Название: Billard um halb Zehn / Бильярд в половине десятого. Книга для чтения на немецком языке
Автор: Генрих Бёлль
Издательство: КАРО
Жанр: Зарубежная классика
Серия: Originallektüre Deutsch
isbn: 978-5-89815-936-8
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„Schlagen sie dich?“
„Nein, nie. Nur möcht ich so gern wissen, was der Krieg war, ich musste ja aus der Schule weg, bevor sie es mir erklären konnten. Kennen Sie den Krieg?“
„Ja.“
„Haben Sie ihn mitgemacht?“
„Ja.“
„Was haben Sie getan?“
„Ich war Spezialist für Sprengungen, Hugo. Kannst du dir darunter etwas vorstellen?“
„Ja, ich habe gesehen, wie sie im Steinbruch hinter Denklingen sprengten.“
„Genau das hab ich gemacht, Hugo, nur habe ich nicht Felsen gesprengt, sondern Häuser und Kirchen. Das hab ich noch nie jemandem erzählt, außer meiner Frau, aber die ist schon lange tot, und so weiß es niemand außer dir, nicht einmal meine Eltern und meine Kinder wissen es. Du weißt, dass ich Architekt bin und eigentlich Häuser bauen sollte, aber ich hab nie welche gebaut, immer nur welche gesprengt, und auch die Kirchen, die ich als Junge auf zartes Zeichenpapier zeichnete, weil ich davon träumte, sie zu bauen; die hab ich nie gebaut. Als ich zur Armee kam, fanden sie in meinen Papieren einen Hinweis, dass ich eine Doktorarbeit über ein statisches Problem geschrieben hatte. Statik, Hugo, das ist die Lehre vom Gleichgewicht der Kräfte, die Lehre vom Spannungs- und Verschiebungszustand von Tragwerken; ohne Statik kannst du nicht einmal eine Negerhütte bauen, und das Gegenteil von Statik ist die Dynamik, das klingt nach Dynamit, wie man es beim Sprengen braucht, und hängt auch mit Dynamit zusammen. Den ganzen Krieg über hatte ich nur mit Dynamit zu tun. Ich verstand was von Statik, Hugo, verstand auch was von Dynamik, verstand eine ganze Menge von Dynamit, hab alle Bücher verschlungen, die es darüber gab. Man muss, wenn man sprengen will, nur wissen, wo man die Ladung anbringt und wie stark sie sein muss. Das konnte ich, Junge, und ich sprengte also, ich sprengte Brücken und Wohnblocks, Kirchen und Bahnüberführungen, Villen und Straßenkreuzungen, ich bekam Orden dafür und wurde befördert: vom Leutnant zum Oberleutnant, vom Oberleutnant zum Hauptmann, und ich bekam Sonderurlaub und Belobigungen, weil ich so gut wusste, wie man sprengen muss. Und am Schluss des Krieges war ich einem General unterstellt, der hatte nur ein Wort im Kopf: Schussfeld. Weißt du, was Schussfeld ist? Nein?“
Fähmel hob den Billardstock wie ein Schießgewehr an die Schulter, zielte mit der Spitze nach draußen, auf den Turm von Sankt Severin.
