Название: Die verlorene Handschrift
Автор: Gustav Freytag
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
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Roth hob sich die Sonne aus trockenem Qualm, die Arbeiter im Felde fühlten die Mattigkeit in den Gliedern und hielten immer wiederbei der Arbeit an, das Antlitz zu trocknen. Der Schäfer war heut mit der Herde unzufrieden, seine Hammel waren auf Kraftübungen versessen; statt zu fressen stießen sie mit den Köpfen zusammen und das Jungvieh hüpfte und tänzelte wie an Drähten in die Höhe gezogen. Unordnung und Widersetzlichkeit waren nicht zu bändigen, der Hund umkreiste die Aufgeregten unaufhörlich mit hängendem Schwanze, und wenn er heut ein Schaf in das Bein zwickte, so merkte es lange den Schaden.
Höher stieg der Sonnenball am wolkenlosen Himmel, heißer wurde der Tag, ein leichter Dunst hob sich vom Boden und machte die Ferne undeutlich, die Sperlinge flogen unruhig um die Baumgipfel, die Schwalben fuhren längs dem Boden und zogen ihre Kreise um die Menschen. Die Freunde suchten ihr Zimmer auf, auch hier empfand man die ermattende Schwüle, der Doctor, welcher einen Plan des Hauses entwarf, legte den Bleistift hin, der Professor las von Ackerbau und Viehzucht, aber er sah oft über sein Buch nach dem Himmel, öffnete das Fenster und schloß es wieder. Das Mittagsmahl war stiller als sonst, der Landwirth sah ernst drein, seine Beamten nahmen sich kaum Zeit, ihre Teller zu leeren. »Es kommt heut ungelegen,« sagte der Hausherr beim Aufstehen zu der Tochter, »ich reite an die Grenze; bin ich nicht vor dem Wetter zurück, so sieh nach Haus und Hof.« Und wieder zogen die Menschen und Rosse auf das Feld, aber heut war ihnen der Weg zur Arbeit sauer.
Die Hitze wurde unerträglich, die Nachmittagssonne brannte auf die Haut, Fels und Mauer fühlten sich heiß an, den Himmel überzog ein weißes Gewölk, das sich zusehends verdichtete und zusammenfuhr. Eifrig trieb der Knecht die Pferde zur Scheuer, die Arbeiter hasteten die Garben abzuladen, im schnellen Trabe fuhren die Wagen, noch eine Ladung unter das schützende Dach zu retten.
Die Freunde standen vor der Hofthür und blickten auf die schweren Wolken, welche vom Himmelsrande heraufzogen. Das gelbe Sonnenlicht kämpfte kurze Zeit gegen die dunkeln Schatten der Höhe, endlich verschwand auch der letzte grelle Schein, glanzlos und trauernd lag die Erde. Ilse trat zu ihnen: »Seine Zeit ist gekommen, gegen vier Uhr steigt es herauf, selten zieht es aus dem Morgen über das ebene Land, dann aber wird es jedesmal schwer für uns, denn die Leute sagen, es kann nicht über die Berghöhe, auf die Sie vom Garten aus sehen. Dann hängt es lange über unserm Felde. Und der Donner, sagt man, rollt bei uns stärker als anderswo.«
Die ersten Stöße des Windes fuhren heulend an das Haus. »Ich muß durch den Hof, zum Rechten sehen,« rief Ilse, band schnell ein Tuch um das Haupt und drang, von den Männern begleitet, gegen den Sturm vorwärts zu dem Hofgebäude, in welchem die Spritze stand, sie sah zu, ob die Thür geöffnet und Wasser in den Tonnen war. Dann eilte sie vorwärts nach den Ställen, während die Strohhalme im Wirbel um sie herumfuhren, mahnte die Mägde noch einmal durch muntern Zuruf, sprach schnell einige Worte mit den Beamten und kehrte nach dem Hause zurück. Sie warf einen Blick in die Küche und nach dem Herde und öffnete die Thür des Kinderzimmers, ob alle Geschwister beim Lehrer versammelt waren. Zuletzt ließ sie noch den Hund herein, der an der geschlossenen Hofthür ängstlich bellte, und trat dann wieder zu den Freunden, welche vom Fenster der Wohnstube in den Aufruhr der Elemente blickten. »Das Haus ist verwahrt, so gut die Hand des Menschen vermag, wir aber vertrauen auf stärkeren Schutz.«
Langsam wälzte sich das Wetter näher, eine schwarze Masse nach der andern schob sich heran, unter ihnen stieg ein fahler Dunstschleier wie ein ungeheurer Vorhang höher und höher, der Donner rollte, kürzer die Pausen, wilder sein Dröhnen, der Sturm heulte um das Haus, jagte zornig dicke Staubwolken um die Mauern, Blätter und Halme flogen in wildem Tanze dahin.
»Der Löwe brüllt,« sagte Ilse, die Hände faltend. Sie neigte auf einige Augenblicke das Haupt. Dann sah sie schweigend zum Fenster hinaus. »Der Vater ist auf dem Vorwerk unter Dach,« begann sie wieder, einer Frage des Professors zuvorkommend.
