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Als Katharina Hasselt zu Danny Norden ins Behandlungszimmer kam, fiel ihm sofort auf, dass die junge Frau anders aussah als bei ihrem ersten Besuch bei ihm. Doch erst nach der Begrüßung wurde ihm klar, dass es an ihrem dezent geschminkten Gesicht und der neuen Frisur lag.
»Wie geht es Ihnen?«, überging er diese Veränderung geflissentlich und konzentrierte sich auf das Wesentliche.
Die Patientenkarte lag aufgeklappt vor ihm, und schon im Vorfeld hatte er sich im Computer den Fall in Erinnerung gerufen.
»Der Zeh tut immer noch sehr weh!«, erwiderte Katharina schüchtern.
Sie wagte kaum ihn anzusehen, als sie sich eine Strähne ihres blonden Haares aus der Stirn strich.
Danny war nicht dumm. Ihm war schon aufgefallen, dass sich nach und nach immer mehr Frauen in seiner Sprechstunde einfanden und ihm die eine oder andere noch viel unverfrorener als die schüchterne Katharina Hasselt schöne Augen machte. Bisher hatte ihm diese Aufmerksamkeit geschmeichelt. Doch langsam aber sicher wurde es ihm zu viel. Vor allen Dingen, weil er sicher sein konnte, dass sie auch seinem Vater nicht entgehen würde. Wie unglaublich peinlich!
»Dann wollen wir uns den Schlingel mal ansehen«, überging er Katharinas Signale deshalb geflissentlich mit einem flotten Spruch und bat sie hinüber ins Behandlungszimmer.
Kichernd setzte sie sich auf die Liege und entblößte den rechten Fuß.
»Sehen Sie nur, der Zeh ist immer noch ganz rot.« Sie deutete auf die deutliche Rötung, die mit einer Schwellung einherging. »Ich hatte schon öfter solche Entzündungen und wurde schon zwei Mal am Nagelbett operiert. Einmal hat man mir den Nagel sogar gezogen.« Mit Grausen erinnerte sich Katharina an diese schmerzhafte und noch dazu sinnlose Prozedur.
Die Entzündung hatte sich nach einer Weile trotzdem wieder eingestellt.
Danny zog einen Latexhandschuh über und nahm den Fuß behutsam in die Hand. Eingehend begutachtete er den Infektionsherd.
»Ich bin sicher, dass wir ohne chirurgischen Eingriff auskommen. Haben Sie die Bäder nach Anweisung durchgeführt?«, fragte er kritisch.
»Ich habe alles ganz genauso gemacht, wie Sie gesagt haben«, antwortete die junge Patientin
mit treuherzigem Augenaufschlag. »Hoffentlich wird das keine Blutvergiftung.«
»Da kann ich Sie auf jeden Fall beruhigen.« Mit geschickten Handgriffen säuberte Danny die Wunde von Salbenspuren und trug eine neue, entzündungshemmende Paste auf. Ein Verband schützte zusätzlich vor Verunreinigungen. »Ich bin sehr zufrieden mit der Entwicklung. Meiner Ansicht nach ist die Entzündung schon zurückgegangen. Natürlich ist mit so einer Verletzung nicht zu spaßen, und Sie werden noch etwas Geduld brauchen, ehe sie ganz abgeheilt ist. Aber ich bin sicher, dass das Problem in einigen Tagen behoben ist. Dann werden wir darangehen, Ihr Immunsystem durch wirkungsvolle Maßnahmen zu stärken, damit Sie in Zukunft von diesen unangenehmen Infektionen verschont bleiben.« Ohne lange darüber nachzudenken, griff Danny fürsorglich nach Katharinas Strumpf und zog ihn ihr über. »Lassen Sie sich von Wendy einen Termin für nächste Woche geben. Und falls vorher etwas ist, rufen Sie einfach an.«
Katharina konnte ihr Glück kaum fassen. Nicht nur, dass der junge Arzt ausgesprochen attraktiv, nett und kompetent war. Er vermittelte ihr darüber hinaus die Sicherheit, dass ihre Sorgen und Nöte ernst genommen und sie entsprechend behandelt wurde.
»Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll«, murmelte sie zum Abschied verlegen.