„Siehst du“, sagte er, „wenn ich jetzt auf die Brücke schießen wollte, die hinter Sankt Severin liegt, würde die Kirche im Schussfeld liegen, also müsste Sankt Severin gesprengt werden, ganz rasch, sofort und schnell, damit ich auf die Brücke schießen könnte, und ich sag dir, Hugo, ich hätte Sankt Severin in die Luft gesprengt, obwohl ich wusste, dass mein General verrückt war, und obwohl ich wusste, dass Schussfeld ein leerer Wahn ist, denn von oben, verstehst du, brauchst du kein Schussfeld, und schließlich konnte es auch dem einfältigsten aller Generale nicht verborgen bleiben, dass inzwischen die Flugzeuge erfunden worden waren, aber meiner war verrückt und hatte seine Lektion gelernt: Schussfeld, und ich besorgte es ihm; ich hatte eine gute Mannschaft beisammen: Physiker und Architekten, und wir sprengten, was uns in den Weg kam; das letzte war was Großes, was Gewaltiges, ein ganzer Komplex riesiger, sehr solider Gebäude: eine Kirche, Stallungen, Mönchszellen, ein Verwaltungsgebäude, ein Bauernhof, eine ganze Abtei, Hugo – die lag genau zwischen zwei Armeen, einer deutschen und einer amerikanischen —, und ich besorgte der deutschen Armee ihr Schussfeld, das sie gar nicht brauchte; da knieten sich Mauern vor mir nieder, auf den Höfen brüllte das Vieh in den Ställen, und die Mönche verfluchten mich, aber ich war nicht aufzuhalten, die ganze Abtei Sankt Anton im Kissatal sprengte ich, drei Tage vor Kriegsschluss. Korrekt, Junge, immer korrekt, wie du mich kennst.“
Er senkte den Stock, den er immer noch auf sein imaginäres Ziel gerichtet hielt, legte ihn wieder in die Fingerbeuge, stieß die Billardkugel an; weiß rollte sie über grün, schlug in wildem Zickzack vom schwarzen Rand zum schwarzen Rand. Dumpf erbrachen die Glocken von Sankt Severin die Zeit, aber wann, wann schlug es elf?
„Sieh doch mal nach, Junge, was der Lärm an der Tür bedeutet.“
Noch einmal stieß er zu: rot über grün, ließ die Kugeln auslaufen, legte den Stock hin.
„Der Herr Direktor bittet Sie, einen Herrn Dr. Nettlinger zu empfangen.“
„Würdest du einen empfangen, der Nettlinger heißt?“ „Nein.“
„Zeig mir, wie ich hier herauskomme, ohne durch diese Tür zu müssen.“
„Sie können durch den Speisesaal gehen, Herr Doktor, dann kommen Sie in der Modestgasse heraus.“
„Auf Wiedersehen, Hugo, bis morgen.“
„Auf Wiedersehen, Herr Doktor.“
Kellnerballett, Boyballett: sie deckten die Tische zum Mittagessen, schoben in genau vorgeschriebener Ordnung Teewagen von Tisch zu Tisch, legten Silber auf, wechselten die Blumenvasen aus; statt der weißen Nelken in schlanken Vasen demütige Veilchen in runden Vasen; nahmen Marmeladegläser vom Tisch, stellten Weingläser, runde für roten, schlanke für weißen, auf die Tische; nur eine einzige Ausnahme; Milch für die Schafpriesterin, sie sah in der Kristallkaraffe grau aus.
Fähmel ging mit leichtem Schritt zwischen den Tischreihen hindurch, schlug den violetten Vorhang beiseite, stieg die Stufen hinunter und stand dem Turm von Sankt Severin gegenüber.
Kapitel IV
Leonores Schritte beruhigten ihn; vorsichtig ging sie im Atelier hin und her, öffnete Schranktüren, hob Kistendeckel, schnürte Pakete auf, entrollte Zeichnungen; selten kam sie ans Fenster, ihn zu stören; nur wenn ein Dokument kein Datum, eine Zeichnung keinen Namen trug. Er hatte die Ordnung immer geliebt und nie gehalten. Leonore würde sie schaffen, sie häufte, nach Jahren geordnet, auf dem großen Atelierboden Dokumente und Zeichnungen, Briefe und Abrechnungen aufeinander; nach fünfzig Jahren noch zitterte der Boden unter dem Stampfen der Druckereimaschinen; neunzehnhundertsieben, acht, neun, zehn; schon war Leonores Stapeln anzusehen, dass sie mit dem wachsenden Jahrhundert größer wurden, neunzehnhundertneun war größer als neunzehnhundertacht, zehn größer als neun. Leonore würde die Kurve seiner Tätigkeiten herausfinden, sie war auf Präzision gedrillt. „Ja“, sagte er, „stören Sie mich getrost, Kind. Das? Das ist das Krankenhaus in Weidenhammer; ich habe es im Jahr 1924 gebaut, es wurde im September eingeweiht.“ Und sie schrieb mit ihrer säuberlichen Handschrift auf den Rand der Zeichnung 1924/9.
Magere Häufchen blieben die Kriegsjahre vierzehn bis achtzehn; drei, vier Zeichnungen; ein Landhaus СКАЧАТЬ