Название: Psychiatrie in Bewegung
Автор: Mario Gmür
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783907301074
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Verharmlosende Umdefinierungen der Schizophrenie könnten sich nur allzuleicht zur raffiniertesten Variante der Intoleranz gegenüber dieser Lebenserscheinung auswachsen, weil sich Ablehnung, ja Diskriminierung hier ins Gewand von wissenschaftlich fundiertem Altruismus hüllt. Sie entpuppten sich als verschlüsselte Form der Ausschliessung und Absonderung, der Exkommunikation von Schizophrenie und des Schizophrenen, die sich handfester Anfechtbarkeit mehr entzieht als etwa offene institutionelle Isolierung. Gerade gegenüber Schizophrenen offenbart die Heilsbemühung des Arztes mitunter ihr Janus-Gesicht: Heilen heisst, im Patienten das Gesunde fördern, aber auch die Krankheit ablehnen. Insoweit der Patient mit seinem Denken und Fühlen, seiner Krankheit eins ist, gerät er also nur allzuleicht in die Lage, dass er sich einem Helfer gegenübersieht, der ihn ablehnt. Solcher Widersprüchlichkeit können wir uns entziehen, wenn wir anerkennen, dass jede Krankheit ihr Gutes und ihr Schlechtes haben kann.
Welche Behandlungstechniken auch immer erfunden, entwickelt und appliziert werden – Psychopharmaka, Familientherapie, Psychoanalyse, Milieutherapie –, sie erliegen oft der Gefahr, unsere Beziehung zum Patienten zu instrumentalisieren, diesen zum Objekt therapeutischen Handelns zu degradieren und die Schizophrenie zu einer besiegbaren Krankheit zu verdinglichen. Es sei den Forschungsbemühungen nicht die Berechtigung abgesprochen, Kampfinstrumente und -strategien gegen die Krankheit zu entwickeln, doch hat deren Verwendung stets den situativen Kontext der Krankheit zu beachten, den ich als therapeutische «Quartettsituation» chrakterisieren möchte, konstelliert durch die vier Elemente Krankheit, Therapie, Arzt, Patient. In Abwandlung eines Dichterzitates wäre die Situation des Arztes mit den Worten zu beschreiben: Es werden Patienten bestellt, es kommen Menschen. Die Quartettsituation reduziert sich auf eine Dualsituation in dem Masse, wie Arzt und Therapie hier, Patient und Krankheit dort zu einem einheitlichen Ganzen verschmelzen. Der Patient, der nicht «krankheitseinsichtig» sei – er ist mit seiner Krankheit eins. «Der Arzt als Droge» ist mit seiner Therapie eins, auch in der Handhabung seiner Instrumente.
Der Patient in der Praxis
Patienten sind in der hausärztlichen Praxis (wie auch im Leben) anders als in der Magistralvorlesung. Weshalb? Im Hörsaal richtet sich das Augenmerk von Dozent und Publikum in synthetischganzheitlichem Verständnisbemühen auf Symptome, Syndrome und Krankheit.
Der «vorgeführte» Patient als Träger der Schizophrenie verschwindet gleichsam im Kleide seiner Pathologie, das sich einmal mehr wallend und buntscheckig, einmal mehr bescheiden und farblos vom Dozenten ausgebreitet und kommentiert, dem Auditorium darbietet. Demonstration und Vortrag begründen als Rüstzeug die Wissensvermittlung von Krankheitszusammenhängen in ihrem Pathologiebezug. Ausgespart bleibt oft der «Sitz im Leben» und, da mit zusammenhängend, die Beziehung zwischen Arzt und Patient, dort, wo sie sich im Alltag gewöhnlich herstellt, nämlich in der ärztlichen Praxis als ärztliche Konsultation.
Hier richtet sich unser Interesse nicht nur auf das Erscheinungsbild, sondern auch auf das Erleben des Patienten. Nicht was er hat, sondern wie er ist und wie er auf uns wirkt, ist oft für unsere Einstellung zu ihm massgebend. Von Bedeutung ist, dass sich die schizophrene Veränderung nicht wie ein somatisches Leiden als ein Vorgang am, sondern im Patienten abspielt und somit sein Urteil und seine Einsicht primär mit einbezieht. Die Veränderung, von Conrad (6) als verändertes Bedeutungsbewusstsein charakterisiert, geht also, wenn auch graduell verschieden, auf der Subjekt- und nicht auf der Objektstufe vor sich. Je nachdem, wie peripher (objektal) oder zentral (subjektal) sich dieses schizophrene Geschehen abspielt, stellt sich beim Patienten Krankheitseinsicht ein. Der folgende Abschnitt soll uns diesen Vorgang verständlich machen.
