Religion, Wissenschaft und die Erkenntnis der Wirklichkeit. Abraham Ehrlich
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      Ähnlich verhält es sich mit dem Wirklichkeits- und Schöpfungsverständnis. Die „nackte“ Realität ist dieselbe, jedoch das, wodurch ihre Wirklichkeit bestimmt ist, ist wesentlich anders. Der Begriff der Schöpfung enthält die Erweiterung des Wirklichkeitsgebildes auf eine Weise, die für die systematische Erkenntnismöglichkeit nicht zugänglich ist. Die Transzendenz, von der wir gesprochen haben14, stellt eine systematische, erkenntnistheoretische Bestimmung dar, die als solche keine religiös verbindliche Bedeutung hat.

      Damit die Transzendenz eine religiöse Bedeutung aufweisen kann, muss ihr Begriff stark verändert werden, und zwar so, dass sie nur als ein notwendiger Aspekt einer größeren, umfassenderen Wesenheit verstanden wird, die mit dem Namen „Gott“ versehen ist. Und statt von systematischer Erkenntnis zu sprechen, reden wir von Glauben bzw. von Gottesglauben.

      Was das konkret bedeutet, können wir anhand zweier Kategorien der Geschichtsauffassung verdeutlichen: die Kategorie der Geschichte im gewöhnlichen Sinne des Wortes und die Kategorie der Universalgeschichte.15

      In der Geschichte im gewöhnlichen Sinne des Wortes, die die weltliche Kategorie der Geschichte ausmacht, geht es um das Miteinander, Füreinander und Gegeneinander bestimmten menschlichen Handelns, wobei dieses Handeln kausal ausschließlich auf menschlich bewusste Entscheidungen (und Reaktionen auf Entscheidungen) zurückgeführt wird. Die geschichtlichen Vorgänge werden so insgesamt als rational bestimmte Vorgänge dargestellt, also ohne nennenswerte „Zufälle“ einerseits, andererseits aber, ohne, um diese geschichtlichen Vorgänge zu verstehen, von der „Hypothese“ einer göttlichen Einmischung in diese geschichtlichen Vorgänge Gebrauch zu machen.

      Die universalgeschichtliche Kategorie ist im Unterschied zur weltlichen Kategorie der Geschichte eine, die auf die Weltgeschichte als Gesamtgeschichte angewandt wird, um durch diese gesamtgeschichtliche Betrachtung eine Identitätsbestimmung von Völkern, Kulturen oder Religionen zu vollziehen und so auch ein umfassendes Verständnis über die eigene gegebene Gegenwart zu ermöglichen.

      Dies wird vollzogen, indem man die Weltgeschichte unter dem Gesichtspunkt dessen untersucht, was sie so eindeutig objektiv bestimmt. Es ist dieses Übergeschichtliche und die durch es bestimmte Tätigkeitsorientierung, die es uns ermöglicht, diese gesamtgeschichtliche Betrachtung zu vollziehen, um letztlich uns selbst in unserer Identität als das, was wir sein sollen, in der Weltgeschichte eindeutig zu bestimmen.

      Diese Kategorie der Geschichte ist also von Anfang an a-historisch. Sie strebt von Anfang an eine eindeutige Bestimmung von einzelnen geschichtlichen Erscheinungen an, und zwar so, dass in ihnen immer ein und dieselbe wirkende Macht sichtbar wird, nämlich die göttliche, und zwar in der Verwirklichung des Wesens des einzigen freien Tätigen in der Weltgeschichte, nämlich des Menschen. Auch das Eingreifen der göttlichen Macht in die unterschiedlichsten Ereignisse der Welt findet im Zusammenhang mit dem Menschen und mit seiner Lebensweise statt.

      Das heißt, nicht nur die Welt ist dieselbe und gleichzeitig nicht dieselbe („Wirklichkeit“ als systematische, erkenntnistheoretisch bestimmte Welt versus „Schöpfung“ als von Gott geschaffene Welt), sondern auch das Dasein des Menschen drückt sich demensprechend jeweils in einer anderen Seinsdimension aus.

      Das kommt in der Instanz der Maßstäbe und der Normen zum Ausdruck, die den Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen in ihren unterschiedlichen Prägungen bestimmen. Während im Rahmen der systematischen erkenntnistheoretisch bestimmten Wirklichkeit das Denken (im systematischen Sinne) die Instanz ist, die solche Maßstäbe und Normen bestimmt, ist im Rahmen der Schöpfung ausschließlich Gott derjenige, der die Maßstäbe und die Normen bestimmt.

