Gesammelte Werke. Robert Musil
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Robert Musil

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026800347

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СКАЧАТЬ Worten und der Art, wie seine Zeit das Sprachkleid trägt. Kein Mensch weiß deshalb genau, wieviel von dem er meint, was er schreibt, und beim Sprechen verdrehn die Menschen lang nicht so die Worte, wie die Worte den Menschen.

      Vielleicht also kann doch auch nicht jedermann malen? Sehr richtig, und ich glaube: der Maler kann es nicht. Er verhält sich zum Malsteller wie der Dichter zum Schriftsteller, und auch der Dichter ist der, welchem das Schreiben schwer fällt, weil er irgendwie bloß mit dem Abschreiben nicht auskommt, so lange, bis das Allerweltskleid an ihm eine andere Fasson hat und wie neu aussieht. Er ist nach Ansicht seiner Zeitgenossen immer bloß der, welcher das nicht kann, was der Schriftsteller kann. Weshalb sich so viele Schriftsteller für Dichter halten und Malsteller für Maler. Der Unterschied stellt sich gewöhnlich erst heraus, bis es zu spät ist. Denn dann ist bereits eine neue Generation von -Stellern da, welche das schon kann, was der Maler und der Dichter eben erst gelernt haben.

      Man kann daher auch sagen, der Maler und der Dichter gehören der Zukunft an oder der Vergangenheit, sie werden immer erwartet oder als ausgestorben beklagt. Wenn aber einer einmal leibhaftig dafür gilt – ist es gewöhnlich nicht der Richtige.

      Hasenkatastrophe

[24. Oktober 1923]

      Die Dame war gewiß erst am gestrigen Tag aus der Glasscheibe eines großen Geschäfts herausgetreten, niedlich war ihr Puppengesichtchen; ich meine zuweilen, man müßte erst tüchtig mit dem Stiefelabsatz in solch einem Gesicht herumrühren dürfen, bevor ein wenig Originalität hineinkäme. Aber man trägt Schuhe mit seifenglatten Büffelledersohlen und Beinkleider, die wie mit dem Lineal und weißer Kreide entworfen sind. Man entzückte sich am Wind. Er preßte das Kleid an die Dame und machte ein jämmerliches kleines Gerippe aus ihr, ein dummes Gesicht mit einem ganz kleinen Mund. Dem Zuschauer machte er natürlich ein kühnes Gesicht. Geradenwegs von Gott kam dieser Wind, besessen noch von den sieben Schöpfungstagen, als Gott blies, um die Erde zu kühlen, und niemand noch wußte, was dabei herauskommen würde.

      Kleine Hasen leben ahnungslos zwischen den weißen Bügelfalten und den teetassendünnen Röcken. Schwarzgrün wie Lorbeer dehnt sich sonst der Heroismus der Insel um sie. Möwenscharen hocken in den Mulden der Heide, wie Beete voll weißer Schneeblüten, die der Wind bewegt. Der kleine, weiße, langhaarige Terrier der kleinen, mit einem Pelzkragen geschmückten weißen Dame stöbert durch das Kraut, die Nase fingerbreit über der Erde; weit und breit ist auf dieser Insel kein anderer Hund zu wittern, nichts ist da als die ungeheure Romantik vieler, kleiner, unbekannter, die Insel durchkreuzender Fährten. Riesengroß wird der Hund in dieser Einsamkeit, ein Held. Aufgeregt, messerscharf gibt er Laut, die Zähne blecken wie die eines Seeungeheuers. Vergebens spitzt die Dame das Mündchen, um zu pfeifen, der Wind reißt ihr das kleine Schällchen, das sie hervorbringen möchte, von den Lippen.

      Mit solch einem stichligen Fox habe ich schon Gletscherwege gemacht; wir glatt auf den Skiern, er blutend, bis zum Bauch einbrechend, vom Eis zerschnitten und dennoch voll wilder, nie ermüdender Seligkeit. Jetzt hat er etwas aufgespürt, die Beine galoppieren wie Hölzchen, der Laut wird ein Schluchzen. Merkwürdig ist an diesem Augenblick, wie sehr solche, flach auf dem Meer schwebende Insel an die großen Kare und Tafeln im Hochgebirge erinnert. Die schädelgelben, vom Wind geglätteten Dünen sind wie Felskränze aufgesetzt. Zwischen ihnen und dem Himmel ist die Leere der unvollendeten Schöpfung. Licht leuchtet nicht auf dies und das, sondern schwemmt wie aus einem versehentlich umgestoßenen Eimer über alles. Man ist jedesmal erstaunt, wenn man entdeckt, daß Tiere diese Einsamkeit bewohnen. Sie gewinnen etwas Geheimnisvolles; ihre kleinen weichwolligen und -fedrigen Brüste bergen den Funken des Lebens. Es ist ein kleiner Hase, den der Fox vor sich hertreibt. Ich denke: eine kleine, wetterharte Bergart, nie wird er ihn erreichen. Eine Erinnerung aus der Geographieschule wird lebendig: Insel – eigentlich stehn wir ja auf der Kuppe eines hohen Meerbergs? Wir, zehn bis fünfzehn stehengebliebene Badegäste in farbigen Tollhausjacken, wie sie die Mode vorschreibt. Man verwirft begreiflicherweise diesen Gedanken wieder und sagt sich, das Gemeinsame ist nur die unmenschliche Verlassenheit; verstört wie ein Pferd, das den Reiter abgeworfen hat, ist die Erde überall dort, wo der Mensch nicht hinreicht; ja, gar nicht gesund, sondern geradezu geisteskrank erweist sich die Natur im Hochgebirge und auf kleinen Inseln. Aber zu unsrem Erstaunen hat sich die Entfernung zwischen dem Hund und dem Hasen verringert; der Fox holt auf, man hat so etwas noch nie gesehn, ein Hund, der den Hasen einholt! Das wird der große erste Triumph der Hundewelt! Begeisterung beflügelt den Verfolger, sein Atem jauchzt in Stößen, es ist keine Frage mehr, daß er binnen wenigen Sekunden seine Beute eingeholt haben wird. Da schlägt der Hase den Haken. Und da erkenne ich, an etwas Weichem, weil der harte Riß diesem Haken fehlt, es ist kein Hase, es ist nur ein Häschen, ein Hasenkind.

