Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild. Gustav von Bodelschwingh
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild - Gustav von Bodelschwingh страница 15

Название: Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild

Автор: Gustav von Bodelschwingh

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 4064066114688

isbn:

СКАЧАТЬ mich meine Armenbesuche führten, einen besonders erschreckenden Eindruck. Bei den alten pommerschen Katen waren die vier Pfosten der Hütte ohne jede Schwelle einfach auf vier Steine gesetzt. Je mehr nun diese Pfosten an ihrem unteren Ende faulten, desto tiefer sank die Hütte zur Erde herunter. Solange der Branntwein in solch schornsteinlosen Hütten nicht das Regiment führte, ließ sich ganz glücklich darin leben. Ja, es hatte früher einen langjährigen Krieg der Bewohner dieser alten Hütten gegen die modernen Schornsteinhäuser gegeben.

      Aber in der obenerwähnten Hütte, in die ich nur mit gebücktem Kopf hatte eintreten können, herrschte der Branntwein. Der Mann soff, solange er etwas hatte, die Frau auch, und selbst ihren Kindern gaben sie zur Betäubung des Hungers von dem unseligen Naß. Als ich nun durch die niedrige Tür in den einzigen Raum, den der Katen enthielt, hineingekrochen war, sah ich auf dem Strohlager an der Erde eine Leiche liegen. Es war die Leiche der Mutter des Hauses. Während ich noch, entsetzt von dem Anblick der Not und des Grauens, dastand, bewegte sich die Decke, und ein schmutziger Kinderkopf und bald noch einer guckten unter der Decke hervor, verkrochen sich aber bald wieder, denn es war bitter kalt. Draußen lag Schnee und drinnen brannte kein Feuer.

      Bei dieser armen Familie versuchte ich zuerst mein Heil mit meinen 100 Talern, wurde aber gründlich zuschanden. Denn der Roggen, den ich ihnen schenkte, und die Kleider, die ich für die armen zerlumpten Kinder kaufte, wurden, soweit es möglich war, wieder in Branntwein verwandelt. Ähnlich ging es mir bei andern Familien. Meine 100 Taler waren im Umsehen ausgegeben; aber ausgerichtet hatte ich nichts. Und diese Lehre war mir nicht zum Schaden, denn ich lernte, daß mit bloß menschlichen Künsten der Gutmütigkeit gegen menschliches Elend und gegen Sünde, von der das Elend stammt, nichts auszurichten ist.

      Wie ganz anders sah es aber in der Hütte aus, in die mich mein Freund Mellin führte! Auch in ihr wohnte große Armut und Krankheit und Elend dazu. Aber statt des Branntweins hatte hier der Friede Gottes das Regiment! Seit 28 Jahren, fast von seiner Jugend an, lag hier auf verhältnismäßig sauberem Lager ein Lazarus: „der kranke Fritz”, so hieß er im Dorf. Aber er besaß, was mehr war als die Schätze Ägyptens: er wußte, was er an Jesus Christus hatte, nämlich die Erlösung durch sein Blut, die Vergebung der Sünden. Und das machte ihn reich und glücklich. Der Vergleich mit den armen Branntweinsäufern, die mit keinem Mittel menschlicher Weisheit aus ihrem Elend gerissen werden konnten, zugleich mit der Erinnerung an meine vergeblich ausgegebenen 100 Taler — und dem gegenüber der kranke Fritz mit seinem reichen Besitz der unvergänglichen köstlichen Perle machten einen tiefen Eindruck auf mich. Der kranke Fritz wurde von da ab im Verborgenen mein Freund. Gott allein weiß es, und die Ewigkeit wird es klarmachen, was ich ihm verdanke!

      Mitten in diese für mich so bewegte Arbeits- und Kampfeszeit fiel ein Ereignis besonderer Art. Ich war eines Abends im Monat Mai 1854 nach Buchwald hinübergeritten, wo mir ja immer der Eintritt in das liebe Glasenapsche Familienleben offen stand. Da wurde ein Brief durch einen besonderen Boten von Gramenz hinter mir her geschickt. Er war von der Hand meiner lieben Mutter und begann: „Ehe Du diesen Brief liest, mein lieber Sohn, bitte Gott, daß es Dir zum Segen werde, was ich Dir mitteilen muß.” Und nun kam die Nachricht von dem seligen Heimgang meines Vaters.

      Der Vater hatte sich schon mehrere Jahre zuvor wieder eine Arbeit vom König ausgebeten. Und zwar hatte er gewünscht, daß ihm wieder ein Landratsamt zugewiesen werden möchte. Er trachtete nicht nach hohen Dingen, und solch ein geringer Posten wäre ihm in der Tat das liebste gewesen. Statt dessen hatte ihn der König im Jahre 1852 zum Regierungspräsidenten in Arnsberg ernannt anstelle des jüngeren Bruders meines Vaters, der das Finanzministerium in Berlin übernahm. Auch dieser Posten war ihm recht, und er hat ihn mit größter Freudigkeit und Treue die zwei letzten Jahre seines Lebens verwaltet.