      Das Bewusstsein des Menschen wie auch seine Absichten und Motivationen sind auf zwei voneinander ganz unterschiedliche Weisen bestimmt. Auf die eine Weise ist es der Mensch, der nach dem Maß seiner Wirklichkeits- und Selbsterkenntnis seinen Willen zur Handlung bestimmt, auf die andere Weise ist die von Gott gebotene Bestimmung des Willens zur Liebe zu Gott und zum Menschen die Norm und der Maßstab des legitimen menschlichen Handelns. Gott ist der einzige Eine, der die Mitte der Welt ist, und er verlangt von uns eindeutig und unmissverständlich, ihn zur Mitte unseres Lebens zu machen. Die wahre Religion ist eben absolut theo-zentrisch.

      Falls Gott existiert, müssen nach unseren systematischen Überlegungen beide Realitätsweisen einander decken: Die systematische, erkenntnistheoretisch bestimmte Wirklichkeit steht in einem solchen Fall notwendigerweise in vollem Einklang mit der Realität der Schöpfung Gottes. Die nackte Wirklichkeit als solche ist identisch, die Seinsweise ist eine andere. Das bedeutet aber nicht, dass es einen unmittelbaren Weg von der systematischen erkenntnistheoretisch bestimmten Wirklichkeit zur Schöpfung Gottes gibt, in deren Mitte Gott steht. Das Verbindungsglied zwischen beiden „Realitäten“ ist daher der religiöse Glaube.

      In den folgenden drei Teilen wird es um die Klärung des Problems der Beziehung zwischen Religion und rationalem Denken einerseits und andererseits um die Klärung der Frage nach dem Verhältnis zwischen Religion im Allgemeinen und der biblisch bestimmten monotheistischen Religion gehen, wie auch um die Beziehung zwischen Religion, Bibel und der Wissenschaft im allgemeinen und der Naturwissenschaft im besonderen.

      3 Das Wesen der Religion, herausgegeben von Albert Esser, Köln 1967, S.213

      4 Vgl. dazu System I

      5 Der Gotteswahn, Berlin 2007, S. 155

      6Stern 40/2007

      7 Der grosse Entwurf, Eine neue Erklärung des Universums, Reinbek bei Hamburg 2011, S. 11; von mir betont

      8 Ebd. S. 15; Betonung im Original

      9 Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Was ist Aufklärung? Hrsg. Von Ehrhard Bahr, Stuttgart 1974, S. 9

      10Kritik der reinen Vernunft, A 804/B 832-A 805/B 833

      11 Was ist Aufklärung? S. 9, im Original betont

      12 Isabelle Schleich, Immanuel Kant und die Aufklärung, München 2008, S.3, von mir betont

      13Vgl. dazu System I

      14 Vgl. dazu System III

      15Vgl. dazu System III

      I. RELIGION, DER RELIGIÖSE GLAUBE UND DER MONOTHEISMUS

      1. Die erste Frage, die wir in diesem Zusammenhang klären müssen, ist, was wir unter "religiösem Glauben" und "Religion" verstehen.

      Wenn wir vom religiösen Glauben reden, meinen wir die Wahrnehmung von etwas in der Welt, das in jeder oder in bestimmter Hinsicht übermenschlich mächtig ist, etwas, das so wahrgenommen wird, das uns persönlich und kollektiv unbedingt angeht und uns verpflichtet.

      Dieses Etwas kann eine Naturkraft, ein Himmelskörper oder eine vom Menschen als Ausdruck des tiefen Glaubens erzeugtes Objekt sein, das religiöse Macht darstellt. Sie alle stellen das Göttliche selbst dar oder vermitteln auf eine bestimmte Weise zwischen dem Glaubenden und dem Göttlichen.

      Wichtig ist die Wahrnehmung der Wirkung dieser Macht als Ausdruck von Absicht und Wille, die als das Eingreifen dieser Macht (oder Mächte) in die Ereignisse der Welt im Allgemeinen und in die Sphäre des Menschen im Besonderen verstanden wird. Das Bedürfnis, diese Macht oder Mächte anzubeten und ihnen zu dienen, wurzelt in dieser religiös СКАЧАТЬ