»Sie müssen mir nicht danken«, antwortete Danny aus vollster Überzeugung. »Dafür bin ich doch da!«
»Das sagen Sie!«, erklärte Katharina Hasselt aus tiefstem Herzen. »Aber ich weiß, dass Sie etwas ganz Besonderes sind.« Mit diesen leise ausgesprochenen Worten wandte sie sich ab und eilte den Flur hinunter.
Danny sah ihr nach. Er konnte genauso schlecht mit Lob umgehen wie sein Vater. Trotzdem freute er sich natürlich, dass er offenbar auf einem guten Weg war, ein Arzt der alten Schule zu werden, der Zeit hatte für seine Patienten und ihre Sorgen und Nöte ernst nahm. Dabei war ihm sein Vater das beste Vorbild. Doch Danny blieb nicht viel Zeit, seine Gedanken spielen zu lassen. Schon schickte Wendy den nächsten Patienten ins Behandlungszimmer.
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Als Edgar von Platen den jungen Arzt zu Gesicht bekam, war er zunächst skeptisch.
»Ehrlich gesagt hatte ich einen erfahrenen Doktor erwartet.«
In den vergangenen Monaten war Danny auch mit diesen Vorurteilen konfrontiert gewesen und hatte sofort eine Antwort parat.
»An Ihrer Stelle würde ich wahrscheinlich genauso denken«, erwiderte er höflich und ohne auch nur im Geringsten verletzt zu sein. »Aber Sie sollten wissen, dass mein Vater ebenfalls Arzt und der Senior dieser Praxis ist. Ich bin also von Kindesbeinen an vertraut mit diesem Beruf. Mal abgesehen davon, dass ich jeden Fall mit meinem Vater diskutiere. Das bedeutet, dass Sie einen klaren Vorteil haben. Vier Augen sehen bekanntlich mehr als zwei.«
Diesem Argument hatte Herr von Platen nichts entgegenzusetzen.
»Wenn Sie die Nase voll von Krankheiten haben, melden Sie sich bei mir«, lächelte er anerkennend. »Sie sind der geborene Verkäufer. Wortgewandt, wie Sie sind, würde ich Ihnen sogar zutrauen, einen Kühlschrank an einen Eskimo zu verkaufen.« Edgar lachte dröhnend über seinen eigenen Witz.
Danny hingegen begnügte sich mit einem tiefgründigen Lächeln.
»Ich werde daran denken«, versprach er, ehe er sich dem Grund für Edgar von Platens Besuch zuwandte.
Ausführlich berichtete der Patient das, was er zuvor schon Wendy erzählt hatte.
»Dummerweise kamen die Beschwerden ausgerechnet während meiner Geschäftsreise wieder. Deshalb bin ich hier gelandet.«
»Im Grunde genommen wären Sie ein Fall für einen Hals-Nasen-Ohrenarzt«, räumte Danny freimütig ein.
Zu seiner Überraschung winkte sein Gegenüber verächtlich ab.
»Ich habe mir aus gutem Grund einen Allgemeinmediziner gesucht«, erklärte er und folgte Danny hinüber ins Ultraschallzimmer.
Es handelte sich um das modernste Gerät auf dem Markt, kostspielig wie ein nagelneuer Kleinwagen, aber für viele wichtige Untersuchungen inzwischen unentbehrlich und deshalb jeden Cent wert.
»Vor einigen Jahren hat mir so ein Scharlatan die Kieferhöhlen gespült. Das war schrecklich und hat überhaupt nichts gebracht. Ich dachte, dass Sie solche Foltermethoden nicht im Programm haben.« Er schickte dem jungen Arzt einen fragenden Blick.
»Vor einigen Jahren, sagten Sie?«, hakte Danny nach und bat Herrn von Platen auf die Untersuchungsliege. »Damals waren solche Methoden durchaus üblich. Aber zum Glück entwickelt sich auch die Medizin ständig weiter. Heute ist bekannt, dass man sich vielmehr um die Ursachen der Erkrankungen kümmern muss, als nur die Symptome zu beseitigen, was ja bei der Spülung das erklärte Ziel war.« Er nahm eine Flasche zur Hand. »Vorsicht, nicht erschrecken. Jetzt wird es СКАЧАТЬ