      Etwa ein Jahr vor der mir ganz überraschend gekommenen Todesnachricht hatte mich schon einmal ein Brief der Mutter plötzlich den weiten Weg von Gramenz nach Westfalen machen lassen. Die Mutter schrieb, daß der Vater tödlich erkrankt sei und die Ärzte wenig Aussicht für sein Leben ließen. Als ich nach Berlin zu meinen Verwandten kam, war die dort eingetroffene Nachricht noch hoffnungsloser, sodaß ich nichts anderes mehr erwarten konnte, als des Vaters Antlitz hienieden nicht mehr zu sehen.

      Ich kam von Soest mit der Post abends zehn Uhr in Arnsberg an, wo das elterliche Haus dicht bei der katholischen Kirche an einem freien Abhang gelegen war. Der Mond stand hell am Himmel. Ich traute mich zunächst nicht in das Haus hinein, sondern ging von allen Seiten herum, um an den etwa vorhandenen Lichtern zu erkennen, was ich darin wohl vorfinden würde. Noch stand ich einen Augenblick an das Geländer des Abhangs gelehnt, als plötzlich die Haustür aufging und ein Mann heraustrat. Es war der Doktor. Ich lief ihm nach und faßte ihn beim Arm. „Gehen Sie nur getrost hinein,” sagte er, „seit heute mittag ist die Krisis zum Leben eingetreten.”

      Drinnen fand ich außer der Mutter und den beiden Schwestern auch meine beiden Brüder, die bereits vor mir eingetroffen waren, Franz von seiner Oberförsterei, Ernst, der den Soldatenstand erwählt hatte, von seiner Garnison in Frankfurt a. M. Ich war der weiteste und letzte. Am Morgen nach meiner Ankunft hörte ich, an der Tür stehend, den Vater zur Mutter sagen: „Frau, was machst du für ein Gesicht! Ich glaube, der Friedrich ist auch da.” So mußte ich denn hinein. Dann haben wir miteinander, wie schon so oft, die selige Zeit der Wiedergenesung des Vaters mit innigster Dankbarkeit und Freude gefeiert. Denn sobald die Krisis eingetreten war, ging es bei der kräftigen Natur des Vaters meist schnell wieder mit ihm aufwärts. Es war dies das letzte Zusammensein, das ich auf Erden mit dem teuren Vater hatte. Noch einmal kosteten wir alle mit vollen Zügen das friedsame Glück unseres Familienlebens.

      Bei Gelegenheit dieser seiner Erkrankung hatte Vater vor der Feier des heiligen Abendmahls einmal gesagt: „Herr, wenn du siehst, daß es mir und den Meinen heilsam ist, daß ich noch bleibe, so will ich wohl bleiben; wenn du aber siehst, daß ich von dir abkommen sollte, so nimm mich nur gleich dahin!” Dem Pastor Bertelsmann aber sagte er damals: „Ein armer bußfertiger Sünder stirbt allezeit in Frieden.” Von dieser Zeit ab äußerte er öfter das Verlangen, daß ihm Gott doch ein langes untätiges Alter ersparen möchte und, wenn er nicht mehr arbeiten könne, mit ihm eilen möchte aus der Zeit in die Ewigkeit.

      Besonders schwer lag meinem Vater meine Zukunft auf der Seele. Weil er arm war und mir kein eigenes Gut kaufen konnte, mich auch die Bewirtschaftung unseres kleinen Familienbesitzes Velmede nicht hätte befriedigen können, so hatte ich meinem Vater öfter erklärt, daß ich gern mein Leben lang als Verwalter fremder Güter arbeiten wolle. In der Tat erscheint mir das noch jetzt viel leichter, als selbst Besitzer zu sein, wenigstens unter den Verhältnissen, in denen sich die meisten Besitzer der östlichen Provinzen befinden. (1884 geschrieben.) Einmal ist es die Last der Sorge, die einen großen Teil von ihnen drückt, da sie mit Schulden beladen sind. Aber noch mehr sind die Umstände qualvoll, daß sie sich immer in den Gewinn der Ernte gewissermaßen mit den Tagelöhnern zu teilen haben und dabei der beständige Kampf nicht aufhört, wieviel sie diesen geben, wieviel sie selbst behalten sollen. Für einen Verwalter fremden Gutes, der keinen eigenen Gewinn für sich daraus zu ziehen hat, ist dagegen die Lage unvergleichlich leichter, und die Sorgen sind so viel geringer.

      Gleichwohl war dieser Gedanke meinem Vater schwer; und er hatte den Wunsch, da meine Gesundheit sich inzwischen wieder vollkommen gekräftigt hatte, daß ich noch einmal eine Universität beziehen möchte. Was ich aber nach seiner Meinung studieren solle, sagte er nicht. Bloß wenn vom juristischen Studium die Rede war, sagte er: „Junge, das ist für dich zu trocken, das hältst du nicht aus.” — So blieb diese Frage offen. Ich reiste von Arnsberg nach Pommern zurück, um zunächst meine dortige Arbeit fortzusetzen, in der ich dann, ein Jahr später, durch die Nachricht von dem Tode meines Vaters überrascht wurde.

      Durch eine Hungersnot, die infolge einer Mißernte im südlichen Teil des Regierungsbezirks Arnsberg herrschte, hatte Vater im Frühling 1854 eine ihn besonders bedrückende Last auf sich liegen. Er liebte es nicht, solche Nöte vom grünen Tisch aus zu bekämpfen, sondern hatte sich persönlich nach dem armen Wittgensteiner СКАЧАТЬ