      Ich fühle mein Herz; der Hund hat beigedreht; er hat nicht mehr als fünfzehn Schritte verloren; in wenigen Augenblicken ist die Hasenkatastrophe da. Das Kind hört den Verfolger hinter dem Schweifchen, es ist müde. Ich will dazwischenspringen, aber es dauert so lange, bis der Wille durch die linearen Hosen in die glatten Sohlen fährt, oder vielleicht war der Widerstand schon im Kopf. Zwanzig Schritte von mir – ich müßte phantasiert haben, wenn das Häschen nicht verzagt stehen blieb und seinen Nacken dem Verfolger hinhielt. Der schlug seine Zähne hinein, schleuderte es ein paarmal hin und her, dann warf er es auf die Seite und grub sein Maul zwei-, dreimal in Brust und Bauch.

      Ich sah auf. Lachende, erhitzte Gesichter standen umher. Es war plötzlich wie vier Uhr morgens geworden nach durchtanzter Nacht. Der erste von uns, der aus dem Blutrausch erwachte, war der kleine Fox. Er ließ ab, schielte mißtrauisch zur Seite, zog sich zurück; nach wenigen Schritten fiel er in kurzen, eingezogenen Galopp, als erwartete er, daß ihm ein Stein nachflöge. Wir andern aber waren bewegungslos und verlegen. Eine schale Atmosphäre unausgesprochener Worte umgab uns wie «Kampf ums Dasein» oder «Grausamkeit der Natur». Solche Gedanken sind wie die Untiefen eines Meeresbodens, aus ungeheurer Tiefe emporgestiegen und seicht. Am liebsten wäre ich zurückgegangen und hätte die sinnlose kleine Dame geschlagen. Dies war noch eine aufrichtige Empfindung, aber dann kam schon ein Gedanke, schon etwas Ferneres, nämlich wie viel besser erzogen ein Neger ist, der Menschen frißt, aber es nur wegen des großen Geheimnisses tut. Endlich nahm ein hochgewachsener behaglicher Herr den Hasen in beide Hände, zeigte seine Wunden den Hinzugetretenen und trug die dem Hund abgejagte Leiche wie einen kleinen Sarg in die Küche des nahen Hotels. Dieser Mann stieg als erster aus dem Unergründlichen und hatte den festen Boden Europas unter den Füßen.

      Der Gläubige

[1924]

      Schob rasch den Vorhang zur Seite: – die sanfte Nacht! Ein mildes Dunkel liegt im Fensterausschnitt des harten Zimmerdunkels wie ein Wasserspiegel im viereckigen Bassin. Ich sehe es wohl gar nicht, aber es ist wie im Sommer, wenn das Wasser so warm ist wie die Luft und die Hand aus dem Boot hängt. Es wird sechs Uhr morgens am ersten November.

      Gott hat mich geweckt. Ich bin aus dem Schlaf geschossen. Ich hatte gar keinen andren Grund, aufzuwachen. Ich bin losgerissen worden wie ein Blatt aus einem Buch. Die Mondsichel liegt zart wie eine goldene Augenbraue auf dem blauen Blatt der Nacht.

      Aber auf der Morgenseite am anderen Fenster wird es grünlich. Papageienfedrig. Schon laufen auch die faden rötlichen Streifen des Sonnenaufgangs herauf, aber noch ist alles grün, blau und ruhig. Ich springe zum ersten Fenster zurück: Liegt die Mondsichel noch da? Sie liegt da, als ob es tiefste Stunde des nächtlichen Geheimnisses wäre. So überzeugt von der Wirklichkeit ihrer Magie, als ob sie Theater spielte. (Nichts Komischeres gibt es, als wenn man aus vormittägigen Straßen in den Abersinn einer Theaterprobe tritt.) Links pulst schon die Straße, rechts probt die Mondsichel.

      Ich entdecke seltsame Brüder, die Schornsteine. In Gruppen zu dritt, zu fünf, zu sieben oder allein stehn sie auf den Dächern; wie Bäume in der Ebene. Der Raum windet sich wie ein Fluß zwischen ihnen in die Tiefe. Ein Uhu schleift zwischen ihnen nachhause; wahrscheinlich war’s eine Krähe oder eine Taube. Die Häuser stehn kreuz und quer; seltsame Umrisse, abstürzende Wände; gar nicht nach Straßen geordnet. Die Stange am Dach mit den sechsunddreißig Porzellanköpfen СКАЧАТЬ