lch-synton –ich-dyssynton (= ich fremd}
Dass sich die Erde dreht, dessen werden wir nicht gewahr, weil wir uns mit ihr drehen. Wir stehen zur Erdumdrehung, dieser lebenslänglichen, ja lebensüberdauernden Rundfahrt, in keinem Bewusstseinsverhältnis. Als aufgeklärte Menschen hätten wir allen Grund anzunehmen, dass es die Sonne ist, die uns täglich mit ihrem Besuch beehrt und uns wieder verlässt. Würde ein Astronom uns (die wir solchermassen unaufgeklärt wären) entgegnen: «Du bist ja paranoid, die Sonne steht still, und Du bist es, der sich mit der Erde dreht», so würde er wohl an diesem unserem Paranoid, «die Sonne kommt, die Sonne geht», nicht viel zu ändern vermögen. Vielmehr brauchte es eines beträchtlichen Aufwandes an Beweisführung, unter Beiziehung geometrischer Erklärungsmodelle, um uns aus den Angeln unseres Selbstmissverständnisses zu heben. Etwas anders verhält es sich, wenn wir in einem Bahnhof im stehenden Zug Platz genommen haben und plötzlich den Eindruck gewinnen, dieser setze sich in Bewegung, weil sich der auf dem Nachbargeleise stehende Zug in der Gegenrichtung fortbewegt. Wir werden den Irrtum bald bemerken, indem wir uns an andern ruhigstehenden Objekten, z. B. am andern Fensterausblick, orientieren. Ähnlich verhält es sich mit den Veränderungen im Schizophrenen: Ist das Epizentrum der schizophrenen Veränderung im Kern des Ichs (in der zeitlichen Kontinuität), so ist diese ichsynton, d. h. der Schizophrene fühlt sich mit dieser Veränderung eins. Liegt die Veränderung hingegen an der Peripherie seines Ichs, so trägt sie Objektcharakter und begründet eine Krankheitseinsicht, was sich etwa in Klagen über diese Veränderung kundtut, wie: «Ich habe Stimmen» oder «ich habe mich verändert.» Ist die Schizophrenie ichsynton, so sehen wir uns einem schizophrenen Gesprächspartner gegenüber, der nur eine geringe Krankheitseinsicht zeigt und an seiner Interpretation der Vorgänge festhält. In dem Masse, wie die schizophrene Symptomatik als ichfremd (dyssynton) erlebt wird, bewertet der Schizophrene diese als krankhaft und ist bereit, mit dem Arzt eine Koalition zu deren Behandlung einzugehen. Mitunter erscheint ein Patient bei uns mit der Bitte um Medikamente, weil er «seit heute morgen wieder einen Wahn» habe. Die Kooperation des Patienten wächst mit zunehmender Ich-Fremdheit seiner Symptomatik. Unser Bemühen hat daher darauf abzuzielen, den Patienten seine schizophrene Symptomatik als ich- fremd erleben zu lassen. Der ich-syntone Charakter der beginnenden Schizophrenie ist der Hauptgrund dafür, dass Ersterkrankungen so selten mit Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft einhergehen. Erst die immer wiederkehrenden Zusammenstösse mit der Umwelt, Rehospitalisierungen und das soziale Versagen lassen einen Leidensdruck entstehen und die Bereitschaft, an sich selbst etwas zu ändern. Die allmähliche Herauskristallisierung einer Krankheit «Schizophrenie» mit Objektcharakter führt zu einer Triangulierung der Arzt/Patienten-Beziehung, indem sich eine Dreiecksbeziehung Arzt-Patient-Symptom einstellt, die sich im Idealfall zu einem erfolgreichen Bündnis zwischen Arzt und Patienten gegen die Krankheit konstelliert.
Psychotherapie?
Als Psychotherapie kann jede beruflichpsychiatrische Zuwendung und Aktivität verstanden werden, die den Anspruch erhebt, auf das Seelenleben eines Kranken einen gesunderhaltenden oder gesundmachenden Einfluss zu nehmen. Auch banale Formen wie die blosse Abhaltung einer Kurzsprechstunde und die Verordnung eines Medikamentes zählen dazu. Der heutige Sprachgebrauch grenzt indessen den Begriff «Psychotherapie» oft auf die systematische Durchführung einer Gesprächstherapie ein, bei welcher auch tiefenpsychologische Ansätze oder interpretative Techniken zum Tragen kommen. Konfliktbearbeitung und -deutung, zum Teil auch Interpretationen unbewusster Zusammenhänge, sind die zentralen Techniken der Psychotherapie im engeren Sinne. Angehörige und schizophrene Patienten selber erkundigen sich bei uns gelegentlich nach den Chancen solcher Psychotherapien oder bekunden gar ein ernsthaftes, eventuell СКАЧАТЬ