Ein tüchtiges Wetter tobte um das alte Haus. Die es zum erstenmal an dieser Stelle hörten, auf freier Höhe, an der Seite des Bergrückens, von dem das wirbelnde Getöse des Donners zurückschallte, meinten solche Gewalt der Natur noch nicht erlebt zu haben. Während der Donner tobte, ward es plötzlich finster in der Stube wie bei einbrechender Nacht, und immer wieder wurde die unheimliche Dämmerung durch den Schein der feurigen Schlangen zerrissen, welche über den Hof dahinfuhren.
In der Kinderstube war es laut geworden, man hörte das Weinen der Kleinen. Ilse ging an die Thür und öffnete. »Kommt zu mir,« rief sie. Aengstlich liefen die Kinder herein und drängten sich um die Schwester, sie faßten ihre Hände, die jüngsten klammerten sich an ihr Gewand. Ilse nahm die kleine Schwester und legte sie in die Hände des Professors, der neben ihr stand. »Seid still und sagt leise euren Spruch,« mahnte sie, »jetzt ist keine Zeit, zu weinen und zu klagen.«
Plötzlich ein Licht so blendend, daß es zwang, die Augen zu schließen, ein kurzer markerschütternder Krach, der in mißtönendem Knattern endete. Als der Professor die Augen öffnete, sah er in dem Schein eines neuen Blitzes Ilse neben sich stehen, das Haupt ihm zugewendet, mit strahlendem Blick. »Das hat eingeschlagen,« rief er besorgt.
»Nicht in den Hof,« versetzte das Mädchen unbeweglich.
Wieder ein Schlag und wieder ein Feuerschein und ein Schlag, wilder, kürzer, schärfer. »Es schwebt über uns,« sagte Ilse ruhig und drückte das Haupt des kleinen Bruders an sich, als wollte sie ihn schützen.
Der Professor konnte den Blick nicht abwenden von der Gruppe in der Zimmermitte. Die edle Gestalt des Weibes vor ihm, hoch aufgerichtet, unbeweglich, umringt von den angstvollen Geschwistern, gehoben das Antlitz und um den Mund ein stolzes Lächeln. Sie hatte in unwillkürlicher Empfindung eines der theuren Leben seiner Obhut anvertraut, er stand in der Noth der Entscheidung neben ihr als einer der Ihrigen. Auch er hielt das Kind fest, das ihn ängstlich umschlang. Es waren kurze Augenblicke, aber zwischen Blitz und Schlag loderte die Glut in ihm zu hellen Flammen auf. Die neben ihm stand im Wetterschein, von blendendem Licht umgossen, sie war es, die er sich forderte für sein Leben.
Länger dröhnte der Donner, der Regen schlug an das Fenster, ein Wasserguß rasselte und klatschte um das Haus, die Fenster zitterten in einem wüthenden Anprall des Sturmes.
»Es ist vorüber,« sagte die Jungfrau leise. Die Kinder fuhren auseinander und liefen an das Fenster. »Nach oben, Hans,« rief die Schwester und eilte mit dem Bruder aus dem Zimmer, um zu sehen, ob das Wasser doch irgendwo Eingang gefunden. Der Professor sah sinnend nach der Thür, aus der sie geschwunden war, der Doctor aber, der unterdeß, das Knie in den Händen, ruhig auf dem Stuhl gesessen, begann kopfschüttelnd: »Diese Naturerscheinung ist für uns ungemüthlich. Seit die Blitzableiter in Mißcredit gekommen sind, hat man nicht einmal den Trost, daß solche Stange dem Codex Sicherheit gegen die Zudringlichkeit von oben gewährt. Das ist ein schlechter Aufenthalt, mein Freund, für unser armes altes Manuscript, und es ist wahrlich Christenpflicht, das Buch so schnell als möglich aus diesem Donnerwinkel zu retten. Wie kann man ferner noch mit Gemüthsruhe eine Wolke am Himmel sehen? Wir werden immer daran denken müssen, was hier alles möglich ist.«
»Das Haus hat doch bis jetzt vorgehalten,« erwiederte der Professor lächelnd, »überlassen wir die Handschrift unterdeß den guten Gewalten, denen die Menschen selbst hier so fest vertrauen. – Sieh, schon bricht der Sonnenstrahl durch den Dunst.«
Eine halbe Stunde später war Alles vorüber, über den Bergen lag noch die dunkle Wolke und aus der Ferne tönte gefahrlos der Donner. In dem leeren Hofe regte sich wieder das Leben. Zuerst zog in fröhlichem Eifer der Entenchor aus seinem Versteck, putzte die Federn, untersuchte die Wasserlachen und schnatterte längs den Wagengleisen. Dann kam der Hahn mit seinen Hühnern, vorsichtig schreitend und die quellenden Körner pickend, die Tauben flogen an Vorsprünge der Fenster, wünschten einander mit Verbeugungen Glück und СКАЧАТЬ