«1906». Der Zusammenbruch der alten Welt. Grautoff Ferdinand Heinrich
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СКАЧАТЬ da mischte sich in die Töne des verhallenden Chorals von draußen her ein scharfer, heller Klang. Der Gottesfrieden ward durch einen rauhen Ton zerrissen, die Gotteswelt versank, ein Rasseln wie von klirrendem Metall. Als die Ersten hinaustraten in den sonnigen, strahlenden Frühlingstag, hielten ihnen tausend Hände etwas entgegen, was, rasch entziffert, die Meldung trug: „Die Engländer bombardieren Cuxhaven“. Donnernde Zurufe empfingen den Kaiser, als er das Gotteshaus verließ und rasch zu Fuß, die Kaiserin am Arm, die Straße überschritt und im Portal des kaiserlichen Schlosses verschwand.

      Der erste Blitz war herniedergefahren, zündend, vernichtend, verwüstend und zertrümmernd, wann folgte der zweite und wohin traf er?

      Ran an den Feind!

      Um 4 Uhr nachmittags am 20. März lief auf der Funkspruchsstation Helgoland ein Zifferntelegramm aus Cuxhaven ein, das den kommandierenden Admiral des auf der Reede liegenden Geschwaders über die politische Lage informierte und ihm neue Befehle übermittelte. Der Admiral begab sich von Bord seines Flaggschiffes „Kaiser Wilhelm II.“ sofort an Land und hatte eine längere Unterredung mit dem Kommandanten von Helgoland. ½ Stunde später legten sich die zehn Hamburger Kohlendampfer, die sich beim Geschwader befanden, in einige Entfernung längsseits der Linienschiffe, und an den durch Stahltrossen konstruierten Schwebebahnen krochen bald die schwarzen Kohlengefäße hinüber zu den nur leise auf und nieder stampfenden Panzern, wo sie prasselnd in die schwarzen Schlünde der Bunker entleert wurden, während die Torpedoboote unten an der kleinen Mole anlegten und dort ihre Kohlenvorräte auffüllten. Gegen 6 Uhr wurden die Trossen wieder eingeholt und die Kohlenschiffe nahmen ihren Weg nach der Richtung von Cuxhaven, bald im abendlichen Dämmerlicht nur noch als eine braune Rauchwolke am Horizont erkennbar.

      In der ruhigen See wiegten sich die grauen Leiber der fünf Panzer der „Wittelsbach“ – Klasse neben ihnen der „Kaiser Wilhelm II.“ und etwas seewärts die Kreuzer „Friedrich Karl“ und „Prinz Adalbert“ mit ihren drei schlanken Schloten. Weiter draußen, einen Halbkreis nach Westen bildend, lagen die vier Kreuzer „Gazelle“, „Medusa“, „Niobe“ und „Nymphe“. Die scheidende Sonne überstrahlte den abendlichen Himmel mit gelben und glutroten Farben, die sich auf der leise wogenden Meeresflut in schimmernden Reflexen widerspiegelten. Fortwährend wurden zwischen dem Lande und dem Admiralsschiff, sowie zwischen diesem und den einzelnen Schiffen des Geschwaders, Signale gewechselt. Als im Abenddämmern die Winkflaggen nicht mehr zu erkennen waren, blitzten oben zwischen den Signalmasten die farbigen, elektrischen Lichter als feuerige Funken auf, einen steten Kontakt zwischen dem Kommandanten und seinen Unterführern unterhaltend. Die Schiffe des Geschwaders waren die einzigen Punkte, die das eintönige Graugrün der Meeresfläche unterbrachen. Nur ganz fern im Norden steuerte ein schwarzer, niedriger Frachtdampfer, an den hellen Flächen auf seinen Vorder- und Hinterdeck als Holzdampfer erkennbar, nach Südwest, offenbar ein Schiff, das von dem drohenden Unwetter noch keine Nachricht erhalten hatte und friedlich seinen Weg fortsetzte, der einzige lebende Punkt in der weiten Wasserwüste. Die Bewohner der Insel standen in dichten Scharen oben an der steinernen Brüstung der Falm von dort aus mit scharfen Gläsern den Horizont absuchend.

      Unten am Marinepier lagen die sechs schwarzen Hochseeboote „S. 114“ bis „119“, taktmäßig auf der ans Ufer drängenden breiten Dünung sich an der Mole hebend und senkend. Kapitänleutnant Westerkamp betrat jetzt, vom Oberlande kommend, begleitet von den Führern der anderen Boote, eiligst die Mole, verabschiedete sich mit kurzem Händedruck von seinen Kameraden und ging an Bord von „S. 114“. Im Schatten des hohen Felsenufers von Helgoland lagen die sechs Boote fast schon in vollkommener Dunkelheit, und die wenigen Neugierigen, die von dem Doppelposten am Strande vor der Mole zurückgehalten wurden, vermochten nur wenig von dem zu unterscheiden, was an Bord der Torpedoboote vor sich ging. Daß dort aber rege Tätigkeit herrschte, konnte man daran erkennen, daß huschende Schatten die rotglühenden Deckslichter bald verdeckten, bald wieder freigaben. Allmählich aber ward alles ruhig, die Wache ging in hallenden Schritten auf den Decksplatten auf und nieder und alles Leben schien auf den schwarzen ernsten Schiffen erstorben.

