergegeben:

      Das Mittel, dessen sich die Natur bedient, die Entwickelung aller ihrer Anlagen zu Stande zu bringen, СКАЧАТЬ