      Um dieselbe Zeit konnte man oben von der Falm aus und von der am meisten nach Südwest vorgeschobenen Batterie des Oberlandes ein merkwürdiges Schauspiel beobachten. Nur ein dunkelroter Streifen, der die düsteren Regenwolken, die sich am westlichen Horizont zusammengeballt hatten, in ihren unteren Konturen noch scharf erkennen ließ, zeigte die Stelle, wo die Sonne untergegangen war. Eine frische Brise von Westen war aufgesprungen und schlug die Drähte des Signalmastes der Funkenspruchstation hart aneinander. Es lag wie Gewitterstimmung in der warmen Luft. Das Licht des steinernen Leuchtturmes brannte diese Nacht nicht mehr, das erste Zeichen des Kriegszustandes. Da blitzte es plötzlich im Südwesten auf wie fernes Wetterleuchten, und weiße Lichtgarben schossen plötzlich aus der Wasserfläche empor, dreimal, viermal, in kurzen, unregelmäßigen Zwischenräumen, lautlos aufsprühend wie Raketenfeuer. Plötzlich zuckten auch vom Leuchtturm aus mehrere Blitze, den westlichen Teil der Insel mit weißem Licht übergießend. Dann war mit Gedankenschnelle diese stumme Lichtsprache wieder verschwunden und die Dunkelheit schlug über diesem Feuerwerk wieder zusammen, nur in dem kleinen Gebäude der Funkenspruchstation prasselten und knatterten die elektrischen Funken, die Mitteilung an den kommandierenden Admiral weitergebend, daß das Kreuzergeschwader Wilhelmshaven um 4 Uhr nachmittags verlassen habe und, jetzt auf der Höhe von Helgoland befindlich, seinen Weg entsprechend der dem Admiral bekannten Befehle nach Norden fortsetze.

      Um ½8 Uhr betrat Kapitänleutnant Westerkamp wieder das Deck des Torpedobootes „S. 114“. In die Tür des niedrigen Signalhauses tretend, hielt er seine Uhr gegen das Licht der kleinen Laterne an der Steuermaschine. „½8 Uhr“, sagte er leise zu dem Mann an der Maschine, schloß die Tür hinter sich und ergriff den Hebel des Maschinentelegraphen. Unten im Maschinenraum rasselten die Klingeln und kurz darauf warfen die dicken Schlote der Boote schwere Rauchwolken aus. Die Trossen wurden gelöst, noch ein Signal an die Maschinen und lautlos verließen die Boote ihren Liegeplatz, sofort von der Dunkelheit verschluckt, in der einige Minuten später zwei grüne Funken wie gierige Raubtieraugen erglühten, von der Stelle, wo das Admiralsschiff lag, mit einem anderen Glühsignal beantwortet.

      Helgoland war gesichert gegen jeden unvermuteten Überfall. Während das Geschwader südöstlich der Insel liegen blieb, bildeten die Kreuzer in weiter Entfernung einen Halbkreis um die Insel und zwischen ihnen hielt eine Reihe vorgeschobener Torpedobootposten scharfe Wacht. Die von Kapitänleutnant Westerkamp befehligte Division hatte den Auftrag, in der Richtung auf den Kanal aufzuklären, während die Panzerkreuzer „Prinz Adalbert“ und „Friedrich Karl“ in derselben Richtung Fühlung mit dem Feinde suchen sollten, dessen Herannahen in dieser Nacht bereits zu erwarten war. Die einzelnen Schiffe standen durch Funkspruch miteinander in Verbindung, so daß jede Nachricht sofort auf der ganzen Postenkette bekannt werden konnte.

      Gegen Mitternacht befand sich die Division des Kapitänleutnant Westerkamp, mit 25 Knoten Geschwindigkeit die Wogen durchrasend, etwa auf der Höhe von Terschelling. Kein Lichtschimmer, keine Laterne verriet den Weg der schwarzen Schiffe. Um den messerscharfen Bug sprudelte das dunkle Wasser, helle Schaummassen bis zum Wellenbrecher emporwerfend. Kapitänleutnant Westerkamp befand sich unten in der Offiziersmesse, dort auf der Seekarte den Weg der Division eine Seemeile um die andere verfolgend. Leise nur drang das taktmäßige Stampfen der Maschine, die den ganzen Schiffskörper in harten Schwingungen vibrieren ließ, aus dem Maschinenraum zu ihm herüber. Die Division hatte den Befehl, den Feind, falls er schon unterwegs angetroffen werden sollte, ohne weiteres anzugreifen. Würde man den Feind nicht finden, so hatte die Division den Befehl, bei Tagesanbruch auf die beiden Panzerkreuzer zurückzufallen und abends wieder vorzugehen, um womöglich in der Nacht noch die englischen Kriegshäfen zu erreichen und, wenn eine Gelegenheit günstig, feindliche Schiffe überraschend anzugreifen.

      Gegen Mitternacht zog sich Kapitänleutnant Westerkamp seinen Ölrock an und begab sich, die schmale, steile Treppe emporklimmend, wobei schon die starken Schwankungen des Bootes infolge heftiger werdenden Seeganges, deutlich zu spüren waren, wieder an Deck.

      Es war eine finstere, sternenlose Nacht. Schon СКАЧАТЬ